LABEL: City Slang/Universal – VÖ 28.3.08 |
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Zuletzt aktualisiert am: 19. März 2008
BLACKMAILs sechstes Album setzt die musikalische Entdeckungsreise der Band fort – und führt doch ein Stück weit zurück in die eigene Vergangenheit. Die Verspieltheit früherer Alben – besonders der ‚Bliss, Please’ – paart sich auf ‚Tempo Tempo’ mit der krachigen Entschlossenheit der letzten Platten. Nomen est Omen: ein schneller, harter Wind bläst durch beinahe alle Stücke und man merkt gleich beim ersten Hören: diese Band befindet sich im vollen Lauf. Doch auch wenn der auf ‚Tempo Tempo’ entfesselte Noise-Sturm dabei ähnlich wenig Zeit für Ruhe lässt wie der Vorgänger ‚Aerial View’, wirkt das Album längst nicht so zerfasert. Wo nämlich der Vorgänger seine Energie in ziellosem Wüten verpulverte, regiert bei ‚Tempo Tempo’ zornige Gelassenheit. Dies mag verwundern, brechen sich doch beim ersten Hören hier wie da in bewährter Weise ohrenbetäubende Gitarrengewitter an sanften Melodiebögen. Warum das diesmal funktioniert? Ganz einfach: it´s the melody, stupid! Der Opener ‚False Medication’ buchstabiert diese Einsicht geradezu vorbildlich aus: der in der deutschen Musiklandschaft auf einzigartige Weise zwischen warm und krachig, kristallin und scheppernd austarierte Gitarrensound Kurt Ebelhäusers trifft auf eine ebenso einzigartige treibende Rhytmuscombo – und Aydo Abays unverwechselbares, rotzig-sanftes Organ. Dabei ergibt sich genau die richtige Mischung aus Melodiösem und Schrägem, die heutzutage so selten ist. Das Verrückte dabei: die Band klingt gerade so, als schüttelte sie den Song gerade aus dem Ärmel. Und tatsächlich liegt in dieser Entspanntheit auch die Quelle ihrer Kraft: diese Band muss niemandem mehr etwas beweisen. Das tut ihr hörbar gut, bringt doch der Verlust an Bemühtheit sowohl geschlossenere Songs als auch eine ‚gerichtetere’ Experimentierfreudigkeit mit sich. ‚Mine Me I’ ist ein Beispiel hierfür: ein straightes Riff, ein brachialer Refrain – und gerade wenn man denkt, man hat das Spiel durchschaut, wirbeln ‚orientalisch’ anmutende Streicher den Song noch einmal um die eigene Achse. Dieses Überraschungsmoment zieht sich durch die gesamte Platte: hier ein Männerchor (‚(Feel it) Day By Day’), da ein kleines, trauriges Melodica-Fill zum Mitpfeifen (‚The Good Part’) und immer wieder aufreißende Songhimmel, die den Blick freigeben auf weite Gitarrenflächen und schön-schroffe Melodiegebirge. Und wenn man sich dann fast schon durch den Sturm wähnt, haut ‚The Mentalist’ einen am Ende mit fett-fleischigen MOTORPSYCHO-Gitarren doch noch von den Füßen – während Abay mit müder Stimme sing: ‚I’m leaving all that I have to your hands’. Gleichermaßen erschlagen wie berührt von so viel Vertrauen bleibt man liegen und lässt den schönen Closer ‚So Long Goodbye’ über sich hinwegrollen, der diese furiose Übung im Sich-Selbst-Überholen formvollendet ihrem Ende zuführt. Nach Luft schnappend möchte man rufen: nein, bleibt doch noch! Und besinnt sich dann doch eines Besseren. Denn wenn die nächsten Platten so gut werden wie ‚Tempo Tempo’, kann man die Band ruhigen Herzens ziehen lassen. Viel eher sollte man ihnen nachrufen: see you soon – weiter so und auf bald!
dvf
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