Die schnellste Radfahrt der Welt!bad religion

Huxleys, 12. Juni 2013 Schön ist es, nach einem langen Arbeitstag im Sommer abends zu Hause mit einem bunten alkoholfreien Kaltgetränk zu sitzen. Strohhalm und Eiswürfel sind im Glas, aber kein Schirmchen. Wer Schirmchen ins Getränk stellt, hört auch Kylie Minogue auf dem mp3-Abspielgerät. Dabei im gemütlichsten aller fluffigen Sessel hocken und Dexter schauen. Warum in aller Welt sollte dieser Vorgang unterbrochen werden?

 

a. draussen findet aufgrund der Klimaveränderung ein Weltuntergang statt

b. Michael Fassbender reitet janz mit ohne Klamotten auf einem schwarzen Einhorn über den Boxhagener Platz 

c. die Mauer wird wieder aufgebaut 

d. Trent Reznor verteilt auf der Straße Gratis-Vinylausgaben des kommenden NINE INCH NAILS-Album 

e. wieder mal BAD RELIGION-Konzert im Huxleys. 

Punkt e. trifft zu, aber nicht für den Schreiber dieser Zeilen ("Pressefritz", dazu weiter unten mehr), da wider Erwarten kein grünes Licht für die Gästeliste kam. Das Interview mit Sänger und Texter Greg Graffin zum aktuellen Album "True North" (übrigens ein Top Ten-Hit in hiesigen Charts) liegt bereits ein halbes Jahr zurück. Da gerade Hochsommer ist und damals Schnee lag, scheint das Ganze in einer anderen Ära stattgefunden zu haben.  Gerade als Dexter einen Oberbösi in den Gewässern rund um Miami "entsorgt", kommt eine SMS: "Du stehst auf der Gästeliste zu BAD RELIGION." Es ist 20.23 Uhr. Das Konzert hat um 20 Uhr begonnen. Der innere Schweinehund, welcher ins Ohr flüstert: "Du willst doch jetzt die DVD weiter schauen..... und wenn du ehrlich bist, willst du auch ein Schirmchen ins Getränk...!" wird ignoriert, vor Dexters Augen springe ich in die Hose und sause mit dem Rad auf den Schultern die Treppen runter.  "Die alten Leute kennen Geheimnisse, welche die jungen Leute erst herausfinden müssen" sagt eine Oma in Fassbinder´s "Die Sehnsucht der Veronica Voss". Auch ich als angehender Punk-Opa weiß geheime Sachen, über die sonst höchstens Obama informiert ist - wie diverse Abkürzungen, mit denen sich in siebzehn Minuten von Friedrichshain zum Neuköllner Huxleys flitzen lässt. 

Yes, Officer, ich habe alle roten Ampeln beachtet, und Tempolimits gibt es für Radfahrer doch nicht, oder?  Vorbei geht es an der türkischen Lieblings-Bäckerei, wo es belegte Baguettes in der Größe "Hamburger Hafen" gibt. Doch diese wird heute ignoriert aus folgenden Gründen:  a. aufkeimender Veganismus b. vollgefressen tanzt es sich echt schlecht, wa?  Und getanzt werden will ja immer – egal, ob Punk, Techno, Industrial oder Schwuli-Pop: es ist mit unbegreiflich, wie Leute bei toller Musik still da stehen können. Auf unser alles Lieblings-Festival (Namen nenne ich nicht, denn die Veranstalter mögen es nicht, wenn "die Pressefritzen" etwas darüber schreiben) stand Samstag Nacht an der Turmbühne jemand neben mir. Alles war völlig extatisch am tanzen, er jedoch: Gesichtsausdruck wie die Eigernordwand, Körper keinen Millimeter bewegend. Ich konnte mir das nur so erklären, das der Typ seit einer Weile verstorben war und die Totenstarre eingesetzt hatte. War aber gar nicht so – nach einer Weile trottete er von dannen. Vielleicht hatte er sich bereits in einen Zombie verwandelt.  

An der Treppe vom Huxleys treffe ich einen Bekannten. Er teilt mit, dass BAD RELIGION gerade erst ein Lied gespielt haben. Puh! Zum Glück war es nicht "Generator", dann hätte ich Harakiri begangen. Aber womit?  Das einzige Schwert, welches ich besitze, stammt aus einer Kinderüberraschung. Damit lässt sich nicht mal Barbie in ihrem mega-beknackten und super-hässlischen Traumhaus erschrecken. "Generator" wird aber bald gespielt: Gänsehaut stellt sich ein, auch weil der Boden im Huxleys durch tanzente und pogende Fans stark bebt. Das ist besonders zu merken, wenn man still steht. Es war schon bei mehreren Konzerten so und ist immer ein spannendes Erlebnis, vor allem bei dem Gedanken, nicht auf ebenem Boden, sondern im ersten Stock zu sein.  Nach "Generator" kommt ein Hit-Reigen: "I want to conquer the world", "Sinister Rouge", die Single vom letzten Album "Fuck You", sowie "21st century digital boy", das schöne alte Lied, dessen düstere Zukunftsvision sich leider bewahrheitet hat.  Die Fans sind begeistert, singen jede Zeile mit und die Stimmung ist grossartig. Sänger Greg wirkt gut gelaunt, macht ab und zu kleine Zwischenbemerkungen, welche dieses Mal – beim letzten Konzert war es anders – weniger (politische) Erklärungen zu den Songs sind. Stattdessen gibt es Frotzeleien - insbesondere Richtung Brett Gurewitz, der heute eine MOTÖRHEAD-Jacke trägt. Greg bemerkt das dunkelblaue Licht, welches durch die Scheiben vom Huxleys in den Saal fällt. Trotz später Tageszeit (etwa 22 Uhr) ist es draußen noch nicht dunkel, welches der Sänger mit "A Berlin sunset through the Fensters" kommentiert. 

Zwischendurch gibt es gutes Material vom aktuellen Album, wie "Dharma and the bomb" oder "Robin Hood in reverse". Ich bin gespannt, welche Lieder von "True North" sich zum festen Bestandteil von zukünftigen BAD RELIGION-Konzerten entwickeln. Der Hit-Reigen geht weiter: "Come join us" (ich habe noch keinen BAD RELIGION-Gig ohne dieses tolle Lied erlebt), "Punk Rock Song" (juchuh!), "American Jesus" (yeah, das tolle Video!) und das wunderschöne "Sorrow" (etwas langsamer, irgendwann will man ja auch wieder mal runter kommen...)

Als Zugabe gibt es ein hübsches Durcheinander: "Fuck Armageddon... this is hell" vom ersten Album, "Vanity" und "Dept. of fales hope" vom neuen Output sowie "Infected" von "Stranger than fishin´"...oh, Entschuldigung... "fiction". Besonders "Armageddon" kommt sehr gut an und ist als Reminiszenz zu sehen: BAD RELIGION haben mit dem aktuellen Album "True North" nicht produktionstechnisch, aber songwritermässig an alte Zeiten angeknüpft, da sie mehrere härteren Knaller unter der Zwei-Minuten-Marke an Bord haben.  

BAD RELIGION wird manchmal vorgeworfen, das sie sich musikalisch nicht verändern. Welch seltsame Idee: niemals würde ich zum Beispiel Schwarzwälder Kirschtorte vorwerfen, dass sie immer gleich lecker schmeckt. So lange die Jungs tolle Platten wie "True North" rausbringen und wunderbare, punkige, rasante Konzerte spielen, ist alles tutto bene – und ich freue mich schon aufs nächste Mal.