Es ist nur so eine Vermutung, die ich nicht belegen kann, aber manchmal befürchte ich, dass manche Nicht-Veganer nur deshalb so massiv ihre Ernährungs- und Lebensweise verteidigen, weil sie sich insgeheim vor der Traurigkeit fürchten. Der Traurigkeit, die sich unweigerlich einstellt, wenn man sich die Tragweite seiner Handlungen bewusst macht, wenn man sich seiner Verantwortung stellt.

Meine Güte, bei mir hat es 50 Jahre gedauert. 50 Jahre! 50 Jahre lang sind die Schlacht-Transporter auch in meinem Auftrag unterwegs gewesen. Manchmal möchte das Gewicht der Schuld mich schier erdrücken.

Ich hab die Traurigkeit und die Tränen lange Zeit als meine Feinde betrachtet. Wollte sie nicht zulassen. Weg damit! Interessiert eh keinen. Blöde Heulsuse. Reiß dich gefälligst zusammen. Damit ist niemand geholfen.

Ja, es stimmt natürlich. Den Tieren ist kein bisschen damit geholfen, wenn man greinend am Schlachthof-Tor steht.

Wir leben in einer Spaß-Gesellschaft. Lustig muss es zugehen. Fröhlich und witzig sollst du sein und immer gut gelaunt. Tränen machen uns ratlos. Auch die eigenen. So ratlos, dass es uns ärgert. Nun, komm schon, lach doch wieder. Ist doch alles nicht so schlimm. Da kann man halt nichts machen. So ist das Leben eben. Wir können die Trauer anderer nicht aushalten. Das macht uns hilflos. Das mögen wir nicht. Mit Wut und Gebrüll kommen wir noch eher zurecht als mit Geflenne. Friede, Freude, Heiterkeit. Immer nur lächeln und immer vergnügt.

Es ist eine Tragödie, die armen Geschöpfe zu sehen, die da in die Schlachthöfe gekarrt werden. Sie schauen dich mit argloser Neugier an, als wollten sie fragen, wo die Reise denn hingeht und ob es noch weit ist. Dein Herz friert. Es sind so zutiefst friedfertige Tiere. Du siehst die Unschuld in ihren Augen und weißt, was sie erwartet. Kannst nicht helfen. Kannst gar nichts tun. Genauso hilflos wie sie. Keine Rettung in Sicht. Kein Superheld mit rotem Cape in letzter Sekunde. Untröstlich. Du hörst ihre Rufe, wenn sie entladen werden. Pfiffe und Klatschen. Ketten klirren. Pressluft zischt immer wieder. Metall auf Metall. Vielleicht rufen sie ja nach ihrer Familie, nach ihrer Mutter. So mancher Ruf kippt in Schreien um, die Stimme überschlägt sich und ihr Entsetzen fährt dir durch Mark und Bein.

Untröstlich.

Du siehst die Kühltransporter heraus kommen. Noch vor wenigen Stunden war da ein Licht in ihren Augen. Niemand weiß, wo es herkommt, wer es anzündet. Noch vor wenigen Stunden haben sie geatmet und wollten einfach nur leben. Weiter leben. Genau wie wir. Vor wenigen Stunden ist ihr warmes Blut auf kalte Fliesen geflossen. Vor wenigen Stunden mussten sie dem Tod ins Auge sehn. Nun sind sie nur noch Stücke, gekühlt, gefroren. Auf der Seite des Wagens Werbung mit einem lachenden Schwein. Und du denkst nur "Das ist pervers. Das ist krank."

Ihr Licht erloschen. Für immer. Niemand kann es wieder entfachen. Untröstlich.

"Jeder dumme Junge kann einen Käfer zertreten. Aber alle Professoren der Welt können keinen herstellen." (Arthur Schopenhauer)

Doch dann sind da andere Menschen, denen es auch so geht, deren Schultern in stummen Schluchzern zucken, die leise beten oder laut weinen. Da sind andere, die verstehen, wie es dir geht und die du verstehst. Es ist gut, traurig sein zu dürfen. Weinen zu dürfen. Untröstlich zu sein. Plötzlich ist da die Erkenntnis, dass Traurigkeit nur dann zerstörerisch ist, wenn du sie fürchtest, wenn du sie bekämpfst. Da erkennst du mit einem Mal, dass die Traurigkeit deine Freundin sein kann und eine mächtige Verbündete.

Die Traurigkeit kann mein Schutz und Schild sein. Und ihres. Gemeinsam werden wir uns weiter für die Unschuldigen einsetzen. Für die Kinder, die auf dem Altar der Gier geopfert werden. Für die Friedfertigen, die nie jemandem etwas zuleide getan haben, und denen das mit Missachtung, Grausamkeit und Tod vergolten wird.

Es ist gut, untröstlich zu sein.