Frau_in_Kostm_Buchmesse_2012_164Mit dampfenden Füßen durch viele Buchstaben!

 

 

Leipzig: Wer eine Reise tut, der kann etwas erleben. Besonders wenn diese in Richtung Leipzig geht, wo am Wochenende mal wieder eine Buchmesse stattfand. Im verspäteten IC, anschließend in den überfüllten Bahnen, die in Richtung häßliches Messegelände rumpelten, wird mit der modernen Technik über Bücher referiert und im überheblichen und genervten Ton

palavert, über zweitrangige Autoren geschimpft, die irgendwo hilflos rumstehen und abgeholt werden wollen. Worte, wie Info, Briefing, e-Book, Umsatz und wichtige Lesung fallen. Eigentlich geht es um stinknormale Neuerscheinungen, die irgendwie verkauft werden sollen und am Ende im Ramschkorb der großen Märkte verschwinden.

Betritt man das vollklommen verglaste monströse Gebäude, knallt einem die Sonne auf den Kopf und es schallt gar mächtig, da gleich am Eingang ein blaues Sofa von lärmenden Menschen umlagert wird. Hier sitzen ab 10 Uhr überforderte Moderatorinnen mit halbwegs bekannten Bücherverfassern zusammen und führen völlig unwichtige Gespräche über den Inhalt des Druckerzeugnisses. Begeistert zuschauen werden Verlagsangehörige und Rentner, die eigentlich nur auf den griesgrämigen Heiner Geißler warten. Lärmende Schulklassen, die ihre neuesten Manga-Kostüme vorführen, ziehen marodierend vorüber und drücken der Leipziger Buchmesse den Stempel „Kaspertheater“ auf. Aber so gibt es Stimmung und das ganze Merchandise findet willige Käufer, die mit reichlich Taschengeld ausgestattet wurden.

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Alles fieberte der großen Preisverleihung entgegen. Aus einem Wust von 470 Titeln, eingereicht von 147 Verlagen, sollte eine Jury das beste Buch der Saison herausfischen. Wie die Damen und Herren das angestellt haben, bleibt ein streng gehütetes Geheimnis, denn wer liest in sehr kurzer Zeit schon so viele Bücher. Man nimmt sich einen Schriftsteller, der bekannt ist, manch Buch in den verschiedenen Bestseller-Listen platzieren konnte und von seinem Verlag immer gerne eingereicht wird. Am Ende gewann Wolfgang Herrenhof mit seinem Überschinken „Sand“ das große Rennen. Der Rowohlt Verlag hat dann auch gleich auf der Pressekonferenz eine neue Auflage angekündigt, denn jeder sollte das Buch lesen, das sich mit einem Mann ohne Gedächtnis beschäftigt, der von mystischen Personen verfolgt und von einer blonden Frau ausgenutzt wird. Oder so ähnlich. Den Preis für die beste Übersetzung bekam Christina Viragh, die Péter Nádas` Roman „Parallelgeschichten“ aus dem Ungarischen übertragen durfte. 1700 Seiten sollten schon gewürdigt werden, auch wenn es in einem Schreiben heißt, dass alles „atmosphärisch dicht“ ist und sie eine „vom Düsteren ins Helle schwingende Sprache gefunden“ hat. Das beste Sachbuch der Saison stammt von Jörg Baberowski, was vorauszusehen war. Er beschäftigte sich nämlich in seinem Buch „Verbrannte Erde, Stalins Herrschaft der Gewalt“ mit dem Untergang des Kommunismus. In Deutschland ist solch ein Text gefragt, um von den Neonazis und den schlimmen Taten des Nationalsozialismus abzulenken. Besser auch, als Caolin Emckes Erforschung ihrer eigenen sexuellen Sozialisierung oder Wilfried F. Schoellers wunderbare Biographie über Alfred Döblin? Stalin kommt immer gut. Und besonders, wenn sich der Autor mit „der in Blut ertränkten Gesellschaft auf ganz neue Weise nähert“.

Wer nun die Preisverleihung überstanden hatte, der konnte sich in den folgenden Tagen durch die Messehallen schieben und irgendwelche Bücher anfassen und verschiedenen Schriftstellern bei ihren Vorträgen und Lesungen lauschen. Ganz besonders viel Platz nahm die LVZ-Autorenarena ein, in der Schnauzbartträger, dicke Männer, runzlige Frauen und unbekannte Ostmusiker von Regionalredakteuren zur Befragung einbestellt wurden. Hier saßen Thea Dorn, die während eines USA-Aufenthalts Sehnsucht nach deutschem Spargel bekam, der durch die Sams-Figur schweinereich gewordene Paul Maar, Dirk Zöllner, der sogar während der heiteren Runde zur Gitarre griff und die 84-jährige Schauspielerin Barbara Rütting, die als Geierwally bekannt wurde und nach einem Burnout natürlich gleich ein Buch schreiben mußte. Verschiedene sächsische Kabarettisten präsentierten ihre angeblich ironischen Bücher und die schlimmste aller Ossitussen, Ute Freudenberg, nannte ihre Autobiographie „Jugendliebe“. Gut, dass das immer saubere WC gleich in der Nähe war. Über ihr angebliches Verhältnis mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Thüringens, Dieter Althaus, kann man leider nichts lesen. Werden wir Thüringer wohl dumm sterben.

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Wer genug von diesen „freudigen“ Erlebnissen hatte, die immer wieder in Lobhudeleien und schmierigen Beglückwünschungen endeten, der ging schnellen Schrittes in Halle 5. Hier waren viele linke Buchverlage und Zeitschriften zu finden, die mit ihren Neuerscheinungen gar mächtig aufrüttelten und den Menschen damit ein neues Stück Gehirn öffneten. Hier standen die Junge Welt neben dem Verlag Das Neue Berlin, etwas mehr rechts residierte das Neue Deutschland, weiter vorn konnte man sich die wichtigen Bücher vom Kulturmaschinen Verlag anschauen. Die Druckerzeugnisse vom Dietz Verlag zeugten davon, dass Deutsche mit einer linken Gesinnung noch existieren.

Da gab es gar ein Wiedersehen mit Dietmar Keller, der einstmals ernsthaft eine Öffnung der DDR zur Demokratie verfolgte und in der Modrow-Regierung zum Kulturminister aufstieg. Dass die Staatssicherheit ihn seit seinem 12. Lebensjahr an den Fersen hing, kam ebenfalls zur Sprache. Jörn Schütrumpf räumte derweil mit dem Klischee auf, daß Rosa Luxemburg eine männerverzehrende Megäre gewesen sei. Er redete über die Sache selbst und stellte einige Liebesbriefe von Rosa Luxemburg vor. Verpasst hatte man „leider“ in den anderen Hallen Hans Dietrich Genscher, Gojko Mitic, den mittlerweile verrückt gewordenen Gesundheitsapostel und Schlagerbarden Christian Anders, den „Grenzgänger zwischen Kirchenmusik und Pop“ Dieter Falk („singt alle mit: tamtamtam!“) und den Boxtrainer mit der „weichen Birne“ Ulli Wegener.

Wer am Abend noch Lust auf Literatur verspürte, der konnte an allen Messetagen in ganz Leipzig Lesungen besuchen. So beschäftigten sich Jürgen Roth und Gerhard Polt mit dem Politiker Franz Joseph Strauß und ließen den Toten sogar auferstehen, indem sie seine Schimpfkanonaden und Verwünschungen noch einmal einspielten. Max Prosa sang irgendwo, der „Verband deutscher Schriftsteller“ las ziemlich grimmig gegen Nazis schlechte Texte und der Freiheitskämpfer und gegen die Ungerechtigkeiten in der Welt agierende Lutz Rathenow stellte in einem Autohaus (Sic!) des Buch „Mit dem Fiesta durch den wilden Osten“ vor. Lohnen tat sich das Treffen mit dem 1933 in Sondershausen geborenen Künstler Ronald Paris. In einem lockeren und trotzdem sehr informativen Gespräch mit Karlen Vesper erläuterte er im Gewerkschaftshaus seine ungewöhnliche Kunst, die immer die Neugier als Quelle der Inspiration nahm. Ganz ohne Hemmungen ging Paris auf das Epochengemälde „Lob das Kommunismus“ ein und sprach über Otto Nagel, deren Meisterschüler er war. Erinnert wurde sehr intensiv, durch den Veranstalter „Kulturmaschinen“, an den großen Liedermacher und Schriftsteller Franz Josef Degenhardt. Im leider etwas ungünstig gewählten Veranstaltungsort (Finanzamt Leipzig) sangen und lasen Rolf Becker, Jan Degenhardt, Leander Sukov und Simone Barrientos.

Dt_Volk_klagt_an_Buchmesse_2012_132Fidel Castro schilderte in einem Buch seine Erinnerungen an den Guerillakampf den Sierra Maestra im Jahr 1958. Die deutsche Erstveröffentlichung stellten der Lateinamerikawissenschaftler Dr. Peter Gärtner, der ehemalige DDR-Botschafter in Kuba Heinz Langer und der Junge Welt Autor Andrè Scheer in einem Gespräch vor. Besucher des Ring-Cafès erfuhren viel über die Befreiungsbewegung in Lateinamerika und erkannten, dass die Kubanische Revolution bis heute nichts von ihrer Strahlkraft eingebüßt hat.

Am Ende des ganzen Wahnsinns dampften die Füße, qualmte der Kopf und zeigte die Geldbörse Ebbe an (Bierpreise). Viele werden noch lange von den Veranstaltungen schwärmen und den Intellektuellen raushängen lassen, sich über ihr Treffen mit berühmten Schreiberlingen wie Bolle freuen oder aufatmen, dass sie Peter Ensikat, den „Hundepapst“ Ronald Lindner, Roger Willemsen, Petra Nadolny, Andre Heller und Alexander G. Schäfer verpassten.