BAND: NOFX
ALBUM:

LABEL: Fat Wreck Chords - VÖ 24.04.09 / DVD: SPV - VÖ 13.03.09
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Zuletzt aktualisiert am: 11. Juni 2009
„Ach, NOFX? Die gibt es noch?“ rief die werdende Mutter im Prenzlauer Berg fröhlich, als sie den Kinder-Buggy die Treppe herauf trug und auf meinen Kapuzenpulli schaute. Leider fiel mir die richtige Antwort: „Ach die werdende Mutter im Prenzlauer Berg – die gibt´s noch?“ viel zu spät ein. „Na und OB es NOFX noch gibt!“ war die etwas öde ‚Antwort - und in der Tat: geradezu omnipräsent sind Fat Mike, El Hefe, Smelly und Melvin in diesem Jahr. Sie bringen nicht nur ein neues Album UND eine Doppel-DVD heraus – nein, sie sind auf Tour (obwohl sie das dauernd sind) und im kommenden WAHRSCHAUER gibt es eins der sehr seltenen Interviews mit Fat Mike. Auch ohne die existenzielle Lebenserfahrung Halbstündiges-Ferngespräch-mit-einem-Idol-auf-Lebenszeit würden die neuen Produkte von mir die hier nicht vorhandene Höchstwertung erhalten: 10 von 10 Punkten, 5 von 5 El-Hefe-Weizen, 3 von 3 Sternen oder Sternies etc. So viel schon mal vorneweg. Und jetzt hintereinander: die CD namens „Coaster“ (die Vinyl-Ausgabe heißt übrigens „Frisbee“) ist zuverlässig gut wie immer. Es befindet sich alles drauf, was dem Melodic-Punk-Fan und dem NOFX-Devotee Freude macht: unendlicher Blödsinn, ernsthafte politische Texte, Skapunk, kraftvolle schnelle Nummern mit endgeilen Gitarrenriffs und Wumms, so etwas wie eine Ballade und ein wirklich interessanter Schlusstrack mit einer Oboe. Was NOFX nach wie vor besonders macht, ist, dass sie so virtuos und wahnsinnig gut in dem sind, was sie (in nur leicht veränderter Form) seit fünfundzwanzig Jahren machen. Die Songs sind WIRKLICH Ohrwürmer, die Musik kracht an den richtigen Stellen, die Texte sind einprägsam, schlau und gut zusammengezimmert - und wie immer befindet sich der ein oder andere zukünftige Meilenstein auf der Scheibe. Diesmal sind es vermutlich „We called it America, „Blasphemy“ und „One million coasters“. Was die Covergestaltung angeht, lässt sich NOFX Mut zur Hässlichkeit attestieren, vielleicht ist es aber auch ein Statement in der Form von „Es ist egal, wie schlimm die Farben und die Gestaltung des Plattencovers gerät, denn unsere Fans wie auch wir wissen, wie toll die Musik auf dem langsam aber sicher abnippelnden, nicht-virtuellen Tonträger ist!“ Musik ist auf der Doppel-DVD „Backstage Pass“ auch drauf, aber nicht viel. Das ist gut so, denn es gibt nichts langweiligeres, als sich Punkrock-Konzerte auf DVD anzuschauen. Das ist genau so öde, wie sich Videofilme von Achterbahnfahrten reinzuziehen. Die Musik dient bei der Tour-Doku meist als Hintergrunduntermalung, selten gibt es Ausschnitte aus Konzerten zu sehen, und wenn, unterstreichen diese die bereits vorhandene Atmosphäre vor Ort. Denn auf sie kommt es an: NOFX sind an viele Plätze rund um den Erdball gereist, wo (Punk-)Bands selten, so gut wie gar nicht oder wirklich nie spielen: China, Singapur, Malaysia, Südafrika, Russland, Bali, Israel, Japan. Tatsächlich gibt es illustre Bilder zu sehen: NOFX auf der chinesischen Mauer, NOFX auf Rundgang durch Tokyo, NOFX im Hotel in Jakarta, NOFX vor der Jerusalemer Klagemauer. Viel wichtiger die - teilweise richtig krassen - Stories, die kein Fake sind. Als Reaktion auf ihr durchorganisiertes Tourleben und vor allem auf „Reality-TV“, welches häufig auf Musiksendern läuft, aber nichts mit der Realität zu tun hat, haben NOFX eine achtteilige Doku gedreht, die „Reality bites“ heißen könnte. Beispiele? In Singapur steht die Todesstrafe auf den Konsum von Drogen, aber Fat Mike hat es sich nicht nehmen lassen, ein obskures, ihnen völlig unbekanntes, giftgrünes Pülverchen im Hotelzimmer zu nehmen. Ganz zu schweigen von seinem mitgereisten Medizintäschlein, welches er am Anfang der ersten Folge gepackt hat und in dem etliche Dinge drin sind, die vor allem außerhalb der Vereinigten Staaten eher skeptisch beäugt werden. In Peru wurde die Crew in einem Polizeikessel festgehalten und per Versteck im Laster aus der Gefahrenzone transportiert, während es keinen Strom gab, um das Konzert zu spielen. In Israel wurde der Roadie Limo in eine Prügelei im Publikum verwickelt und Fat Mike sprang in die Crowd, um ihm tatkräftig zu helfen. In Medellin wurden NOFX gleich aufgeklärt, dass es im Jahr 2006 687 Kidnappings und 1.730 Morde gab (oder waren es 17.300?). In Israel denkt El Hefe an die Warnung seiner Mutter, sich von Menschenmassen fernzuhalten. Keine gute Idee, wenn man in einer berühmten Punkband spielt, die jeden Abend vor teilweise Tausenden von Menschen auftritt… Es passieren allerdings auch lustige Dinge. Sympathisch ist der Rollback in frühere Zeiten, als in Bali der Gig komplett gecancelt wird und die Band sich selbst eine neue Venue sucht, Melvin so wie ganz früher DIY-gemäß Flyer druckt und diese an Passanten und in Plattenläden verteilt, während er dort der Verkäuferin zeigt, dass „er“ es ist, der im giftgelben Cover von „Wolves in wolves clothing“ zu sehen ist. Oder die dokumentierte Tatsache, dass Smelly an Flughäften (fast) nie erkannt wird (völlig unverständlich, denn er ist MEGA-knuddelig und zudem von oben bis unten zugetackert, d. h. tätowiert). Dort sitzt er meist gelangweilt auf einer Bank, während Fans sich um die anderen drei Jungs scharen. In Tokyo haben die Leute im Publikum stets ganz brav auf das Ende eines Songs gewartet, bis sie Stagediving ausprobiert haben, und NOFX haben ihnen beigebracht, dass es auch anders geht. Hysterische Backstage-Groupies kommen vor, sowie israelische Die-Hard-Fans, die von ihrem Armeedienst getürmt sind, um ihre Helden live zu erleben. Interessant ist, dass jedes „Fuck“ und jedes „Shit“ überpiept wurde im Ton, jedoch bei den Untertiteln zu lesen ist. Interessant wäre zu wissen, ob solche Wörter wie „ficken“ denn bei den japanischen Untertiteln vorkommen, aber leider bin ich dieser Sprache überhaupt nicht mächtig. Auf einer zweiten DVD befinden sich zwei Stunden Bonusmaterial, welches nicht mehr in die acht Folgen, die jeweils gut zwanzig Minuten dauern, hineingepasst hatte. Zuerst dachte ich, es ist möglicherweise langweilig, eine solche Doku zu betrachten, aber ich gebe zu, dass ein Freund und ich die acht Folgen an einem Stück gekuckt und wir uns total amüsiert haben. Da NOFX eine Band ist, die sich nicht besonders um ihre Erscheinung in den Medien schert und infolgedessen selten in ihnen vertreten ist, bleibt es beim Betrachten der Serie interessant, so viel von ihnen wie noch nie zuvor mitzubekommen. Und wenn Fat Mike abends im Bett heult, weil er es nicht geschafft hat, vernünftigen Kontakt zu seiner Tochter zu bekommen, die gerade ihren dritten Geburtstag feiert, dann ist das nicht eiskalt für eine Quote inszeniert, sondern echt. Punkrock eben. TIPP: Ausführliches Interview mit Fat Mike im nächsten WAHRSCHAUER #58.
El_Nico
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