LABEL: PIAS / Rough Trade – VÖ: 09.10.2015 |
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Zuletzt aktualisiert am: 04. November 2015
Es gibt Künstler, da fragt man sich: Warum kommt mir der erst jetzt unter die Ohren? Oder: Wie kann der nur so gut sein? Vielleicht auch: Wo gibt´s mehr von dem? ENNO BUNGER ist einer von diesen Künstlern. Er ist die Ausnahme zur Regel, dass die zweite Neue-Deutsche-Pestwelle nur noch weichgespülten Dreck mit Pseudo-Botschaft hervorbringt. Mit seinem dritten Studioalbum „Flüssiges Glück“ festigt der Songwriter diese Alleinstellung erneut. Während seine ersten beiden hervorragenden Releases „Ein Bisschen mehr Herz“ und „Wir sind vorbei“ sich auf akustische Instrumente konzentrierten, um die schwermütige Stimmung zu erzeugen, greift der Künstler nun auch auf elektronische Stilmittel zurück – das wird schon beim ersten Song „Scheitern“ klar. Viel Hall, sanft stampfender Kick und zögerlich anschlagende Synthies breiten sich aus und machen Platz für ENNO BUNGERs erheblich gereifte Stimme. Das heißt nicht, dass die alten Qualitäten gänzlich gewichen sind: In „Zwei Streifen“, „Heimlich“ oder auch der einmaligen Ode „Hamburg“ gibt das Piano den Ton an, die Drums wirken natürlicher und die zierlichen Saiten schmücken das Arrangement. Dennoch gibt es zum Abschluss dieses Songs ein ausgiebiges elektronisches Instrumental, das sich ein wenig anfühlt, als würde man mit 130 Sachen durch einen Tunnel in der Innenstadt rasen, um die Lichter vorbeiziehen zu sehen. Besonders hervorzuheben sind die Lyrics auf diesem Album. Schon auf den Vorgängern bewies ENNO BUNGER sein präzises Gespür für die Deutsche Sprache. Mit „Flüssiges Glück“ stellt er sich jedoch selbst in den Schatten. Allein Worte wie „Kummerjäger“ oder „Flausenleger“ machen jeden Schreiberling neidisch und sorgen für ein gönnerisches Grinsen. Nicht nur seine Lieder über Liebe und Leiden sind so fantasievoll formuliert. Im politisch brandaktuellen „Wo bleiben die Beschwerden?“ stellt er die entscheidenden Fragen zur Flüchtlingskrise: „Wo bleiben die Beschwerden? Warum lassen wir das zu? Wir können was dafür wenn wir nichts dagegen tun Wo bleiben die Beschwerden? Wo führt das alles hin? Warum tun wir so als wären wir blind? […] Ist unser Mitgefühl etwa in einem Flüchtlingsheim verbrannt?“ Der Track bäumt sich immer weiter auf, so wie sich die Menschen gegen die aktuell herrschende Ungerechtigkeit auflehnen sollten. Wen bei dieser Hymne für mehr Menschlichkeit keine Gänsehaut überkommt, der verfügt wohl über keinerlei Empathie. Gegen Ende der grandiosen Platte besinnt sich ENNO BUNGER noch einmal auf seine alten Tugenden und kehrt alleinig zum Piano zurück. Die Songs „Am Ende des Tunnels“ und „Klumpen“ sind minimalistisch, bedächtig, organisch. Berauscht bleibt man zurück. Nicht nur geht damit bei jedem Durchlauf ein wertvolles Stück Musik zu Ende, sondern man lernt auch so viel – über sich selbst, seine Mitmenschen und das Leben. Neues Motto: „Nichts ist für immer aber alles für jetzt.“ pd
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