Es geht „um den Schnaps, den man trinken muss, um das Bier, das man trinken muss und um die Antifa, die stark sein muss, damit man in Ruhe trinken kann!“
BERLINSKA DRÓHA („Berliner Straße") machen Punkrock. Oder so. Mit Geige und
Klavier und Percussion. Den Text versteht man teilweise nicht, denn gesungen wird - zumindest auf sechs der zwölf Songs - auf Sorbisch. Fürwahr, BERLINSKA DRÓHA ist kein gewöhnliches Projekt.
Warum Sorbisch? Sängerin und Pianistin Uta ist Sorbin und bezeichnet die Sprache als ihre Lieblingsmuttersprache. Paul, der einigen vielleicht als GEIGERZÄHLER bekannt ist, hat ebenfalls sorbische Wurzeln. Diese Frage wäre also geklärt. Aber wie hört sich Punkrock mit Geige und Klavier an? Unterschiedlich. Einige Beispiele: Der Opener „To Je Mój Sw?t" klingt hektisch. Die Geige ließe sich problemlos durch eine verzerrte, abgestopft gespielte E-Gitarre tauschen, was das Lied, in dem es passenderweise um den alltäglichen Konsumwahn geht, zu einem relativ konventionellen Punksong machen und es gleichzeitig seiner besonderen Stimmung berauben würde. „R??!" („Rede") dagegen kommt ganz leise daher, Utas Stimme ist nah am Ohr des Hörers, die Geige mäandert durch den Hintergrund, sodass man unweigerlich an John Cale und die frühen VELVET UNDERGROUND denkt. „Herr Krug" ist in Hausbesetzerkreisen so etwas wie ein Klassiker und es wird Zeit, dass endlich auch die Mietervereine dieses Lied für sich und ihre Mitglieder entdecken. Im Netz gibt's das übrigens zum kostenlosen Download (http://geigerzaehler.blogsport.de/reinhoerenrunterladen/) und ist wärmstens all jenen zu empfehlen, die bereits Ärger mit ihrem Vermieter hatten. „Palenc" wiederum, ein sorbisches Traditional, bedeutet Schnaps. Und im Lied geht es, wie Paul im WAHRSCHAUER Interview so schön erzählte, „um den Schnaps, den man trinken muss, um das Bier, das man trinken muss und um die Antifa, die stark sein muss, damit man in Ruhe trinken kann.“ Diese letzte Strophe gab es in der ursprünglichen Fassung des Volksliedes natürlich noch nicht. Mit dem Song „Henker" nähert sich BERLINSKA DRÓHA den musikalischen Kabarettnummern der 20er Jahre an, „Und Peter sagte" ist ein widersprüchliches, weil ironisch gebrochenes Mitgröhl-Agitationslied, "Kabarett" zelebriert den Gypsy-Swing à la Django Reinhardt - nur eben ohne Gitarre.
Die musikalische Bandbreite ist also enorm, und deshalb wirkt „Um die Ecke - Woko?o Róžka" trotz sparsamer Instrumentierung zu keinem Zeitpunkt eintönig. Das liegt nicht zuletzt an den Texten, bei denen trotz schwieriger Themen der Humor dankenswerterweise nie zu kurz kommt. Ich vermute mal, dass das auch auf die sorbischen Lieder zutrifft. Übersetzungen wären zwar schön gewesen, doch dank ausdrucksstarker Musik und süßer Bookletillustrationen von Andreas Michalke kann man sich wenigsten ungefähr denken, worum es geht.
Irritierend genug: BERLINSKA DRÓHA passen wunderbar in runtergerockte Etablissements und hätten es gleichzeitig verdient, vom Goethe-Institut um die Welt geschickt zu werden (ich frage mich nur, ob sie da Bock drauf hätten).
TIPP: Großes Interview mit exklusivem Foto sowie ein Song auf dem WAHRSCHAUER-Sampler #61!
(Vetoria Records / VÖ: 2011)