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mad_mark.jpgInterview mit Marc (M.A.D. Tourbooking)
zum Thema ‘Straight Edge’:

Es ist nur ein Wort, um eine Philosophie zu beschreiben.

M.A.D. Tourbooking dürfte den meisten Konzertgängen der Punk- und Hardcore-Szene ein Begriff sein. Seit Jahren unter anderen für das Punk & Disorderly Festival und die Persistance Tour verantwortlich und die europäische Booking-Agentur für Bands von IGNITE über HATEBREED bis hin zu THE BUISNESS wäre es um die europäische Musik-Szene ohne die Arbeit von M.A.D. mit Sicherheit um einiges langweiliger bestellt.Für den Artikel zum Thema ‚Straight Edge‘ (im aktuellen WAHRSCHAUER Magazin #55) führte ich dieses Interview mit Marc von M.A.D., dieses hier ist die ungekürzte Fassung des Interviews.

 

WAHRSCHAUER: Bitte stell dich kurz vor.

Marc: Ich heiße Marc, bin jetzt 41 Jahre, 1978 hat mich das Punk-Fieber erwischt und nie wieder losgelassen.

W: Wann hast du das erste Mal von Straight Edge gehört? Wie bist du mit Straight Edge in Berührung gekommen?

M: Das war Ende 1980 oder 81 kurz vor der Veröffentlichung der ersten MINOR THREAT-Single, und SOCIETY SYSTEM DECONTROL (SSD), durch Fanzines usw.

Ich war einfach nie ein Freund von Alkohol, Zigaretten oder anderen Drogen, denn ich war ja schon ein Pulverfass für mich selbst. Ich habe auch gerade in den Anfangsjahren zu viel Elend sehen müssen und Freunde verloren… Ich brauchte wirklich nicht das Logo ‚Straight Edge‘, um es für mich neu zu erfinden… denn das war eine Folge von komplexen Wirkungsgefügen sozialer und politischer Prozesse in mir.

 

W: Was hat dich an Straight Edge so fasziniert, dass du das für dich auch durchziehen wolltest?

M: Damals faszinierte mich der Gedanke nicht alleine zu sein, denke ich: Lieder zu hören, die sich damit auseinandersetzten und Hoffnung machten, wieder zu mehr Kreativität zurück zu finden und aus dieser manipulierten Abhängigkeit herauszukommen.

Dazu muss ich sagen, war meine Einstellung vor der Geburt des amerikanischen Straight Edge dieselbe; ich wollte nie nur so vegetieren und mich damals wie heute abfinden mit der Bierseligkeit und der dazu gehörenden Passivität. Und ich war da in der Zeit, in der in Berlin alles im Aufbruch war und harte Drogen zum guten Ton gehörten. Ich war aber immer zu aktiv und viel zu beschäftigt damit, in der ersten Reihe zu sein, um den Adrenalin-Spiegel auf dem höchsten Niveau zu halten, so dass in mein Leben nie Platz war für Beruhigungsmittel, Halluzinogene oder anderen Aufputschmitteln. Darum lebe ich noch!

 

W: Was für Reaktionen erntest du von anderen Leuten wenn sie erfahren, dass du Straight Edge bist?

M: Meistens nur die ertappten Blicke und erklärende Worte, ich bin ja auch nun bei weitem nicht der Prototyp eines Straight Edgers. Ich benutze dieses Etikett auch nur, wenn es mir Zeit erspart, mich zu erklären. Die Zeit, dass ich meine Lebenseinstellung mit Straight Edge deklariere, ist auch schon lange vorbei und ich bin einfach was ich bin und brauche keine Labels, um mich zu erklären, ich war es vor SxE und bleibe es danach.

 

W: Über die Jahre hat sich ja auch die Straight Edge-Szene gewandelt / verändert, durch neue Einflüsse (Krishnacore, Christencore, vegan SxE) hat es ja auch in dieser Szene einige Spannungen gegeben. Im Moment scheint es eine Welle von Leuten zu geben, die SxE leben, weil sie das cool finden und die nach ’nem halben Jahr aber auch wieder Bier trinken, in ihrem ‚Lebenslauf‘ aber immer wieder mit ihren tollen Geschichten ankommen, als sie noch SxE waren...  Wie stehst du zu den einzelnen Entwicklungen in der Szene und wie hast du sie für dich über die Jahre erlebt?

M: Tja, was soll ich sagen, das ist doch immer so und war auch immer so: Menschen brauchen Etiketten, um sich zu erklären oder man könnte auch sagen: ich bin was ich trage. Natürlich kenne ich weit mehr Leute, die mal SxE waren als die, die es IMMER waren... Ich finde das natürlich traurig, aber mal ganz ehrlich, das ist doch mit allen Sachen so, speziell heutzutage. Denn du bist doch heutzutage das, was du trägst oder was andere dir sagen, was du zu Tragen hast. Nicht deine eigene Kreativität und dein eigenes Tun sind entscheidend.

Es ist nur ein Wort, um eine Philosophie zu beschreiben. Wenn dir das Wort gefällt, benutz es. Wenn nicht, dann nicht. Für mich ist es einfacher, wenn jemand versteht, wenn ich Straight Edge zu ihm sage, als wenn ich ihm aufzähle, was ich NICHT konsumiere: Ich habe mich schon lange daran gewöhnt, dass es für die meisten nur eine Etikette ist, sich wichtig zu machen oder in Szene zu setzten. Aber das ist auch so mit dem Punk oder Hardcore oder auch diesem Krishnacore, Christencore, Vegan-SxE oder Hardline, was auch immer… Wo sind denn die Schreihälse der letzten Jahre? Richtig! Auf der anderen Seite, aber der Sachschaden, den sie durch ihr Verhalten und ihre Vorgaben errichtet haben, ist da.

Ich habe nie verstanden, wie gerade aus der SxE-Bewegung, der es ja um UNABHÄNGIGKEIT geht, sich ausgerechnet diese religiösen Dogmen entwickeln konnten, die nur von der Abhängigkeit leben. Aber man sollte nie vergessen: eine festgelegte Philosophie, egal wie frei interpretiert, wandelt bzw. verändert sich nicht durch neue Einflüsse. Dann ist es eben einfach etwas Neues oder Überflüssiges. Und diese ‘falschen‘ Gedanken sind ja auch das Problem der gesamten Gesellschaft.

 

W: Es hat über die Jahre auch immer wieder Diskussionen gegeben was jetzt SxE ist und was nicht. Mittlerweile ist eine vegetarische Ernährung für einen größeren Teil der SxE’ler selbstverständlich, beim Genuss von Koffein ist die Meinung da wesentlich geteilter. Wo ziehst du für dich eine Grenze zwischen Droge und nicht-Droge und wie stehst du zu vegetarischer / veganer Ernährung?

M: Da Straight Edge die Idee des Respekts vor sich und dem Anderen anstrebt, wäre es ungerecht, sich auf die eigene Art zu beschränken. Aber vom Grundprinzip hat es überhaupt nix damit zu tun. Ich habe in der Mitte der 80iger die vegane Lebensweise gewählt und war zuvor Vegetarier, was für mich aber nix mit SxE zu tun hat, außer dem Austritt und Boykott gegen das System und die Konsumgesellschaft.

 

W: Glaubst du, dass die Szene früher stärker vernetzt und fester war als es die technischen Möglichkeiten des Internets noch nicht gab oder hat es Straight Edge ‚gut getan‘, dass die Zugangsmöglichkeiten zu Informationen mittlerweile wesentlich einfacher geworden sind?

M: Nein, war sie nicht, und ist zum Glück auch nicht mehr so limitiert.

Die Vernetzung hat allen Menschen gut getan und damit ist der Zugang zu vielen Informationsquellen gewährleistet. Diese damaligen elitären Kreise und selbst ernannten Philosophen haben doch nur Sachschaden angerichtet und kontraproduktiv gearbeitet und heutzutage arbeiten sie alle als Rad in dem System gegen was wir immer noch aufbegehren.

 

W: Du hast mit M.A.D. Tourbooking eine eigene Firma. Iinwiefern hat dein Hintergrund deine Berufswahl beeinflusst?

M: Viel, denn die Synergieeffekte sind nicht zu leugnen.

 

W: Mit M.A.D. arbeitest du auch mit Straight Edge-Bands zusammen. Wie empfindest du es, mit diesen Bands auf Tour zu sein, sie auf Shows zu treffen?

M: Vom Prinzip her sehr emotionslos, ich habe doch zu viele ‚Priester‘ fallen, zu viele Teufel zu Engeln werden sehen und umgekehrt. Ich genieße aber rauchfreie Räume oder mich abends noch produktiv unterhalten zu können anstatt…

Wir haben auch die ganzen ersten SxE Bands nach Deutschland geholt und hatten damals einige harte Wortgefechte.

 

W: Ihr arbeitet unter anderem auch mit MAROON. Die Band hat mit ihrem ersten Album noch sehr explizit und offensiv die vegan SxE-Philosophie vertreten, ist über die Jahre und mit zunehmendem Erfolg aber ruhiger geworden, auch wenn sie nach wie vor in vielen Interviews auf ihre Einstellung angesprochen werden. glaubst du, dass man als SxE’ler offensiv mit seiner Einstellung umgehen und das Gespräch mit anderen Leuten suchen sollte oder sollten die Leute ihren Weg lieber alleine finden?

M: Man kann oder sollte immer für seine Sachen und Ideale werben, jeder nach seiner Fasson. Was MAROON betrifft, war das doch bloß ein typisches Auftreten und generelles Verhalten. Egal wie, Hauptsache ins Rampenlicht, das war und wird nie meine Einstellung teilen… und bewirken tut das ja auch nix?!

 

W: Wie ‚hart‘ lebst du SxE für dich? Wenn ich in Gesprächen erklären soll, warum ich SxE bin, kommen immer wieder Fragen wie: warum ich sicher sei, dass ich das den Rest meines Lebens sein werde…

M: Wie ‘hart’? Verstehe ich nicht... ich finde es nicht hart, nicht zu Rauchen, Alkohol und Kaffee nicht zu trinken oder sonstigen Drogen eine Absage zu erteilen… Und der Respekt vor meiner Frau ist so oder so das Maß aller Dinge.

Da stellt sich für mich auch keine Problematik, denn Erstens verändern sich Menschen täglich und lernen auch dazu. Und wen interessiert, was Ian MacKaye trinkt oder Porcell oder Ray machen? Wenn es für Leute eine Messlatte für ihr eigenes Leben darstellt, ist es ja schon arm genug, da muss man nix mehr kommentieren. Jeder soll doch alles probieren, wie er es selbst verantworten will, aber er soll das auch für sich selbst erklären und sich nicht immer wieder als Prophet erklären und predigen, verurteilen oder auszugrenzen, um am Ende im selben Boot weiter zu schwimmen.

 

W: Vor ein paar Jahren habt ihr YOUTH OF TODAY’s Reunion-Tour gemacht. Ich persönlich war froh, die wenigstens zwei mal auf der Tour live gesehen haben zu können, in diversen Foren und Boards ist gerade diese Reunion aber sehr umstritten gewesen. Jetzt gerade sind die GORILLA BISCUITS auf Tour, von denen wohl nur noch Civ SxE ist, da sind die Diskussionen nicht so aufgekommen. Worin siehst du hier den Unterschied?

M: Es ist immer eine Frage der Form, wir waren eben wieder mal die ersten und bildeten die Brücken, über die andere gehen können. YOUTH OF TODAY sind doch immer präsent gewesen und haben die Presse gewollt und bekommen und müssen sich eben dafür erklären. GORILLA BISCUITS ist eigentlich die gleiche Baustelle, haben es aber damals besser verstanden, geschmeidig in die Mitte zu wandern. Ich meine, GORILLA BISCUITS: eine Single, eine Platte? … Hat das jemanden gestört, die Anti-Hardcore-Statements aus dem Lager usw… Ja? YOUTH OF TODAY Ray oder Porcell sind doch heute noch beide Aktivisten und verdienten es auch, einfach YOUTH OF TODAY zu machen, egal was…

 

W: Wer sind deine All-Time Favorites im Straight Edge Hardcore und welche Newcomer in der Szene sind dir besonders aufgefallen?

M: SLAPSHOT, die einzige und immer noch SxE-Band, von Anfang an dabei und immer noch da, das sollten sich mal einige überlegen. SSD, MINOR THREAT und UNIFORM CHOICE. Eigentlich sollte man auch 7 SECONDS und SICK OF IT ALL dazu nehmen, aber sie werden dieses Lob bestimmt nicht annehmen wollen.

Newcomer gab es nur eine: EARTH CRISIS … FEEDING THE FIRE, heute BORN FROM PAIN. Der Rest ist doch oder war doch wieder weg, bevor es überhaupt in die zweite Runde gehen konnte.

 

W: Gibt es ein Zitat, mit dem du beschreiben könntest was SxE für dich ausmacht / bedeutet?

M: Nein, es ist doch nur ein kleiner Teil meiner Persönlichkeit.

 

W: Gibt es ein oder zwei lustige Anekdoten mit SxE’lern / SxE-Bands, die du erlebt hast?

M: Zu viele, um drüber nachzudenken... Ich denke, ’ne witzige Sache war damals, wenn man das Wort auf Touren in den frühen 80igern benutzte, bekam man oft als Antwort von den lebensfreundlichen Menschen: ‚Ist doch egal wo ihr herkommt, bei uns sind alle gleich‘. Okay, das war ja schon mal nett und dann kam meistens auch gleich das Bier vor einem auf den Tisch….

 

W: Letzte Worte, die du gerne loswerden möchtest?

M: Man muss sich bewusst sein, dass wir Teil eines Systems sind, aus welchem wir nicht fliehen können. Man muss also sein Konsumverhalten ändern, so dass damit die eigenen Vorstellungen übereinstimmen. Der Boykott von gewissen Produkten ist eine gute Möglichkeit, seinen Protest kundzutun. Dieser drängt sich gegen Firmen auf, welche für die Zerstörung der Erde (Umweltverschmutzung, Abholzung, Gentechnik, Massentierhaltung usw.) die Schuld tragen.