LABEL: Apostasy Records / Edel – VÖ 30.10.2015 |
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Zuletzt aktualisiert am: 14. Dezember 2015
Dank Vertretern wie BEHEMOTH, VADER oder HATE ist Polen als Schmiede hochwertigen Death Metals weltbekannt. Leider wird eine der besten Bands des Landes dabei stets unterschlagen: LOST SOUL. Warum eigentlich? Nun, die Veteranen blicken auf 25 Jahre turbulente Bandgeschichte inklusive zweier Auflösungen zurück. In der Folge war die Frequenz der Releases eher gering. In den 90ern entstanden drei Demos, bis im Jahr 2000 endlich das gelungene Debüt „Scream Of The Mourning Star“ erschien. Spätestens 2005 jedoch hätten LOST SOUL mit „Chaostream“ einen großen Durchbruch erleben müssen. Das Album war ein Metal-Meilenstein, wie auch der Nachfolger „Immerse In Infinity“ von 2009. Die Musik von LOST SOUL versetzt den Hörer in eine fremde Dimension – so auch wieder auf dem fünften Werk „Atlantis – The New Beginning“. Die sechsjährige Wartezeit hat sich gelohnt, denn das Konzeptalbum strotzt vor Kraft, was schon der erste Track „Hypothelemus“ in neun berauschenden Minuten demonstriert. Oft fragt man sich, wie die Musiker dieses unmenschlich hohe Tempo und die maschinelle Präzision so lange durchhalten. Nicht selten erreichen die Blastbeats 280 BPM. „Aqueous Ammonia“ setzt direkt nach und tobt durch die Hirnwindungen wie ein Tornado. Wie dieser sind viele Tracks für LOST SOUL-Verhältnisse mit etwa fünf Minuten deutlich kompakter. Das steigert den Hörgenuss, denn zu lange Stücke dieser Komplexität überfordern. Eine weitere mächtige Nummer ist das mysteriöse „Unicornis“. So schön können nur Metaller den Geschlechtsakt beschreiben und musikalisch umsetzen. „Atlantis – The New Beginning“ ist kein Album für nebenbei. Es ist ein Album, dem man seine ungeteilte Aufmerksamkeit widmen sollte – erst dann entfalten sich die brillant geschriebenen Tracks gänzlich. Es braucht allerdings ein paar Durchläufe, bis man der Genialität der Lieder Herr wird. Die Platte wächst und wächst und wächst, die Ereignisdichte ist enorm. Immer wieder entdeckt man neue Feinheiten, die Mastermind Jacek Grecki eingebaut hat. Trotz aller Komplexität hat er es geschafft, den Mittelweg einzuschlagen: Während „Chaostream“ noch etwas zu geradlinig war, kam „Immerse In Infinity“ unendlich vertrackt daher. Das neue Album kombiniert beide Welten. Im Vergleich zu genannten Vorgängern wirkt der Sound auf der aktuellen Platte zudem organischer und weniger steril. Vor allem die holzige Snaredrum setzt sich bei den Blastbeats gut gegen die brachialen Gitarren durch. Trotz der komplexen Arrangements haben es LOST SOUL geschafft, dass alle Instrumente gleichwertig zur Geltung kommen – und dass die Songs nicht überladen klingen. Ein Markenzeichen von LOST SOUL ist, dass sie den instrumentalen Parts viel Raum geben. Zugegeben, das ist nicht jedermanns Sache. Doch ist man einmal gefesselt von den Frickel-Orgien und dem Surren der Bassdrum, denkt man mit keiner Silbe mehr an Vocals. Diese sind zwar auf „Atlantis“ sehr gelungen – allerdings versucht Jacek Grecki oft, sehr lange Zeilen in das Enge Metrum zu schnüren. Dadurch verwischen manche Lyrics ineinander, die Rhythmik geht etwas verloren. Seine Stimme selbst ist jedoch spürbar reifer und leidenschaftlicher, wohingegen sie auf „Chaostream“ eher trocken über den Instrumenten lag. Hin und wieder werden auch cleane Passagen eingestreut, die den Songs eine bemerkenswerte Dramatik verleihen. So sorgt zum Beispiel auch der Chor im Titeltrack „Atlantis“ für Gänsehaut. Das genial animierte Lyric-Video geht heftig unters Leder:
Nach diesem Track ist das Album normalerweise schon vorbei, wäre da nicht die Digipak-Version. Wer sich die drei vollwertigen Bonustracks entgehen lässt, ist selber schuld. Bei „Red Giant“ nehmen LOST SOUL nämlich mal das Tempo raus und beweisen, dass sie auch (fast) ohne Blastbeats eine berauschende Atmosphäre erzeugen können. „Sonidos Del Apocalipsis“ wiederum ist ein weiterer Song gewordener Epos, der sich perfekt in das Gesamtbild des Albums einflechtet. Er ist fast komplett instrumental und hämmert mit insgesamt acht Gitarrensoli gnadenlos auf die Trommelfelle ein. Den Abschluss – diesmal wirklich – bildet „Supernovae“, dessen Leadriff für den wohl brutalsten Ohrwurm aller Zeiten sorgt. Den Track schrieb ausnahmsweise nicht Grecki selbst, sondern Marek Golas. Seine Songstruktur ist etwas direkter, was LOST SOUL ebenfalls gut steht. Legt man die Kopfhörer nach diesen intensiven 70 Minuten beiseite, sitzt man mit einem furztrockenen Mund da, weil die Kinnlade permanent runterklappt war. Neuer Vertrag, neues Album, neue Website, neues Musikvideo: Man spürt deutlich, dass LOST SOUL beim ihrem bereits fünften Label Apostasy Records endlich in guten Händen sind. Die Band entfaltet ihre Kreativität maximal und beschenkt uns mit dem besten Death-Metal-Album des Jahres. pd
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