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Castor_2010_2Den Knüppel zur Hand!


Dannenberg | November 2010: Am ersten Novemberwochenende war es wieder so weit: 11 Castorbehälter rollten über die Schienen, zum elften Mal versammelte sich die protestierende Menge. Am Samstag kamen in Dannenberg knapp 50.000 Menschen zusammen, um gemeinsam gegen den Transport von rund 123 Tonnen Atommüll und die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke auf die Straße zu gehen. Diese Zahl ist im Vergleich zu den letzten Malen erstaunlich groß, die Veranstalter hatten mit 30.000 Personen gerechnet. Seitens der DemonstrationsteilnehmerInnen – bestehend aus Bauern, Gewerkschaften, Kleinstparteien, Nichtregierungsorganisationen und umherschweifenden Müslirebellen – verlief die Auftaktkundgebung durchgehend friedlich. Während sich der Castor in Kehl bei Straßburg befand, traten auf der Großbühne diverse Redner und Musiker auf, unter anderem Bela B. und Rocko Schamoni, die sich „nicht nur gegen Atomstrom, sondern überhaupt gegen Strom“ aussprachen. Parteipolitiker waren zwar anwesend, durften aber keine Redebeiträge liefern. Stattdessen bekamen sie angemessenerweise etwas Salz auf ihre Wunden gestreut – so gab man etwa den Grünen auf den Weg, ihre Präsenz sei schön und gut, um ihre Parteiführung müssten sie sich trotzdem „noch kümmern“. Die Polizei, von Beginn an mit etwa 100 Mannschaftswagen und 10 Wasserwerfern vor Ort, hielt es für nötig, die friedliche Masse schon bei der Auftaktkundgebung mit den üblichen Provokationen zu stören und marschierte mit einer kleinen Einheit kurzerhand durch die Menge, als wäre diese ein Kriegsfeld. Die Aktion stiftete Verwirrung und Unruhe, was vorweg eine negative Haltung gegenüber den Polizeibeamten sicherte – Voraussetzung für ein gelingendes Presseszenario in den Folgetagen. Am Nachmittag kam Verstärkung für die Polizei – geschätzte 70 weitere Mannschaftswagen verpesteten Luft und Stimmung. Darunter befanden sich neben Auslandspolizisten zur Beobachtung auch Einsatzkräfte vom sogenannten  Unterstützungskommando (USK) aus Bayern, das sich Ende der 80er Jahre zur „Bekämpfung von Ausschreitungen“ formierte. 2007 zitierte die Süddeutsche Zeitung die Münchner Staatsanwaltschaft, die einen Einsatz des USK bei einem Fußballspiel als „unverhältnismäßig“ bezeichnete und von „massiven Aggressionshandlungen“ berichtete. Obwohl Baden-Württembergs Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) angekündigt hatte, dass die Polizei „keine  Gewalt anwenden“ werde, schienen massive Aggressionshandlungen Hauptaufgabengebiet der Polizei gewesen zu sein. So wurden in den Folgetagen an diversen Stellen der Schienenblockade ohne irgendwelche Bedenken Pfefferspray, Schlagstöcke und Wasserwerfer en masse eingesetzt. Lediglich die Blockierung der Zufahrtswege, etwa durch die Trecker tatkräftiger Bauern aus der Umgebung, wurde friedlich geräumt. Erstaunlich ist der breite Einsatz gegen die Atompolitik – Tausende blieben auch nach der Kundgebung und beteiligten sich an verschiedenen Aktionen zivilen Ungehorsams.


 

Im Nachhinein kritisierte der Chef der Polizeigewerkschaft den Einsatz und sprach sich gegen die Laufzeitverlängerung aus. Bei der Berichterstattung war sich die bürgerliche Presse nicht ganz einig – der Norddeutsche Rundfunk schloss sich brav der Mehrheit an und stellte die Demonstrationen  weitgehend positiv dar. Angesichts der Inbrandsetzung eines Räumungsfahrzeugs bei Hitzacker beklagte Torsten Hapke in der Tagesschau jedoch, dass die Ausschreitungen die dahinter stehenden politischen Forderungen „in den Hintergrund stellen“ würden. Leider fügte er nicht hinzu, dass die Provokationen der Polizei doch genau dafür sorgen sollten.

 

Nach immerhin drei Tagen des traditionellen Schienenschauspiels hatten Polizei und Castor-Behälter ihr Ziel erreicht. So zog die geschlagene Mehrheit denn auch von dannen. Und was sagte die Bundesregierung dazu? Erstens sei das Entfernen von Schottersteinen aus dem Gleisbett eindeutig ein Straftatbestand. Zweitens wird der Müll beim nächsten Mal nach Russland geschickt. Drittens wird Krümmel wieder angeschaltet. Das ist leider kein Scherz – immerhin die Jugend bleibt dabei noch voller Zuversicht: Die Schülerdemo am Freitag vor der Kundgebung lief unter dem Motto „Je länger eure Laufzeiten, desto größer unser Zorn“.