MICHAL WELLES
Charles Manson: Meine letzten Worte

Hannibal Verlag – VÖ: 28.03.2011
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Zuletzt aktualisiert am: 09. Juli 2011
Vielleicht ist es nur in Amerika möglich, dass ein Mann und seine Geschichte auch nach vierzig Jahren dermaßen viel Wind verursachen. So interessant wie damalige Geschehnisse ist das Jetzt: es gibt viele Amerikaner, die nach wie vor Petitionen schreiben, dass niemals irgendjemand aus der „Manson-Familie" jemals aus dem Knast rausgelassen werden soll. Diese Kommune ist verantwortlich für die Morde an Roman Polanskis damaliger Freundin Sharon Tate und vier ihrer Freunde. Der Anschlag galt nicht diesen Leuten, sondern vermutlich dem Musikproduzenten Terry Melcher, welcher sich mit den anderen Opfern im Haus von Polanski befand. Melcher hatte ein Demo-Band von Manson abgelehnt, welches er mit den BEACH BOYS(!) aufgenommen hatte. Was viele Leute nicht wissen: Charles Manson war an den Morden gar nicht beteiligt, gilt aber als Anstifter und wurde darum zum Tode verurteilt. Da die Todesstrafe in Kalifornien im Jahr 1972 abgeschafft wurde, ist die Haft in „lebenslänglich" verwandelt worden. In „ihrer" Geschichte rückt die Autorin Michal Wellis damit raus, dass sie einen psychopathischen Stiefvater hatte, der gerade aus einer siebzehnjährigen Haft kam, als er ihre Mutter heiratete. Durch die Treffen mit Manson wollte sie verstehen, wie „so ein Mensch" tickt. An dieser Stelle beginnt das Buch ein ungutes Gefühl in mir auszulösen, da sich hier Journalismus zu sehr mit Emotionen vermischen. Natürlich hat Manson die Autorin in Null Komma Nix um den Finger gewickelt und rastet aus, als er hört, dass sie von dem Stiefvater sexuell missbraucht wurde. Und an dieser Stelle ist der Besuch aus organisatorischen Gründen auch schon beendet - Charlie schäumt und wird in Handschellen abgeführt - fulminanter Auftakt einer seltsamen und langjährigen Freundschaft, die zu dem besprochenen Buch führt. Die Geschichte kriegt übrigens wieder die Kurve, da Michal Wellis sich durchaus bewusst ist, was in ihrer äußeren wie auch inneren Welt geschieht. „Meine letzten Worte" ist in mehrere Abschnitte unterteilt. Nach einem Vorwort des Kriminalbiologen Mark Benecke und einer Einleitung der Autorin wird auf 130 Seiten über die Treffen der Autorin mit Manson berichtet. Gleichzeitig ist die Bühne frei für ihn: er erzählt in kleinen Kapiteln sein Leben und mischt dies mit seiner Meinung zur Welt. Teilweise sind dies Aussagen, die von einem gar nicht so kleinen Teil der Menschheit ähnlich gesehen werden: ‚Viele Künstler heute sind nicht mehr originell, viele ahmen nur auf moderne Weise nach, was andere vorgemacht haben, und so ein Scheiß kam für mich nie in Frage. ‘ (Seite 79) oder: ‚Ich liebe alle, die Frieden wollen und sich aktiv für den Schutz der Luft, der Bäume, des Wassers und der Tiere einsetzen. Menschen, die sich engagieren, sind gut. Sie sind nicht nur ordinäre Konsumenten, die immer mehr und mehr brauchen, um sich voll und zufrieden zu fühlen.‘ (Seite 81). Hier wird zumindest teilweise nachvollziehbar, warum es viele Manson-Jünger gibt, die bis zum heutigen Tag Kontakt zu ihm suchen und helfende Ratschläge von ihm wollen. Es folgen vierzig Seiten seiner Gedichte (zweisprachig zu lesen), die mit vielen, teilweise relativ aktuellen, Fotos von ihm illustriert sind. Im ebenfalls vierzigseitigen Anhang befinden sich Plädoyers und Gerichtsurteile zum Falle Manson, die das Ganze doch etwas anders beleuchten, als er selbst es sieht. Zudem gibt es einige sehr interessante (Fan-)Briefe sowie Erinnerungen von früheren Weggefährten und Gefängniskollegen zu lesen. Freund. Vater. Lehrer. Guru. Das sind Worte, die Bewunderer von Charles Manson wählen. Die Leute, welche im Gefängnis arbeiten (von der Chefin bis zum Schließer) haben nicht eine ganz so hohe Meinung, denn sie sehen in ihm einen durchtriebenen Scharlatan. Das Buch verdeutlicht ein Rezept von Charles Manson: Charisma (lässt sich nicht erlernen - hat jemand oder nicht) kombiniert mit deutlicher Kapitalismus-Kritik sowie Aussagen aus dem Esoterik-, Hippie- und Religions- bzw. Antireligions-Baukasten. Deutlich ist zu spüren, wie Manson von der 68er-Bewegung beeinflusst wurde. Es besteht offenbar ein großer Wunsch von Manson nach Anerkennung durch seine Mitmenschen - das ist etwas, womit er sich kaum von den meisten Leuten unterscheidet. Er sieht seine Rolle so: ‚Sie kommen zu mir, weil ihnen sonst niemand zuhört oder sich für irgendwas interessiert, was nicht für Geld zu haben ist. ‘ (Seite 93). Das Buch wurde von Charles Manson als „Last Words" autorisiert. Teilweise ist es entlarvend, vor allem, weil Manson sich häufig wiederholt und zuweilen antiquiert wirkende Statements abgibt. Er lässt außer Acht, dass es heutzutage Heerscharen von Menschen gibt, die in diversen alternativen Bewegungen aktiv sind und dass nicht unbedingt alle Leute gehirngewaschen allen Regierungen glauben oder ausschließlich an Konsum orientiert sind. Charles Manson arbeitet an unveröffentlichten Songs, will nach wie vor die Natur retten und bereitet sich auf seinen Tod vor, denn diesen thematisiert er sehr häufig in seinen Worten. Eine Stärke des Buchs ist die spürbare Nähe zu Charles Manson, ohne ihn zu glorifizieren. Man mag von der Idee und der Gestaltung des Buches wie auch von Manson denken was man will – „Last Words" ist teilweise spannend, wird Freund und Feind polarisieren und zum Nachdenken anregen.
El_Nico
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