Aufbau Verlag Berlin – VÖ: 12.03.2012 |
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Zuletzt aktualisiert am: 30. März 2012
Egal, ob man Physik studieren wollte, als Pfarrerstochter durchs Leben ging oder später schlechte Lieder gegen den Staat sang - wer als junger Mensch in der DDR die Polytechnische Oberschule besuchte, der musste auf die Lehrer hören und sich mit dem Lehrplan auseinander setzen. Im Deutschunterricht gehörte es zum Beispiel dazu, dass man die Pflichtbücher las und sich dann in verschiedenen Kontrollen oder gar in einer abschließenden Prüfung mit den Figuren, mit dem Schriftsteller und mit dem Inhalt auseinandersetzte. So steckten auch Bücher im Ranzen, die langweilten oder nicht gerade jugendliche Themen aufgriffen. Am Ende des Lehrstoffs kamen die Schüler zu dem immer noch gültigen, aber von Gesamtdeutschland mittlerweile ignorierten, Spruch: Nie wieder Krieg.
Was wurde nicht alles gelesen und behandelt: Nikolai A. Ostrowskis Hymne an die für Frieden und Sozialismus kämpfende Sowjetunion „Wie der Stahl gehärtet wurde“, das spannende Antikriegsbuch „Die Abenteuer des Werner Holt“ von Dieter Noll, und der ziemlich zähe und von vielen nur angelesene Maxim-Gorki-Roman „Die Mutter“. Ebenfalls zur Pflicht gehörte ein über 500 Seiten dickes Buch, das über 3,5 Millionen Mal verkauft und in über 30 Sprachen übersetzt wurde: Bruno Apitz` 1958 erschienener Roman „Nackt unter Wölfen“.
Die frei nach einer wahren Begebenheit konzipierte Geschichte ließ den Leser nicht mehr los, trieb einem vor Wut (wegen der Nazis) und Mitleid die Tränen in die Augen und festigte den Wunsch nach: „Nie wieder Faschismus“.
Im Frühjahr 1945 schleuste man in das KZ Buchenwald einen dreijährigen Jungen, den zwei Häftlinge versteckten. Da diese Aktion die Arbeit des illegalen Lagerkomitees behinderte, kam es zu Konflikten, zumal bei Auffindung des Kindes durch die SS, den Beschützern und dem Kind der Tod drohte. Die Rettung des jüdischen Kindes entwickelte sich in der DDR zu einem Symbol des antifaschistischen Widerstandskampfes. Die Medien der DDR konnten sogar das Kind ausfindig machen. Es handelte sich um Stefan Jerzy Zweig, der in Wirklichkeit von seinem Vater im KZ Buchenwald versteckt wurde und nach dem Krieg lange Jahre in Israel wohnte, aber durch das Medieninteresse in die DDR zog, hier heiratete und sich in Babelsberg zum Kameramann ausbilden ließ.
Nach der Verfilmung von Frank Beyer, mit den meisterlichen Schauspielern Armin Mueller-Stahl und Erwin Geschonneck, gerieten Bruno Apitz' Probleme mit dem Buch schnell in Vergessenheit, denn es entstand der erste Welterfolg der DDR.
Nun gibt es eine erweiterte Neuauflage von „Nackt unter Wölfen“, die sich mit den nie offiziell gewordenen Problemen beschäftigt. Als der selbst mehrfach im KZ Buchenwald inhaftierte Schriftsteller Mitte der 1950er Jahre eine erste Filmskizze und den Romananfang bei Verlagen einreichte, war man an diesem Stoff nicht interessiert. Die Verantwortlichen trauten dem unbekannten Autor die Bewältigung von solchem Stoff nicht zu. Außerdem konnte niemand die Provokation zulassen, dass sich, laut Apitz, Kommunisten in einem moralischem Dilemma befanden, sich zwischen Parteidisziplin und Gewissen zu entscheiden. Mehrfaches Umschreiben war die Folge.
In der Neuausgabe werden die ersten Manuskriptfassungen eingebunden, in denen Apitz die Rolle der Kommunisten als Funktionäre der illegalen Lagerleitung und in der Häftlingsverwaltung zwiespältiger beschrieb. Auch gibt es weiterführende Texte und im Nachwort, das von der Historikerin Susanne Handtke stammt, werden Details aus Apitz` KZ-Haft den Lesern zugänglich gemacht.
Zu erwähnen wäre noch, dass die Leitung der Gedenkstätte Buchenwald vor einigen Jahren eine Anfang 1950 angebrachte Gedenktafel, mit der Aufschrift: 'In diesem Gebäude befanden sich die Effektenkammer, die Häftlingsbekleidungskammer und die Gerätekammer. In der Effektenkammer versorgten Häftlinge den zwischen Säcken versteckten 3-jährigen Stefan Zweig. Unter Einsatz ihres Lebens retteten sie das Kind vor der Vernichtung.', entfernten und durch eine Tafel ersetzten, die darüber informiert, dass in diesem KZ über 900 Kinder untergebracht waren.
Thobe
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