„Hat mein Sohn eine Waffe gehabt?“, war die Frage der Mutter des getöteten jungen Mannes. Sie stellte die Frage den beiden Beamten, die wenige Stunden nach dem Tod von Rene Bastubbe in Nordhausen bei ihr zu Hause aufkreuzten und ihr erzählen wollten, dass ihr Sohn selbst schuld gewesen sei. „Nein“, war die Antwort der Polizisten. Daraufhin wurden die Beamten von der Mutter aus dem Haus verwiesen.
Das war am 28.7.2002. Warum jetzt davon schreiben? Weil sich nicht alles, was so lange zurückliegt, erledigt hat und weil der Schatten der Vergangenheit manchmal bis in die Gegenwart reicht. Durch den Schuss aus einer Polizeiwaffe wurde damals nicht nur das Leben eines jungen Vaters ausgelöscht, sondern auch das der nächsten Angehörigen zerstört. Weder die Eltern, noch sein Bruder Gilbert noch seine Freundin Sindy sind bis heute über die Ereignisse dieser Nacht hinweggekommen. Ihr Leben ist durch die Umstände von Renes gewaltsamen Tod sowie den folgenden juristischen und medialen Umgang damit bis heute grau gezeichnet. Deshalb muss es für sie besonders unerträglich sein, dass der Todesschütze, Rene Strube, jetzt als Höcke-Fan zur Landtagswahl in Thüringen für die AfD antritt.
Und auch heute wieder versagen wie damals die lokalen Medien. Sie thematisieren weder die Problematik, dass der Polizist dem Höcke-Flügel nahesteht, in annähernd ausreichender Weise. Und dass gerade dieser Polizist unter mehr als fragwürdigen Umständen in Nordhausen einen Menschen erschossen hat, findet nicht die geringste Erwähnung. Auch nicht auf der regionalen Nachrichtenplattform NZZ-Online, die damals über den tödlichen Schuss berichtete. Stattdessen liest man dort lapidar: „Im Wahlkreis I (Nordhausen Land) wird mit dem Familienvater René Strube ein erfahrener Polizeibeamter ins Rennen geschickt, der sich im Landtag besonders im Themenbereich Innere Sicherheit profilieren möchte.“ (NZZ, 12.7.2019) Spätestens bei der Erwähnung des Themas Innere Sicherheit wäre eine kleine Anmerkung fällig gewesen. Denn Beschreibungen können auch dadurch unseriös werden, indem wichtige Dinge nicht genannt werden.
Rene Bastubbe und Rene Strube
Der Wahrschauer fuhr 2002 nach Nordhausen in Thüringen und machte zu dem tödlichen Polizeischuss eine ausführliche Reportage (Ausgabe 45; Nachbestellungs-Tool funktioniert nicht => bitte über Kontaktformular bestellen). Deshalb an dieser Stelle nur eine Rückblende im Schnelldurchlauf:
Der erschossene Rene Bastubbe wird am 20.6.1972 in Nordhausen geboren und macht noch in der DDR eine Ausbildung zum Schlosser. 1991 wird ihm die Beteiligung an einer schweren Körperverletzung vorgeworfen und er muss für zwei Jahre ins Gefängnis. Nachdem er entlassen worden ist, wechselt er seinen Freundeskreis. Er beginnt sich mit Musik zu beschäftigen, hat Kontaktzur Frankfurter Band Hassmütz. Foto: Rene Bastubbe
1998 wird er Vater und kurze Zeit später verweigert er nach der Einberufung zur Bundeswehr den „Dienst an der Waffe“. Stattdessen macht er Zivildienst in der nördlich von Nordhausen gelegenen Gedenkstätte des ehemaligen KZ Mittelbau-Dora, leitet Führungen und lernt dort den ehemaligen KZ-Häftling Willi Frohwein kennen, der nicht nur Mittelbau-Dora, sondern auch Ausschwitz überlebt hat. René Bastubbe beschäftigt sich von nun an intensiv mit der Zeit des Nationalsozialismus und kommt zu dem Schluss, dass Nazis die einzigen Menschen seien, die man bedingungslos hassen kann. Willi Frohwein hält bei der Beerdigung von Rene Bastubbe eine Rede. Sechs Tage zuvor am frühen Morgen des 28.7.2002 war René Bastubbe vom Polizisten Rene Strube erschossen worden.
Der Todesschütze Rene Strube, Jahrgang 1971, Polizist, Familienvater, Mitglied in einem Schützenverein war noch im Mai 2002 Teilnehmer des polizeiinternen Seminars „Nichtschießen/Schießen“, in dessen Programm es u.um Stress- und Konfliktbewältigung, Kommunikation, Pädagogik, Taktik, Eigensicherung und Ethik ging. Nur wenige Wochen später erschießt er Rene Bastubbe. Rene Strube wird anschließend, 2003, vor der Strafkammer in Mühlhausen von dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Und jetzt? Im Oktober 2018 wird der Todesschütze auf Platz 34 der AfD-Landesliste für die Thüringische Landtagswahl 2019 gewählt. Zusätzlich wird er im Juli 2019 AfD-Direktkandidat - im Wahlkreis Nordhausen I.
Rückblick: Ermittlungen zum Tathergang
Rene Bastubbe feiert in der Nacht des 27.7.2002 ausgelassen mit seinem Freund Marco. Mit ihrem letzten Geld wollen sie sich an einem Automaten in der Innenstadt Zigaretten ziehen. Aber der Automat spuckt die Schachtel nicht aus. Sie randalieren am Automaten und werfen auch Steine dagegen. Um 4.30 Uhr ruft jemand die Polizei. Es kommen zwei Beamte, die sich den jungen Männern unbemerkt nähern können. Renes Freund Marco wird von einer Polizistin sofort mit Handschellen an einem Geländer fixiert. Die folgende Aktion ihres Kollegen, Rene Strube, verläuft hingegen mit tödlichen Folgen. Was genau passiert ist, ist bis heute nicht restlos geklärt. Zum Tathergang verweigerten die Polizisten zunächst die Aussage - die Polizistin ungefähr eine Woche lang, Todesschütze Rene Strube bis zum Prozess. Obwohl weder eine Aussage der unmittelbar Tatbeteiligten noch der Obduktionsbericht vorlag, legte sich die Staatsanwaltschaft in Mühlhausen wenige Stunden nach der Tat auf Notwehr fest: Es gäbe Zeugen, die gesehen haben wollen, dass Rene Bastubbe Steine auf den Polizisten geworfen hätte (Thüringische Allgemeine, 29.7.02). Zu diesem Zeitpunkt lag aber bereits mindestens eine Aussage vor, die nicht zur Notwehrsituation passt. Denn Rene Bastubbes Freund Marco wurde, noch unter Schock stehend, am Morgen der Tat, wenige Stunden nach dem Schuss auf dem Polizeirevier zu einer Aussage gedrängt. Später machte Marco in einem Interview mit dem Wahrschauer folgende Aussage über die unmittelbare Situation vor dem Schuss: „Rene hat keinen Aufstand gemacht. Schon gar nicht, wenn man wie er, jemanden den Rücken zugewandt hat, die eine Hand vor den Kopf hält und sich mit der anderen vom Boden abstützt.“ Zwei Anwohner, mit denen der Wahrschauer damals sprach, sagten: „An der Stelle, wo sich Rene gebückt hat und erschossen worden ist, da lagen keine Steine.“ Es ist ebenfalls befremdlich, dass keiner der anwesenden Polizisten erste Hilfe leistete, obwohl der Krankenwagen erst ca. 20 Minuten nach dem Schuss eintraf.
Foto: Tatort in der Innenstadt von Nordhausen im Jahr 2002
Dann die Fakten aus dem Obduktionsbericht: Rene Bastubbe hatte 2,56 Promille Alkohol und Kokain im Blut, Pfefferspray in den Augen und wurde mit einem 9mm „Mann stoppenden“ Projektil aus der Polizeiwaffe in den unteren Rücken getroffen. Der Schusskanal verlief vom unteren Rücken fast durch den gesamten Oberkörper bis zum Schlüsselbein, wobei auch eine Hauptschlagader zerrissen wurde. Ein solcher Schusskanal ist nur möglich, wenn Rene Strube in dem Moment getroffen wurde, als er sich vom Polizisten abgewandt in einer Position befand, in der sein Oberkörper leicht nach unten geneigt war, also entweder sich bückend oder in einer „Vierfüßer“-Position.
Obwohl also die beteiligten Beamten keine Aussage machten und andere Zeugenaussagen offensichtlich widersprüchlich waren, legte sich die Staatsanwaltschaft Mühlhausen bereits am Tag der Tat auf einen erstaunlich detaillierten Tathergang fest: „Der Polizist (Rene Strube) habe ihn (Rene Bastubbe) mit Pfefferspray außer Gefecht setzen wollen. Allerdings habe dies nicht die erhoffte Wirkung gezeigt. Der Täter habe sich nach dem nächsten Stein gebückt und auch nicht auf den Ruf ‚Lass das‘ reagiert. Deshalb habe der Beamte geschossen. Vermutlich wollte er den Täter durch einen Schuss in den Oberschenkel stoppen. Da sich der Nordhäuser jedoch in der Bewegung befand – er bückte und drehte sich wahrscheinlich gleichzeitig – traf ihn die Kugel in den Rücken und blieb in der Körper-Vorderseite unter dem Schlüsselbein stecken.“ (Thüringische Allgemeine, 29.7.02)
Diese medial verbreitete ungewöhnlich ausführliche Darstellung bereits zu Beginn der Untersuchung erschwerte eine tatsächlich ergebnisoffene Ermittlung durch die Kriminalpolizeiinspektion Nordhausen. Hinzu kommt, dass die ermittelnden Kripo-Beamten saßen mit dem Todesschützen unter einem Dach in der Inspektion Nordhausen. Zweifellos ein Risiko für eine unvoreingenommene Aufklärung. „Wir haben keine Veranlassung irgendetwas zu vertuschen“, sagte der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Mühlhausen proaktiv gleich am ersten Tag (Thüringische Allgemeine, 29.7.02). Aber um das unter Beweis zu stellen, hätte der Fall an die Ermittlungseinheit „Interne Ermittlungen“ abgegeben werden müssen, so wie es eigentlich auch vorgesehen ist. Denn seit 1996 verfügt die Thüringer Polizei über diese spezielle Einheit, die für die Aufklärung von Straftaten gegen Polizisten im Zusammenhang mit ihrer Dienstausübung zuständig ist. Bei einem Schusswaffeneinsatz mit Todesfolge sollte dies also erst recht gelten. Stattdessen sagte der für den Fall zuständige Oberstaatsanwalt Hans-Joachim Petri in Mühlhausen damals, dass es zwar möglich wäre, dass die Abteilung „Interne Ermittlungen“ die Arbeit mache, man habe aber geklärt, dass die Ermittlungen weiter von einem Beamten mit „exzellenter Kompetenz“ in der Landespolizeidirektion Nordhausen geführt werden (NZZ, 26.8.2002). Ein schlechtes Argument, denn exzellente Kompetenz hätte es sicherlich auch in der Abteilung „Interne Ermittlungen“ gegeben. Nicht die Kompetenz der Ermittler stand in Frage, sondern die Sicherstellung unabhängiger Ermittlungen.
Es gibt weitere Ereignisse, die stark darauf hindeuten, dass es keine unabhängige Ermittlung gegeben hat. Beispielsweise überschritt der Polizeichef der Landespolizeidirektion Nordhausen, Lierhammer, klar seine Befugnisse, als er sich an den Arbeitgeber der Verfasserin eines Leserbriefs wandte, die sich kritisch zu der Darstellung des Tathergangs durch Polizei geäußert hatte. Den Namen des Arbeitgebers hatte sich Lierhammer auf eine „nicht zu rechtfertigende Art“ beschafft - so das Innenministerium, das den Polizeichef auch deutlich belehrte, dass er seine emotionale und unsachliche Reaktion auf Kritik in Zukunft zu unterlassen habe. Außerdem übte die Polizei auf subtile Weise Druck auf die Angehörigen von Rene Bastubbe aus, die sich für eine faire Ermittlung und Berichterstattung einsetzten. Der Wahrschauer berichtete ausführlich darüber, z.B. über die Festnahme des Bruders genau einen Monat nach dem Todesschuss, in seiner Ausgabe Nr. 45. Schon aufgrund dieser Ereignisse wäre es notwendig gewesen, die Ermittlungen nicht von der Kriminalpolizeiinspektion Nordhausen, sondern ergebnisoffen durch die externen Experten der „Internen Ermittlung“ durchführen zu lassen.
Für die Kriminalpolizeiinspektion Nordhausen gab es von Anfang nur eine Variante, die in Betracht gezogen wurde, nämlich dass der Kollege aus ihrer Direktion in Notwehr gehandelt hatte. Zeugenaussagen, die mit der Notwehrsituation nicht zusammenpassten, wurden nicht ausreichend gewürdigt.
Die Anklage der Staatsanwaltschaft gegen Rene Strube lautete auf fahrlässige Tötung in einer Notwehrsituation – ein sogenannter Notwehrexzess. Die These von der Notwehrsituation hat allerdings eine entscheidende Schwäche. Sie funktioniert nicht ohne die Annahme, dass sich Rene Bastubbe nach hinten gedreht und nach einem Stein gebückt hat, nachdem er vorher bereits zwei 3 bis 3,5 Kilogramm schwere und 20x10x8 cm großen Pflastersteine geworfen haben soll. Die Anzahl der geworfenen Pflastersteine variiert in den Zeugenaussagen zwischen null, ein, zwei und mehreren. Ohne diesen Bewegungsablauf des Bückens nach einem Stein ist der Einschuss in den unteren Rücken und der Schusskanal im Körper nicht in Einklang mit einer Notwehrsituation zu bringen.
Aber die Darstellung des Moments der Schussabgabe ist in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft widersprüchlich. Einmal gibt der angeklagte Polizist den Schuss ab, bevor Rene Bastubbe sich bückt, an anderer Stelle heißt es, der Schuss sei abgegeben worden, nachdem er sich bückt. Wenn jedoch der Schuss davor abgegeben wurde, dann hätte Rene bei der Schussabgabe keinen Stein in der Hand gehabt. Das Landgericht kam im Urteil zu der Bewertung, dass der Schuss abgegeben wurde, bevor er sich gebückt hat – er also in diesem Moment keinen Stein in der Hand hielt. Nach Meinung des Gerichts sei es trotzdem eine Notwehrsituation gewesen, weil „ein begonnener Angriff erst dann nicht mehr gegenwärtig ist, wenn eine unmittelbare Wiederholung nicht mehr befürchtet werden muss (BGH NStE Nr. 15 zu § 32 StGB)“. „Unmittelbar“ ist aber dabei entscheidend. Denn wenn jemand eine Waffe in der Hand hält, die eine „unmittelbare“ Fortsetzung einer lebensbedrohlichen Attacke befürchten lässt, muss die Attacke selbst nicht abgewartet werden. Das erscheint logisch. Aber da Rene Bastubbe keinen Stein in der Hand hielt, wären vor einer Fortsetzung der Attacke folgende Handlungen nötig gewesen: umdrehen, bücken, Stein greifen, wieder umdrehen und aufrichten, zielen und werfen. Jeder, der sich an die letzte Schneeballschlacht erinnert, der weiß, dass wenn der Gegner diese beschriebene Aktion einleitet eben keine „unmittelbar“ Attacke zu befürchten ist. Es entsteht stattdessen ein Zeitfenster, in dem man selbst ohne attackiert zu werden agieren kann. Zeit, in der auch Rene Strube andere Maßnahmen zum Selbstschutz oder zur Überwältigung hätte einleiten können. Ein Polizist muss in der Lage sein, in dieser Situation das Zeitfenster für andere taktische Maßnahmen zu nutzen, zum Selbstschutz oder zur Überwältigung, die eine unmittelbare und potentiell tödliche Schussabgabe ohne Vorwarnung aus drei Metern Entfernung auf den Körper eines Randalierers überflüssig machen. Das Gericht behauptet, dass die notwendige Bewegungsabfolge für einen weiteren Steinwurf in „weniger als einer Sekunde“ möglich gewesen wäre. Offensichtlich wollte das Landgericht mit dieser unrealistisch kurzen Zeit die „Unmittelbarkeit“ einer möglichen nächsten Attacke unterstreichen.
Dass die Zeitangabe des Landgerichts unrealistisch ist, kann durch ein experimentelles Nachstellen der Situation leicht herausgefunden werden. Es sind mindestens 1,5 Sekunden notwendig für die Bewegungsabfolge umdrehen-bücken-greifen-drehen-werfen. Dies aber auch nur unter der Bedingung, dass der unhandliche und recht schwere Stein (3,5 Kilogramm mit 20x10x8 cm) sofort greifbar ist und lediglich ohne genaues zielen in die Richtung der Person geworfen wird. Drei Meter sollen Opfer und Täter laut Landgericht bei der Schussabgabe entfernt gewesen sein. In dem 1,5-Sekunden-Zeitfenster für die Bewegungsabfolge umdrehen-bücken-greifen-drehen-werfen hätte Polizist Rene Strube seinen Standort um rund drei Meter ändern können.
Nebenbei: In einem nachgestellten Experiment wäre ich jeder Zeit dazu bereit mich drei Meter entfernt von einer Person aufzustellen, die hinter sich einen solchen Stein zu liegen hat und mich aus der Drehung heraus von dieser Person bewerfen zu lassen, unter der Bedingung, dass ich mich ab dem Moment bewegen darf, wenn die andere Person sich anfängt zu bewegen. Mit einer relevanten Wahrscheinlichkeit ist diese Situation für den beworfenen nur lebensgefährlich, wenn sie bewegungsunfähig gewesen wäre. Das war der Polizist Rene Strube aber nicht.
Die Beschreibung der Handlungsabfolge des Polizisten ist im Urteil aber noch unverständlicher. Denn das Landgericht kommt in seinem Urteil zu dem Ergebnis, dass der Polizist Rene Strube einem Stein ausweicht, die Pistole zieht und nach oben richtet, um einen Warnschuss abzugeben. In diesem Moment hat Rene Bastubbe keinen Stein mehr in der Hand. Trotzdem reißt Rene Strube die Waffe - ohne einen Warnschuss abzugeben - wieder runter und drückt ab. Warum? Das Landgericht schreibt im Urteil: „Er ging davon aus, dass sein Gegenüber diese Würfe auch unmittelbar fortsetzen würde.“ Nein, das ist nicht überzeugend. „Unmittelbar“ hätte nach dieser Beschreibung lediglich Rene Strube einen Warnschuss abgeben können, weil er die Waffe bereits nach oben gerichtet hatte, als Rene Bastubbe noch keine Bück-Bewegung nach einem neuen Stein eingeleitet hatte.
Noch entscheidender im Hinblick auf die Einschätzung einer möglichen Notwehrsituation ist aber, dass Rene Bastubbe, nachdem die „mannstoppende“ Munition seinen gesamten Oberkörper durchschlagen und dabei u.a. die Lunge und eine Hauptschlagader zerfetzt hatte, sofort bewegungsunfähig war. Deshalb hätte sich der Stein, nach dem Rene Bastubbe sich gebückt haben soll, unmittelbar an seinem Körper befinden müssen. Das haben aber die Ermittlungen der Kriminalpolizeiinspektion Nordhausen offensichtlich nicht ergeben, weil dazu weder ein Hinweis in der Anklage der Staatsanwaltschaft noch im Urteil zu finden ist. Zur genauen Position des Erschossenen am Tatort fehlt stattdessen jeder Hinweis. Wenn aber kein Stein in Griffweite des Erschossenen war, dann kann der Erschossene sich nicht nach diesem gebückt haben. Damit ist der von der Staatsanwaltschaft und dem Gericht konstruierten Notwehrsituation die Grundlage entzogen. Und die „Unmittelbarkeit“ der Bedrohung im Moment der Schussabgabe vollkommen absurd.
Auch diese Leerstelle stellt die „exzellente Kompetenz“ der Kripo der Landespolizeidirektion Nordhausen, aber auch das Urteilsvermögen des Landgerichts, mehr als in Frage. Doch am Ende wurde Rene Strube in einem skandalösen Urteil von allen Vorwürfen freigesprochen. „Eine Entscheidung mit der keiner wirklich gerechnet hatte“, so der damalige Kommentar des MDR zum Urteil. Interessant ist auch, dass das Landgericht zu dem Freispruch kommt, obwohl es die Aussagen von Rene Strubes Kollegin, die mit ihm zusammen am Tatort war, für widersprüchlich und konstruiert hält.
Polizeiversager kandidiert für Höcke-Faschisten
Rene Strube mag strafrechtlich auf Grundlage fragwürdiger Ermittlungen und Urteile freigesprochen worden sein. Aber die Anklageschrift macht trotzdem folgendes deutlich: Rene Strube, der als Polizist wenige Monate vor der Tat ein Spezialseminar für „Nichtschießen/Schießen“ absolvierte, versagte kurz darauf in genau der trainierten Situation im Streifendienst. Obwohl Alternativen für seinen lebensgefährlichen Schusswaffengebrauch vorhanden waren, entschied er sich für die unverantwortlichste Variante - mit tödlichen Folgen. Nach dieser Darstellung verhielt er sich unverantwortlich und dilettantisch. Aber selbst auf Grundlage der zweifelhaften Darstellung des Landgerichts, mit dem der Freispruch begründet wurde, bleibt das das Bild eines Polizisten, der überfordert war. Ein solches Verhalten ist kaum mit dem Signum „erfahrener Polizeibeamter“ in Einklang zu bringen, mit dem die regionale Nachrichtenplattform NZZ-Online den AfD-Direktkandidaten Rene Strube heute adelt. Warum klären die lokalen Medien die Wähler nicht darüber auf, dass Rene Strube in einer entscheidenden Situation seines Polizeidienstes im Stadtzentrum von Nordhausen einen Menschen erschoss, obwohl er andere Möglichkeiten hatte, um sich zu schützen oder zusammen mit der Kollegin den angetrunkenen Täter zu überwältigen?
Der „Familienvater Rene Strube“ zeigte auch keinen Anstand gegenüber den Angehörigen des Erschossenen, der ebenfalls Familienvater war. Sindy, seine damalige Freundin, nahm an der Gerichtsverhandlung gegen Rene Strube teil. Sie berichtete, dass er im Gerichtssaal die Mutter von Rene Bastubbe so lange angegrinst habe, bis diese weinend den Raum verließ. Von einer Entschuldigung oder auch nur dem Ausdruck eines Bedauerns ganz zu schweigen.
Und nun kandidiert der Polizist Rene Strube bei den Thüringer Landtagswahlen für die AfD im Wahlkreis Nordhausen und will sich „besonders im Themenbereich Innere Sicherheit profilieren“. Spätestens bei dieser Ankündigung stellt sich die Frage, warum nichts über seine Vergangenheit berichtet wird. Ist es unwichtig, dass er als Polizist einen Menschen erschossen hat?
Foto: Modifiziertes Wahlplakat in Nordhausen
Auch in einem anderen Zusammenhang wird deutlich, dass die Lokalmedien den AfD-Kandidaten Rene Strube mit Samthandschuhen anfassen. Seine Verbindungen zum ultrarechten „Höcke-Flügel“ der AfD werden entweder nicht benannt oder heruntergespielt. So schrieb die Thüringer Allgemeine: „Die Polizeibeamten jedoch, die für die AfD in den Thüringer Landtag einziehen wollen, sind nach Information unserer Zeitung keine ‚Flügel‘-Vertreter.“ Aber wie realistisch ist das? Rene Strube ist seit Januar 2018 im Vorstand des Kreisverbandes Nordhausen-Eichsfeld-Mühlhausen, in dem Björn Höcke Vorsitzender ist. Und Björn Höcke ist wiederum der Vorsitzende des „Flügels“, einer völkisch-nationalistischen Gruppierung innerhalb der AfD. Im Vorstand von Höckes Kreisverbandes übt Rene Strube seit Anfang 2018 für seinen Chef sogar die Funktion des Schriftführers aus (AfD, 23.1.2018). Dazu gehört auch die Aufgabe der Protokollerstellung von Vorstandssitzungen. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass Rene Strube das Vertrauen von Höcke besitzt. Der Polizist Rene Strube hat auch gar kein Problem damit, als Höcke-Mann zu gelten. Journalisten sagte er, dass „echte Begeisterung für Björn Höcke“ der Grund dafür ist, dass er in die AfD eingetreten ist (TA 10.10.2019). Im Wahlkampf wurde Rene Strube außerdem von einer anderen zentralen Führungsfigur des „Flügels“, Andreas Kalbitz, dem Landes- und Fraktionsvorsitzendem der AfD Brandenburg, unterstützt (NNZ, 9.10.2019). Schon diese kurze Auflistung macht deutlich: Rene Strube ist ein Höcke-Mann. Und solange er sich nicht öffentlich vom „Höcke-Flügel“ distanziert, so wie es der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei von ihm und den anderen Polizisten auf der Höcke-Liste verlangt hat (Welt-online, 6.10.2019), ist es wahrscheinlich, dass er auch zum „Flügel“ gehört. „Der Flügel“ der AfD wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz als „Verdachtsfall“ betrachtet und kann deshalb mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden. Möglich ist also, dass der Polizist Rene Strube bereits vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Dass demokratische Medien Höcke-Leute verharmlosen, ist verantwortungslos. Denn in Höckes „Flügel“ sind die radikalsten AfDler organisiert, die nach Angaben des Verfassungsschutzes eine „Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten, insbesondere Muslimen, und politisch Andersdenkenden“ anstreben. Für seine Propaganda verwendet Höcke gerne zentrale Begriffe Hitlers und der Nazis. Das „tausendjährige Reich“ wird in seinen Reden zu „tausendjähriges Deutschland“. Selbst die AfD hat Höcke deshalb „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“ vorgeworfen. Gerichtlich bestätigt ist, dass Höcke als „Faschist“ bezeichnet werden kann. Und der Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft, Jürgen Hoffmann sagt: „Wenn ein Polizeibeamter auf einer Wahlliste mit Herrn Höcke steht, könne er vielleicht darüber nachdenken, ob das mit den Grundsätzen eines Beamten vereinbar ist“, sagt Hoffmann (TA, 12.2.2019). Das ist noch viel zu vorsichtig formuliert. Und im speziellen Fall von Rene Strube kommt dazu, dass er nicht einfach nur auf Höckes Wahlliste steht. Er kandidiert zusätzlich als Direktkandidat in Nordhausen und ist Schriftführer in Höckes Kreisverband. Das ist mit den Grundsätzen eines Beamten, der die demokratische Grundordnung zu verteidigen hat, noch weniger zu vereinbaren.
Rene Strube ist Teil von Höckes Strategie, möglichst viele Polizisten, Bundeswehrsoldaten und Justizbeamten in der AfD zu haben, um damit neben der Straße und den Parlamenten eine „dritte Front“ im Staatsapparat selbst zu eröffnen. Der Thüringische Verfassungsschutzchef, zuständig für Höcke, sagt, dass dies „der Versuch ist, den Staat durch eigene Staatsdiener, quasi von innen zu zersetzen.“ (TAZ, 13.6.2019) Höcke versucht diesen Plan mit der Wahlliste für Thüringen umzusetzen. Auf der AfD-Liste kandidieren überdurchschnittlich viele Polizisten.
Wenn nach dem Terroranschlag in Halle von vielen Politikern, wie dem SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, die AfD pauschal für mitverantwortlich erklärt wird, dann muss dies besonders für die radikalen Höcke-Leute gelten. Und wenn vom niedersächsischen Innenminister gefordert wird, dass Höcke nie mehr als Lehrer arbeiten darf, dann muss auch die Frage gestellt werden, ob Höcke-Leute im Polizeidienst verbleiben können.
Wie eingangs schon erwähnt, hat der von Rene Strube erschossene Rene Bastubbe einmal gesagt, dass Nazis die einzigen Menschen sind, die man bedenkenlos für das, was sie getan haben, hassen kann. Ich möchte mir nicht vorstellen, was AfDler um Björn Höcke machen würden, wenn sie einmal an die Macht kämen. Deshalb ist es unsere Pflicht, der perfiden Höcke-Strategie einen Strich durch die Rechnung zu machen. Ein Höcke-Fan wie Rene Strube gehört deshalb weder ins Parlament noch in den Polizeidienst.