LABEL: Rookie Records – VÖ: 3.2.12 |
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Zuletzt aktualisiert am: 20. Januar 2012
Im Moment hat sich die deutsche Musik verdammt festgefahren. Jeder, der auch nur einen melodischen Ton aus seiner Kehle pressen kann, schnappt sich eine angeblich alte Gitarre und singt verwirrende Lieder über das Gestern, über die längst verlassene Freundin oder über Gegenden, die man schon immer mal besuchen wollte, aber erst in der Vergangenheit kennenlernt (eben schön verworren). Man verstrubbelt die Haare, strengt sich an und will wie Benzko oder Clueso singen, aber dann doch krächzt und jammert wie SILLY oder gar wie die in Weimar am meisten gehasste Ute Freudenberg. Es tropft aus den Lautsprechern, wenn ein formatierter Radiosender läuft und die eben Genannten in schöner Regelmäßigkeit uns den Kopf weich klopfen.
Viele deutsche Kapellen sind verdammt müde geworden. Die BROILERS nehmen keine Fahrt mehr auf, FREIWILD klingen scheiße und die Genossen Grönemeyer, Westernhagen und Naidoo gehören schlicht und einfach verboten, weil sie jammern, mit den immer gleichen Mitteln ihre große Anhängerschar in die Plattenläden zwingen und der Rest schimpft über die Sender, die nur noch englische Plärre spielen. Lindenberg thront als verrunzelter Buddha über all dem Elend.
Nun gibt es aber eine Band aus dem Land der reinen Milchkühe, der schwarzen Konten und tiefen Täler: Die AERONAUTEN. Diese wollen gerade die deutsche Musik retten und alle Dumpfbackenklänge aus den Köpfen jodeln. Nein, mit Jodelquark und volkstümlichen Weisen hat das, dem Herrgott sei Dank, nichts zu tun. Es gibt keine riesigen Alpenhörner, keine Presssäcke und schon gar keine heile, grüne und klare Welt in den Texten.
Alles begann am 3. Februar 1992 in den Weiten der Schweizer Klubs: Man wurde als Vorband eingesetzt und konnte mit der eigenartigen Mischung aus schwarzem Humor, rumpelnden Rhythmen und einigen Bläsereinsätzen das überschaubare Publikum für sich gewinnen. Mit der folgenden Kassette beglückten die AERONAUTEN auch gleich über 300 Menschen, die sich gerne an diese Art Musik gewöhnen wollten. Nun sind 20 Jahre vergangen, viel Fanvolk, vor allem in Deutschland, dazu gekommen und genau am 3.2. erscheint ein neues Album mit doppelt guter Musik.
Das Vorgängerwerk „Hallo Leidenschaft“ war schon verwirrend gut, voller toller Einfälle und, Achtung Wortwitz, mit Leidenschaft eingespielt worden.
Bei „Too Big to Fall“ sollte man allerdings mit Nummer Zwei beginnen, denn hier ist besondere Musik mit Niveau gewährleistet. Es gibt Film taugliche Rumpelmusik, die aus schnellen und überdrehten Instrumentalstücken besteht, unterbrochen durch sprachgewaltige Leinwandmomente. Hier durften sich die Schweizer austoben, alle nur möglichen Instrumente einsetzen und an die Anfänge erinnern, wo das Spielen noch schwer fiel und manch herrlich schräger Verspieler die Songs am Leben hielt.
Auf der ersten CD haben sich die AERONAUTEN selbst übertroffen, es kommen Melodien zum Vorschein, die die deutsche Musik wieder an den Anfang bringen. Da rocken und röhren die Gitarren, die Musiker Motte und Roger geben den Songs den nötigen Funk, da sie auf alles einblasen, was im Studio zu finden war. Dixieland kommt zum Vorschein, ein Hauch Jazz, jede Menge verrückter Country, Folk (auch mal schwyzerisch), Ska und richtiger Rock`n Roll. Alle Lieder von „Jackenmann“ bis „Dröhnung“ sollten erklingen, Bauch und Kopf erheitern und erfreuen. Die Texte sind aus großen Bildern, gepflastert mit überraschenden Wendungen und pathetischen Versprechungen. Da geht es in „Enten“ um die heutige erbärmliche Zeit, die nichts Aufregendes bietet und den Menschen im Internet, bei „Warcraft“, enden lässt. Danach dröhnt „Das Ende ist nah“ mit wenigen Zeilen, die die „Heilsbringer“ entlarven, die laut und bekifft singen: „Das Ende ist nah / und alle Glocken klingen /das Ende ist nah / und alle Leute singen“. Für dieses kleine Liedchen konnte ein illustrer Chor Gleichgesinnter zusammen gestellt werden, u.a. mit dabei: Bernadette La Hengst, Rocko Schamoni, Schorsch Kamerun und Susanne Affolter.
Und dann ist da noch der eine Song, der sich mit der Scheiße in TV und Radio beschäftigt, die Moderatoren („Hey du Sack im Radio / sag mir einmal wieso / läuft Tag und Nacht nur Mist / ist es aus Menschenhass / ist es weil du Probleme hast?“) im Funk und die TV-Labertaschen („Hey du Kuh im Fernsehen / ich will nur verstehen / warum du dich nicht schämst / ist es weil du doof bist?“) direkt anspricht und in folgenden Zeilen gipfelt: „Diese Welt ist ein schlechterer Ort wegen dir“.
Mit den AERONAUTEN sollten Frau und Mann unbedingt in die Luft gehen, mit ihnen tanzen und aus dem ganzen vorgetragenen Zeug alles Nötige lernen. Toller Stoff, wer hat noch nicht?
TIPP: Witzige Insider-Story mit Interview aus dem Tourbus im WAHRSCHAUER #59. Geplant: Interview mit Guz!
Thobe
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