Aufbau Verlag Berlin – VÖ: 15.03.2011 |
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Zuletzt aktualisiert am: 15. März 2011
Der Untergang der DDR war für viele ein Glücksfall: Die Kapitalisten konnten sich sanieren, abgehalfterte Politiker ebenso und viele Schriftsteller haben nun bis zum Ende aller Tage ein Thema, da der 2. Weltkrieg mittlerweile keinen mehr aus den Schützengräben lockt. Schreibende, die einstmals von der Volkspolizei angegangen wurden, weil sie im Parkverbot standen, erzählen in dicken Büchern über den Kampf und von ihren Repressalien. Uwe Tellkamp zum Beispiel, hat sich mit der verfallenen Bausubstanz der DDR beschäftigt und fand so einen Turm, in dem er die konspirative Arbeit fortsetzen konnte. Ebenfalls im Untergrund agierte Stephan Krawczyk, der hinter jeder Datschenecke einen informellen Mitarbeiter vermutete. Da die DDR-Themen nicht so spektakulär wie ein Krieg oder ein gefälschter Doktortitel sind, werden sie allerdings schnell ausgelutscht sein.
Bereits jetzt gibt es Druckerzeugnisse über die DDR, die „Landserheft“-ähnlich gestrickt sind. Da wären: Susanne Schädlich mit „Immer wieder Dezember“, Eva-Maria Neumann und ihr „Sie nahmen mir nicht nur die Freiheit“ und Wolfgang Welschs kaum gelesenes „Ich war Staatsfeind Nr.1“. Jutta Voigt wiederum schrieb langweilig über die Essgewohnheiten der DDR-Bürger und wies mit „Westbesuch“ auf Rituale, Gewohnheiten und Eigenheiten hin.
Thomas Kochan versucht sich nun an handfesteren Dingen, die die DDR prägten und jede Brigade-, Jahrestags- und Privatfeier entscheidend mitbestimmten: Die Trinkgewohnheiten. Sein mehr als 300seitiges Buch will eine Menge sagen und vor allem im Geiste Schnaps und Bier über die Angelegenheit „Nur ein betrunkener DDR-Bürger ist ein guter DDR-Bürger“ ausschütten. Bereits 2002 beschäftigte sich der studierte Bibliothekar und Mitarbeiter der „Bundesunmittelbaren Stiftung des öffentlichen Rechts“ mit den Bluesern und Trampern der DDR und stieß während der Recherche auf viele Begebenheiten mit hochprozentigen Getränken. In „Blauer Würger“ geht Kochan gleich zu Anfang auf Artikel westlicher Publikationen ein, die sich nach der Wende mit dem Trinken in der DDR beschäftigten und damit endeten, dass die DDR-Bevölkerung mittels Alkohol ruhig gestellt wurde. Hier sei gesagt: Auch der Schreiberling dieser Zeilen bekam jeden Morgen seine Flasche „Nordhäuser Doppelkorn“ zu „Muckefuck“ und „Hängolin“. Nein, Kochan meint sehr richtig: „Wurde der Schnaps heimlich, also mit Stasi-Methoden verabreicht? ... Skepsis ist schon deshalb angebracht, weil Alkohol nicht nur ruhig und zufrieden macht.“ Weiter schreibt der Trinkforscher, dass in den 1960er Jahren die sozialistische Politik einen verbissenen Kampf gegen den Alkohol führte, Ulbricht diesen verabscheute und daher die alten Kneipen ausrotten wollte. Mit der Zeit siegten aber die wirtschaftlichen Interessen über ideologische Bedenken. Geld wird mit Alkohol bis heute verdient. Immer tiefer dringt dann Kochan in die Misere ein, lässt Betroffene, wie Kneiper, Kaufhallenangestellte, Jugendliche und Arbeiter, zu Wort kommen, berichtet über in Alkohol getränkte Feiern, über Missbrauch bei der Nationalen Volksarmee und erklärt sehr genau, warum Ost-Hippies die Saufkultur als Teil des zelebrierten Anderseins ansahen und ihre Trinkfestigkeit als Qualitätssiegel ausgaben. Keinen Schnaps gibt er am Ende der SED-Führung aus, da diese die dunklen Seiten des Trinkens (Alkoholkrankheit) vertuschte und mit alkoholbedingten, politisch heiklen Situationen ziemlich ratlos umging und diese den Juristen und Kriminologen überließ. Kochans Buch über die „alkoholzentrierte Gesellschaft DDR“, wie es im Untertitel heißt, ist wichtig für DDR-Bürger und sollte allen Quatschschreibern (siehe oben) in ihre Mäuler gesteckt werden. Danach noch mit dem leckeren 40-prozentigen Kristall-Wodka „Blauer Würger“ nachspülen.
Thobe
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