flogging-molly-speed-of-darknessWirklich Irish Punk!

Schon lange bevor das neue Album in den Läden steht, gibt es in den entsprechenden Internetfanforen Diskussionen um die vorab veröffentlichte Single „Don't Shut 'Em Down" – sie klänge nach einer irischen Version von GREEN DAY, ist da etwa zu lesen. Und aus dem Kontext des Geschriebenen geht hervor, dass dies eindeutig als Beleidigung gemeint ist. Sehr e-gitarrenlastig ist die erste Auskopplung für FLOGGING MOLLY-Verhältnisse, konventionelles Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Schema.


Dann gibt es noch den Text, der die eher

fröhliche Melodie konterkariert und der in den oben genannten Foren allenfalls bemerkt, aber nicht annähernd leidenschaftlich diskutiert wurde wie die Musik. Das kann ich nachvollziehen, ist bei diesem Album aber ein Fehler.

 

FLOGGING MOLLY haben, soviel vorneweg, ein Album über die Wirtschaftskrise geschrieben. Es wurde in Detroit aufgenommen, das seit den 50er Jahren mit kontinuierlich sinkenden Bevölkerungszahlen und steigender Kriminalität zu kämpfen hat und nun von der jüngsten Wirtschaftskrise besonders hart getroffen wurde. Detroit, als das ‚Epizentrum der Finanzkrise in den USA', sagt Sänger Dave King, habe das neue Werk der Band stark beeinflusst: ‚ „Speed Of Darkness" wurde nicht das Album, das wir ursprünglich machen wollten, sondern ein Album, das wir machen mussten.' „Don't Shut 'Em Down", um zum Ausgangspunkt zurückzukommen, benennt Detroit nicht explizit, im Gegensatz zu „The Power's Out", einem Blues, der auch Tom Waits gut zu Gesicht gestanden hätte, zumindest wenn man sich die irischen Einflüsse wegdenkt. Nein, hier wird einfach eine Stadt beschrieben, die Detroit sein könnte, aber letztlich jede Stadt meint, in der Häuser verfallen, Geschäfte leer stehen und Schulen schließen. Und wenn Dave King in der traurigen Bridge leidenschaftlich fleht ‚save our homes' – dann berührt einen das.


Das Album verlangt dem Hörer etwas ab, nämlich genauer hinzuhören und sich gegebenenfalls von GREEN DAY-Assoziationen freizumachen – die im Übrigen beim Rest des Albums von ganz alleine ausbleiben. Sicherlich wird so eine Single nicht zufällig ausgewählt. Natürlich gibt sie die Richtung vor, in die sich das Werk als Ganzes bewegt, und das bedeutet in diesem Falle: FLOGGING MOLLY klingen 2011 gitarrenlastiger, ernster und rockiger, was im bedrohlich wirkenden Rückkopplungsintro des schnellen Titeltracks schön zusammengefasst wird. Beruhigenderweise verfällt „Speed Of Darkness" durch das ernste Thema nicht dem Reflex, sich die Betroffenheitslyrik zauseliger Folksänger zu Eigen machen.

Die Stücke sind, textlich wie musikalisch, durchsetzt mit dem grimmigem (Galgen)Humor des kleinen Mannes, des arbeitslosen Arbeiters (‚I'm a working man without work' heißt es in „Revolution"), der es trotz der Umstände schafft, sich Hoffnung und Würde zu bewahren. Doch auch ohne ständig die Lyrics bemühen zu müssen, funktioniert das Album. Alle, die bislang nur die Single kennen, können beruhigt sein und mal in Hits wie „Oliver Boy (All Of Our Boys)" oder „Saints And Sinners" reinhören, zwei Uptempo-Nummern, die den klassischen FLOGGING-MOLLY-Sound atmen. Das ist kein Punkrock mit irischem Flair, sondern wirklich Irish Punk, eine Symbiose der Stile und keine Zweckgemeinschaft. Das klappt auch, wenn leisere Töne angeschlagen werden, bei „The Cradle Of Humankind" sogar auf einem Piano, eine Premiere in der Bandgeschichte. Nicht nur wegen dieser Instrumentierung erinnert das Lied an den Billy Joel der „Piano Man"-Phase, was hier eindeutig nicht als Beleidigung gemeint ist. „Speed Of Darkness" dokumentiert mit seinen Songs die politisch-gesellschaftlichen Umstände seiner Entstehung, es beobachtet genau, bleibt konkret und vermeidet den einfachen Weg, nämlich schlicht gestrickte Parolen in die Welt hinauszuposaunen. Und das macht es zu einem besonderen Album.

TIPP: Von der neuen Single könnt ihr Euch einen eigenen Eindruck machen – das Stück ist auf dem kommenden WAHRSCHAUER Sampler. Dazu gibt es ein Interview zu lesen, das wir mit der Band kürzlich in Berlin führten.

(Borstal Beat / Cargo – VÖ 27.05.2011)