Auf ewig zu Punk verdammt
35 Jahre nach der Bandgründung und mit immer noch offenen Augen und Ohren ist jetzt der Punkt erreicht, an dem HASS nicht mehr schweigen können. Eins der Deutschpunk-Urgesteine kehrt 13 Jahre nach der Auflösung mit der neuen Platte „Kacktus“ zurück. Ihre Alben “Liebe ist tot“, “Gebt der Meute, was sie braucht“, “Allesfresser“ und “Zurück in die Zukunft“ haben Geschichte geschrieben. Mit dem genreprägenden Stil und ihren recht derben, rüden, aber immer auf den Punkt gebrachten Texten sind HASS jedem
bekannt, der mit Punk in Deutschland auch nur einen Hauch zu tun hat.
Nach dem Abschiedsalbum von 2000 und der damaligen Auflösung (nur kurzzeitig unterbrochen von der verspäteten Abschiedstour 2007) lebt die Ruhrpott-Legende jetzt wieder auf. Die Fragen, warum die Band wieder zusammengefunden hat und was die brennenden Themen sind, beantworteten uns Alex (Gitarre) und Tommy (Gesang).
WAHRSCHAUER: Wie hat es sich nach der langen Zeit ergeben, dass es HASS wieder gibt?
Tommy: Punkrock bedeutet mir und uns seit Jahrzehnten sehr viel. Pure Leidenschaft! Als wir wieder im Proberaum standen, rockten wir neues Zeug. Uns fiel nach einer Weile auf, dass sich diese Songideen nicht wesentlich von den Songs von HASS unterschieden. Wir bleiben wahrscheinlich auf ewig verdammt, diese Mucke zu machen. Uns macht es einfach so viel Spaß und wir können die Finger nicht davon lassen. In erster Linie entstanden eine Menge neuer guter Songs, die wir euch natürlich nicht vorenthalten wollen.
Alex: Für mich gibt es HASS in erster Linie wieder, weil Peter Blümer neue coole Songs geschrieben hat.
W: Die Texte, die ihr vor 15, 20 Jahren geschrieben habt, sind noch heute aktuell. Wie erklärt ihr euch dieses Phänomen?
A: Die Welt ändert sich anscheinend irgendwie nicht.
T: Der Alex wollte es, glaube ich, nicht verraten. Ich scheiße jetzt aber mal drauf und sage alles. Wir hatten damals diese alte Zauberkugel auf der Müllhalde gefunden...
Wir sind einfach interessierte Zeitgenossen, die gesellschaftskritische und persönliche Dinge aufgreifen. Das war schon immer so. Bei einigen Themen sind wir selbst erstaunt, dass sich tatsächlich nicht so viel getan hat, andere wiederum haben sich erledigt. Wie wir damit umgehen? Nun, wir nehmen es zur Kenntnis. Was sollen wir auch sonst tun? Wir sind ja keine Propheten.
W: Wikileaks, NSA-Skandal, NSU-Morde, EU-Krise, was ist für euch persönlich das einschneidendste Ereignis der letzten Zeit und warum?
T: Die Ereignisflut ist schon nervig, deshalb möchte ich da keine Rangfolge festlegen. Dass jeder über alles informiert sein will, finde ich oft grenzwertig. Wir lehnen uns im Sessel zurück und empören und jammern, was das Zeug hält. Man kann doch mit seiner Zeit durchaus etwas Schöneres anfangen, anstatt dem Burnout zu frönen.
W: Habt ihr persönlich etwas an eurem Verhalten nach dem Bekanntwerden der NSA-Affäre verändert?
T: Ich bin jetzt outtanet und quasi unmodern.
W: Facebook, Blogs, das Web allgemein - Seit einigen Jahren ist es einfach wie nie, sich politisch, kritisch und unabhängig zu informieren und zu organisieren.
A: Als Informationsquelle ist das Internet mit Sicherheit toll, ansonsten glaube ich nicht, dass das viel bringt. Im Internet kann zwar jeder seinen Senf überall zu abgeben, aber am Ende verpufft das alles tatenlos. Es geht doch kaum noch jemand auf die Straße, und viele denken, mit ein paar geistreichen Blog-Einträgen haben sie zur Weltpolitik beigetragen.
W: Ist Edwald Snowden für dich ein Held oder ein Verräter? Warum?
A: Wahrscheinlich ist er ein Held. Er riskiert sein Leben für die Wahrheit. Wenn es denn alles so ist, wie es in den Medien rüberkommt.
W: Habt ihr den Eindruck, die Politiker kontrollieren die Geheimdienste oder umgekehrt? Und wenn die Politiker nicht die Geheimdienste kontrollieren, in wessen Interesse handeln sie dann?
T: Darüber habe ich mir bis dato nicht den Kopf zerbrochen. Du solltest auch nicht soviel rumgrübeln und mal über was Gescheites nachdenken… Spaß beiseite.
Politik und deren Systeme haben immer was mit Machterhalt zu tun. Immer geht’s in erster Linie um den eigenen Arsch.
W: HASS kommt aus Marl, das ist in der Nähe von Dortmund. Dortmund gehört zu einer der Städte mit (historisch) stark gefestigten Nazistrukturen. Wie empfindet ihr die Situation vor Ort?
T: Überall gibt es diese Strukturen. Da mag jeder selbst entscheiden, was er zu tun gedenkt und wie er sich dagegen engagiert.
A: Ich komme aus Gladbeck. Da gibt es kaum Nazistrukturen. Die größere Gefahr sind hier die dumpfen Prolls an der Ecke, die, ohne es bewusst zu merken, total faschistische Gedankengänge haben. In Dortmund sieht das wohl anders aus.
W: Wie hat der Strukturwandel des Ruhrgebiets euch persönlich getroffen?
T: Man sieht Stadtteile, die verarmen. Dort geht oft die gewerbliche Infrastruktur den Bach runter. An anderer Stelle entstehen dafür riesige Konsumtempel. Das verursacht einen unheimlichen Sogeffekt für die betuchten Klassen. Das kann einen schon ankotzen.
A: Die Mieten sind günstiger geworden.
W: Wie schätzt ihr die gesamtgesellschaftliche Situation in Deutschland ein? Beschreibt bitte euren Blick in die Zukunft.
A: Uns geht es zu gut. Es wird Zeit, sich mal wieder auf das Wesentliche zu beschränken und das, was da ist, besser zu verteilen.
T: Die Gleichgültigkeit und die soziale Kälte unter den Menschen finde ich grausam und sie sind für mich schlecht zu ertragen. Die „Jeder ist seines Glückes Schmied“-Philosophie herrscht generell vor. Für soziale Belange hat man wenig Herz. Allerdings gibt es auch viel Engagement in den so genannten sozialen Bewegungen. Die Veränderung fängt aber auch und vor allem bei einem selbst an. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!
W: Was haltet ihr von der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens? Ist das ein Weg für ein glücklicheres, besseres Leben?
T: Das finde ich eine gute Idee!
A: Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube nicht, dass man grundsätzlich glücklicher ist, wenn man seinen Lebensunterhalt nicht mehr selbst sichern muss.
T: Die neoliberale konservative Politik hat den Sozialstaat seit den 80ern systematisch abgebaut. Das hat viel Ungleichheit produziert, gerade für die unteren Einkommensschichten. Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle hat viel mit Solidarität mit den Schwächeren in der Gesellschaft und mit Würde und Respekt für die Menschen zu tun.
Frank