blackmail_15klein.jpgDas Gesicht im Fahrtwind

Berlin/3.5.08 im Fritzclub/Postbahnhof: Mit Konzerten in Berlin ist es schon so eine Crux: kommt man pünktlich, fängt die Band oft erst Stunden später an. Fühlt man sich indes nach solchen Erfahrungen klüger und kommt beim nächsten Mal erst eine halbe Stunde nach offiziellem Konzertbeginn zum Veranstaltungsort, hat man die Vorband schon verpasst und kommt mit Glück gerade noch rechtzeitig zum ersten Song des ‚Main Acts’.

Genau so erging es mir am letzten Wochenende beim Konzert der Koblenzer Indie-Rocker BLACKMAIL – weshalb ich über die Live-Qualitäten der ansonsten sehr hörenswerten Kaiserslauterner (sich selbst als ‚Art-Core’ bezeichnenden) DIORAMIC hier leider nichts berichten kann. (Merke: zum nächsten Konzert wieder pünktlich kommen.) BLACKMAIL selber stellten im Postbahnhof einem begeisterten, den Saal jedoch nicht ganz ausfüllenden Publikum ihr neues Album „Tempo Tempo“ vor. Vom ersten Akkord an machte es der Band sichtbaren Spaß, sich auf der Bühne auszutoben, was angesichts einer derart ausgereiften Platte
(siehe Rezension) auch nicht weiter verwunderlich war. Folgerichtig eröffneten BLACKMAIL ihr Konzert vorrangig mit neuen Songs (u.a. „U-Sound“ und „The Mentalist“), die von den Fans allerdings wie alte Hits begrüßt – und nach einer kurzen Eingewöhnungsphase auch entsprechend tanzend, bzw. springend gewürdigt wurden.

Die Band ließ der schwitzenden Menge dann auch wenig Raum zum Luftholen. Spätestens mit Einsetzen des zwingenden Riffs in „Amelia“ (von der „Bliss, Please“) nahm der Jubel kein Ende und es flogen die Körper der Stage-Diver nur so von der Bühne. Als zusätzlicher Bonus-Punkt konnte verbucht werden, dass Sänger Aydo Abay sich mit Ansagen angenehm zurückhielt – die Band wird ja oft als unsympathisch und arrogant bezeichnet – und sich vorrangig aufs Singen verlegte. In dieser Hinsicht allerdings gab Abay jedoch alles und drehte die Songs mit seinem messerscharfen Vortrag immer wieder noch ein Stückchen weiter über sich hinaus. Doch nicht nur er, die ganze Band war in bester Spiellaune und besonders der hühnenhafte Kurt Ebelhäuser wurde seinem Ruf als Ausnahmegitarrist voll gerecht. Bemerkenswert: er griff seine Gitarre überwiegend von oben – wie genau er das angestellt hat, bleibt ein weiteres Rätsel dieser rätselhaften Band. Die Rhythmuscombo aus Carlos Ebelhäuser und Mario Matthias verlieh den Songs schließlich die kantige Härte, für die BLACKMAIL so bekannt sind – und flutete die Halle mit einem fetten, warmen Sound.
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Abgesehen von der musikalischen Darbietung war das Indierockspektakel auch noch hübsch anzusehen. Die Band spielte vor einer Wand aus Lichtpaneelen, die der Performance einen geschmackvollen, z.T. ins Psychedelische wabernden Rahmen boten. Die komplett in schwarz gekleidete Band verschwand dabei des Öfteren im diffus ausgeleuchteten Halbdunkel, so dass der krachige Sound wie eine dunkle Welle über das Publikum brach und man sich zuweilen beinahe festhalten wollte – aus der Befürchtung, sonst mitgerissen zu werden. Den Höhepunkt des Abends bildete eine ausufernde Improvisation am Ende des Konzerts, in der sich die Gebrüder Ebelhäuser im musikalischen Dialog mit Schlagzeuger Mario in schlingernde Drehbewegungen versetzten und das Publikum in immer fertigere Noise-Weiten entführte. In dem Moment, als es beinahe so schien, als wären Band und Publikum eins geworden – ein tobender, schwitzender Strudel aus Körpern – hörte die Band abrupt auf und verschwand so schnell, wie sie über uns gekommen war. Was blieb, waren viele glückliche Menschen, die aussahen, als wären sie entweder drei Stunden lang im ‚Breakdancer’ gefahren oder hätten bei voller Fahrt auf der Autobahn über eine Stunde lang ihr Gesicht aus dem Fenster gehalten. Beides ist ja irgendwie schnell, irgendwie durch – und irgendwie saugeil. Eben wie BLACKMAIL.

Fotos: Frank Bauspiess

TIPP: Interviewstory mit Exklusivfoto im kommendem WAHRSCHAUER #56 (Printausgabe Sommer ’08).