Coast_To_Coast_235


80_DAYSMit dem Fahrrad durch die USA

 

Es gibt Dinge, die sind im Laufe eines Menschenlebens einzigartig. Ein solches war diese Tour durch die Vereinigten Staaten von Amerika, in 80 Tagen mit dem Fahrrad von Ozean zu Ozean. Die Menschen, die Abenteuer, die endlosen Weiten, die Stunden unter Freunden haben Spuren in den Herzen hinterlassen. Diese Erinnerungen an Tage der Freiheit, an knapp 6000 Kilometer, in denen ein ganzer Kontinent unter den Rädern dahin glitt, werden für immer treue Begleiter bleiben.

 

 

An einem ersten August begann die 80-tägige Tour von fünf Freunden aus Meerane und Gesau, einen Eindruck davon soll der Ausschnitt aus dem Reisetagebuch wiedergeben.

„Über dem Ohio River ging die Sonne auf und weckte uns. Der gestrige Tag war hart gewesen, mit 120 km waren wir die längste bisherige Tagesetappe gefahren. Dennoch standen wir heute Morgen gut gelaunt auf. Unsere Zelte hatten wir auf dem Grundstück eines Bauern errichtet, der uns spontan zum Kampieren eingeladen hatte. Das Bad am gestrigen Abend war malerisch, fast melodramatisch gewesen. Welch unglaubliche Atmosphäre hatte uns in der Stille des großen Stromes bei heraufziehender Dunkelheit umgeben. Keine einzige Bewegung war auf dem spiegelglatten Wasser des Ohio wahrzunehmen, bis wir in die kühlen Fluten traten, um den Schmutz und die Hitze des Tages von unseren Körpern abzuwaschen, beobachtet einzig und allein von den Lichtern, die am fernen gegenüberliegenden Ufer bereits leuchteten.

Auch am heutigen Morgen lachte uns die Sonne und verkündete einen heißen und schwülen Tag. Gegen 9 Uhr traten wir in die Pedalen, zunächst jeder für sich im Abstand von einigen Minuten, bevor wir uns auf den endlosen, geraden Straßen wieder eingeholt hatten. Die Ausblicke auf den Fluss waren ein ums andere Mal wunderschön. Leider konnten wir sie kaum genießen, es fehlte dem viel befahrenen Highway an einem Randstreifen und so war Vorsicht geboten. Die Autofahrer waren ebenso genervt von uns wie wir von ihnen. Ein Laster zog vorbei und drückte genau neben uns auf seine Hupe. Als wir aus dem Straßengraben herauskrochen, schickten wir ihm Stinkefinger und böse Worte hinterher.

So vergingen die Kilometer dieser Etappe, nach 20 km legten wir eine erste kleine Rast ein, nach 40 km die nächste und nach 60 km hatten wir das Glück, einen Ort namens Point Pleasant zum Mittagessen zu erreichen. Der eine oder andere suchte ein Fastfood-Restaurant auf, der Rest fuhr zum Supermarkt und kaufte Tütensuppen. Ein Veganer radelte in unserer Gruppe, er kaufte wohl auch an diesem Tag Bohnen und Äpfel.

Am frühen Nachmittag waren wir alle gut gesättigt und für die letzten 40 km bereit, denn 100 sollten es auch an diesem Tag werden. Die nächsten 20 km vergingen wie ihre Vorgänger bei schönem Wetter und hübscher Landschaft, während wir von Dorf zu Dorf radelten in West Virginia - zu diesem Zeitpunkt unserem vierten Staat im Osten der USA.

Um Kraft zu sparen, fuhren wir dicht aneinander. „Belgischer Kreisel“ nennen das die Radprofis, wobei immer nur einer an der Spitze tritt und sich alle Übrigen in seinem Windschatten mitziehen lassen. Da wurde uns der fehlende Randstreifen zum Verhängnis: Eine kleine Bremsung des Vordermannes schaukelte sich bis zum Ende unserer 5er-Gruppe so weit auf, dass der hinten fahrende Radler nicht mehr anhalten konnte und über seinen Lenker stürzte. Sofort Geschrei, der Tross kam zum Stehen und alle blickten sich um. Zuerst einmal sah man nur einen Knäul aus Fahrrad, Gepäcktaschen und einem Menschen, der in einer riesigen Milchlache schwamm, die aufgeplatzte Flasche gleich daneben. Langsam begann der Verkehr an der Unfallstelle vorbei zu fließen und selbst von einem Polizeiauto bekamen wir nichts als verdutzte Blicke geschenkt.

Schnell wurden nun Rad und Radfahrer in eine gegenüberliegende Einfahrt geschleppt. Es galt zunächst einmal, Luft zu holen. Das Vorderrad hatte aus dem richtigen Winkel betrachtet die Gestalt einer Banane angenommen, die Speichen teilweise kaum mehr als solche erkennbar. Ein Anwohner berichtete von einem Zeltplatz in 2 km Entfernung, da sollte es nun hingehen. Mit rabiatesten Methoden bogen wir die Banane in Form, sodass man den Drahtesel wenigstens würde schieben können. Am Zeltplatz konnte man weitersehen.

Coast_To_CoastGesagt, getan und so machten wir die Bekanntschaft von Paul, dem Besitzer einiger riesiger Wiesen, die er seinen Campground nannte. Zelte sah man hier übrigens nicht, normalerweise nahm er die auch gar nicht auf. Amerikaner zelten in Wohnmobilen, die nicht selten die Ausmaße deutscher Reisebusse haben.

Als Paul von unserem Unglück erfuhr, bot er uns einen Platz an. „Umsonst“, fügte er hinzu, als kleinen Beitrag zu unserer tollen Tour. Rückblickend steht Paul exemplarisch für so viele Amerikaner, die uns mit kleinen Freundlichkeiten und Geschenken überhäuften. Wie oft hielt neben uns ein Auto, um uns nur eine Cola und ein paar Chips zu geben. Es stimmt eben, es gibt keine bessere Möglichkeit, Vorurteile abzubauen, als beim Reisen.

Paul wiederum war mit seiner Freundlichkeit noch nicht am Ende. Er nahm unseren Pechvogel am darauf folgenden Tag samt seinem ramponierten Gefährt mit in die nächste Stadt zu einem Fahrradladen und holte ihn am Abend wieder ab. Auf dem Heimweg spendierte Paul noch Burger, natürlich Supersize!

Diese Anekdote erzählt von einem ganz normalen Tag unserer Reise, der ein abenteuerliches Ende fand. Geschichten wie diese haben wir viele und genau darin lag der Reiz unserer Tour. Waren wir an diesem Tag am Ohio River von New York nach LA geradelt, um die USA zu durchqueren? Ganz sicher nicht! Gute zwei Monate später würden wir alle am Pazifischen Ozean stehen, um nach 5749 Kilometern überwältigt und orientierungslos aufs Meer zu starren und uns zu fragen: „Sind wir nur deshalb so weit gefahren?“ Nein, das waren wir nicht. Ohne dass wir je ein Wort darüber verloren hätten, war längst der Weg das Ziel geworden. Als eine Gruppe von Freunden – drei davon Brüder – waren wir losgefahren, um etwas Besonderes zu erleben.

Das Gefühl, am Morgen mit der Sonne aufzustehen und in einen Tag zu radeln, der alles oder ebenso gut nichts bringen könnte, die Freiheit in wilder und atemberaubender Natur zu leben und zu reisen, die Erkenntnis, dass Amerikaner freundliche und aufgeschlossene Menschen sind und vor allem: die Zeit unter Freunden, jeden Moment zu leben und nicht an Morgen oder die Zukunft denken zu müssen – all das war diese Reise für uns und all das wird uns bis an unser Lebensende verbinden.

Und wenn wir uns heute auf einer Feier treffen, nachdem man den einen oder anderen zum Teil Monate nicht gesehen hat, dann reicht oft die Erwähnung eines Ortes oder eines Namens wie „Paul“, um 5 Freunde zum Schmunzeln zu bringen, den Blick in die Ferne gerichtet an einen Ort, den nur sie kennen, und den keiner der Umstehenden jemals mit denselben Augen sehen kann.

vortragsbild

Um einen winzigen Einblick in diese Erlebnisse zu bieten, wurde ein Mix aus, natürlich, 80 Songs zusammengestellt. Jedes Stück für sich erzählt im übertragenen Sinn von einer phantastischen Tour, auf die sich viele Menschen in ihrem Leben aus verschiedenen Gründen nicht zu begeben wagen. Wer an diesem über dreistündigen Mix interessiert ist, melde sich beim WAHRSCHAUER mit dem Betreff „80 Days“, ich werde antworten.

 

 

„Wenn Musik die Nahrung der Liebe ist, so spielt fort; stopft mich voll damit…“ (Shakespeare)