BAND: SON OF KRAUT
ALBUM:

LABEL: Sireena Records - VÖ: 21.03.2014
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Zuletzt aktualisiert am: 15. Juli 2015

Wir befinden uns im Jahre 20014 n. Chr. Ganz Deutschland ist von zwei großen Plattenfirmen aufgeteilt worden. Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Nordwestmecklenburgern bevölkerter Landstrich hört nicht auf, diesen Musikverwurstlern Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die riesigen Labelkraken Universal und Sony Music, denn die Gemeinde 23942 Pötenitz stellt ihnen Sireena Records entgegen, das mittlerweile tief in das Bewusstsein von Sammlern eingedrungen ist. Zu jeder Tages- und Jahreszeit fahndet man vor den Klippen zur Ostsee nach schräger Musik, die die Herzen langhaariger, tätowierter und vor allem lustig gekleideter ältere Herrschaften höher schlagen lässt. Da wird verdammt tief gewühlt, entdeckt und um Veröffentlichung gebettelt, nur damit der Musikwelt eine Perle erhalten bleibt. Zur Zeit der Jahrtausendwende, als andere Menschen Panik schoben und alles zusammenbrechen sahen, gründeten Tom Redecker und der leider 2008 verstorbene Lothar Gärtner das Label Sireena. Um erst gar keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, beschlossen die beiden mutigen Männer, dass ihr Repertoire keine Grenzen kennt und aus den Bereichen Rock, Blues, Jazz und Folk und allen Zwischendingen, die ungewöhnlichsten Platten erscheinen sollen. Bisher hat man diese Einstellung beibehalten, denn im Katalog sind neben wunderbaren, längst verschollen geglaubten GROBSCHNITT-Mitschnitten auch seltene Aufnahmen von YES und KROKUS. Die wirren Geister NEKTAR wurden ebenfalls der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht. So auch STEINWOLKE, als sie noch nicht im Trüben der Neuen Deutschen Welle fischten. Mit von der Partie sind bei Sireena die DISSIDENTEN, die von ehemaligen EMBRYO-Mitgliedern 1980 in Berlin gegründet wurden und bis weit in die Neuzeit eine Mischung aus Rockmusik mit asiatischen und afrikanischen Klängen boten. Heute nennt man das ja World Music. Dann gibt es noch etwas von den Haudrauf-Bluesern FRANZ K. und der unbekannt gebliebenen PEE WEE BLUESGANG, mit denen der junge Drafi Deutscher einige Songs einspielte.

Besonders gelungen sind die regelmäßig erscheinenden Sampler, wie der neue Teil von „The Furious Swampriders“, der Countryrock abseits der eingefahrenen Gleise enthält. Und dann hätten wir noch den Krautrock, der mit den Zusammenstellungen „Jazz-Kraut“ und „Live-Kraut“ ganz neues „Futter“ erhält und noch einmal mit KRAAN, GURU GURU, ANNEXUS QUAM, EULENSPYGEL und JANE verrückte und experimentierfreudige Zeiten aufleben lässt. Überhaupt Krautrock. Wer kann sich noch an diese Musik erinnern, die deutsche Musiker zelebrierten und sich damit in den 1970er Jahren von der amerikanischen Flachwichserei absetzten? Visionäre, Gurus, Aussteiger und Magier tauchten auf, die unbarmherzig, erbaulich und mit jeder Menge neuen futuristischen Tönen funktionierten und Ernsthaftigkeit verbreiteten. Gewaltige Sessions ließen Ohren bersten. Kosmische Musik kam auf. Edgar Froese startete Freakout-Musik, Klaus Schulze spielte stundenlang mit Alex Conti gegen alle Formen des Kapitalismus völlig bedröhnt und abgedreht und ohne Bass. Dann kamen AMON DÜÜL, später gesplittet in I und II, und deren für immer der Musik den Namen verpassendes Album „Mama Düül And Her Sauerkrautband Start Up!“

Hier mischt nun Sireena fleißig mit und lässt der „Urmusik“ das Neue folgen: „Son Of Kraut – The Next Generation“. Wer regelmäßig das entspannte und völlig coole Festival am Fuße der hessischen Burg Herzberg besucht weiß, dass Krautrock zwar nicht mehr im großen Rahmen stattfindet, aber immer noch reichlich Nachwuchs den elektronischen Pionieren folgt. Auf dem Sampler „Son Of Kraut“ haben die Macher einige wichtige Protagonisten zusammengefasst. Da wäre THE PERC MEETS THE HIDDEN GENTLEMAN, die Anfang der 1990er begannen, den Krautrock nicht aussterben zu lassen. Ihr Sound klingt dicht, verzerrt und improvisiert. Ein Bass zieht von hinten unfassbar die Melodie und lässt Emilio Winschetti mit seinen Gesangeinlagen den nötigen Freiraum. Die restlichen eingespielten Klanglandschaften sind so gut wie neu, voller elektronischer Höhepunkte, rhythmuslosen Krach und psychedelischen Spielereien. FANTASYY FACTORYY sind seit 20 Jahren aktiv und holen noch heute den Underground der 1970er Jahre ganz nach oben und lassen wieder Licht an den manchmal sehr dunklen Soundhorizont. Eine völlig faszinierende Einheit von Jazz und harten Sturmgewittern stellen das PANZERBALLET vor und das junge Trio LE MUR weist den Weg in Richtung Experiment. Ihre ausufernden, manchmal nicht enden wollenden, aber nie langweiligen Songs, werden oft und gerne durch ein Saxophon veredelt. Bedient wird der Hörer erst recht, wenn der Geist und das Herz nach gemixter Glückseligkeit verlangen, nach Zusammenspiel von Ethno-Rock und experimenteller Musik mit psychedelischen Einflüssen (EAR TRANCEPORT), von spacigen Geschrammel (SPACE DEBRIS) und  progressiven Momenten der 1970er Jahre (ELECTRIC ORANGE). „Son Of Kraut“ ist verdammt kurz, was aber in voller Absicht geschah, denn all diese Kollektive und Gruppen sollten danach in ihrer Gesamtheit gehört werden. Und wie es der Zufall so willig, gibt es manch komplettes Teil im Hause Sireena zu erstehen.

ThoBe
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