Sunny Bastards – VÖ 24.4.2008 |
---|
Zuletzt aktualisiert am: 25. Mai 2008
Der in Genf geborene Regisseur Daniel Schweizer sagt über sich, dass er „engagierte, provozierende und manchmal auch verstörende Filme machen“ will. „White Terror“ ist nach „Skin Or Die“ und „Skinhead Attitude“ der Abschluss seiner dokumentarischen Skinhead- Trilogie. Angeregt wurde dieser letzte Teil dadurch, dass Schweizer bei seinen Recherchen zu den ersten beiden Teilen ein im Untergrund vom Blood & Honour Netzwerk vertriebenes „Kriegsberichter-Video“ in die Hände bekam. Diese DVDs werden von den Nazis als Propagandawaffen im „Rassenkrieg“ angesehen und enthalten selbstproduzierte Videos mit rechtsextremer Musik, Interviews und andere Geschmacklosigkeiten.
Bei seinen Recherchen in Schweden, Deutschland, USA und Russland gelingt es Daniel Schweizer, in dreijähriger Arbeit zu seiner Dokumentation einigen Nazis erschreckend nah zu kommen, wie zum Beispiel Bart von Blood & Honour USA. Er filmt in seinem Haus, seine Freunde und seine Familie und führte dabei Interviews. Diese outen die paranoide Wahnvorstellung der Nazis: die weiße Rasse sei auf der Welt in der Minderheit und würde ausgerottet, wenn sie sich nicht wehrt.
Ich frage mich: Warum kommen die nicht darauf, dass sie eigentlich keine Angst davor zu haben bräuchten, denn niemand verbietet es ihnen, Rassisten zu sein. Niemand hindert sie daran, sich „reinrassisch“ fortzupflanzen und ihre Kinder rassistisch und faschistisch zu erziehen. Was sie auch tun, weil sie niemand davon abhält. Trotzdem fordern sie in ihrer panischen Angst ein eigenes Reservat, von ihnen missbräuchlich auch als Nation bezeichnet, in dem nur weiße Christen leben sollen. Vielleicht glauben sie, „Rassen“ würden sich nicht nur durch Fortpflanzung, sondern auch durch die Luft vermischen...?
Doch hinter dem Geheule steckt in Wahrheit nackte Aggression, denn viele Nazis - wie z.B. Richard Butler von der Aryn Nation, den Daniel Schweizer für seine Dokumentation noch kurz vor seinem Tod interviewte - denken, „Weiße Arier“ würden das „auserwählte Volk aus der Bibel“ sein. Alle Probleme der Welt seien nur dadurch entstanden, dass Eva im Paradies mit der Schlange (dem Teufel) fremd gegangen sei. Aus diesem Seitensprung seien die Schwarzen und die Juden hervorgegangen. Nachdem Eva mit dem Teufel Schluss gemacht hatte, hätte sie dann mit Adam noch die „guten Arier“ gezeugt. So, wie Gott es sich ursprünglich vorgestellt hatte. Im finalen Rassenkrieg soll der biblische Sündenfall durch Massenmord wieder glattgebügelt werden, so dass Gott wieder zufrieden ist.
Mann fragt sich, was denen, die daran fest glauben, zugestoßen sein muss... Es liegt auf jeden Fall nahe, dass diese Nazis extreme Minderwertigkeitskomplexe haben müssen, was der NPD-Landesvorsitzende Jürgen Rieger am 1. Mai 2008 unfreiwillig in Hamburg bestätigte, als er erklärte, dass „Juden“ im Durchschnitt 20% intelligenter als andere seien (Die Zeit, 8.5.2008, S. 21). Nun wäre alles bis hierhin sehr unterhaltsam, würde deren paranoider Wahn in der Realität nicht zu Mord und Totschlag führen. Die „Kriegsberichter-Videos“, dessen Spuren Schweizer in dieser Dokumentation nachgeht, ist ein Propagandaaufruf zur Gewalt, der offenbar nicht wirkungslos bleibt. Eine kurze Recherche im Netz meinerseits ergab, dass in Kleve beispielsweise im Jahr 2001 ein 60 jähriger Herr von einem Mann namens Andreas P. erstochen wurde. Das Opfer hatte sich zuvor über das laute Abspielen des Horst-Wessel-Lieds beschwert. In der Wohnung von Andreas P. wurde unter anderem ein „Kriegsberichter-Video“ gefunden, das er sich zuvor über den Neonaziversand NS 88 in Schweden besorgt hatte (Frankfurter Rundschau, 25.4.2001).
Auch ist eine zukünftige gesellschaftliche Destabilisierung durch Neonazizellen, die gemäß dem Prinzip des führerlosen Widerstands organisiert sind, nicht ganz ausgeschlossen. Die Nazis glauben jedenfalls fest daran, in einer zukünftigen ökonomischen und sozialen Krise die gesamte Gesellschaft in ihren Rassenkrieg stürzen zu können und bereiten sich heute ernsthaft auf diesen Tag-X vor. Wir können es uns nicht erlauben, diesen Wahnsinnigen den Rücken zuzuwenden. Deshalb dürfen wir den Blick von diesem internationalen Neonazinetzwerk nicht abwenden. Allerdings gibt es auch keinen Grund zu übertriebener Panik. Das „berüchtigte“ Blood & Honour Netzwerk besticht nicht gerade durch eine hohe Produktivität besagter „Kriegsberichter-Videos“. Im Jahr 2004 erschien mit Vol. 5 das letzte und auf diese Ausgabe mussten die Nazis fünf Jahre lang warten.
Fazit: Die Dokumentation „White Terror“ ist hervorragend dazu geeignet, das internationale Neonazinetzwerk im Auge zu behalten. Nach Aufführungen im Kino und im Fernsehen erscheint der Film, der 2005 den Züricher Filmpreis erhielt, nun als Special Edition bei Sunny Bastards Recordings. Auf der Bonus-DVD befinden sich u.a. gefilmte Neonaziaufmärsche in Alabama (USA) oder Brno (Tschechei), sowie Interviews mit Swen Bock von Plastic Bomb, Willi Wucher von PÖBEL & GESOCKS oder Deutscher W von OHL. Diese Gespräche sind für sich genommen einigermaßen interessant, allerdings bringen sie für das Thema der DVD nicht viel Erhellendes. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass dieses Material für die eigentliche Dokumentation nicht verwendet worden ist. Abgerundet wird das Bonus-Material wie üblich durch „Behind the Movie“ und „Making of“ Sequenzen. Sehr interessant und aufschlussreich für die Entstehungsgeschichte von „White Terror“ ist das beiliegende Booklet mit einem Interview mit Daniel Schweizer in deutscher, englischer und italienischer Sprache.
bigat
|