Hans Coppi, Stefan Heinz (Hg.)
Der vergessene Widerstand

Dietz Verlag Berlin
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Zuletzt aktualisiert am: 09. Juli 2012
Gerade weil jetzt ein Kommunistenhasser, rechtskonservativer Gernegroß und Sohn zweier NSDAP-Mitglieder der Bundesrepublik vorsteht, sind Bücher über die Geschichte des Kommunismus besonders wichtig und sollten von Menschen mit links pochendem Herzen unbedingt gelesen werden. Der Karl Dietz Verlag aus Berlin bringt in dieser Richtung seit langem Hervorragendes und Ungewöhnliches auf dem Markt. In der Reihe „Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus“ steht der 16. Band für alle Interessierten bereit. Hier haben sich die Herausgeber mit dem Thema „Der vergessene Widerstand“ beschäftigt. Gemeinsam mit Historikern und Politologen berichten sie über Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokraten, Trotzkisten, Anarchisten und Zwangsarbeiter, die auf ihre Weise gegen den Faschismus kämpften, die nationalsozialistischen Schergen hassten und nie freiwillig der „Partei des großen Führers“ beigetreten wären. Wichtig ist dieses Buch auch deshalb, weil am 20. Juli immer wieder die Widerstandskämpfer dieses besagten Tages (1944) gewürdigt und all die anderen Antifaschisten fein säuberlich vergessen werden. Man nennt die Hitlergegner Rudolf-Christoph Freiherr von Gerstorff, Claus Graf Schenk von Stauffenberg und Henning von Tresckow und ignoriert die Mitglieder der Weißen Rose, weiß nicht die Namen des Kreisauer Kreises und vergisst die Rote Kapelle, wie auch die Bekennende Kirche und den allgemeinen Arbeiterwiderstand. Es gab nämlich noch viele Menschen mehr, die ihre humane Gesinnung behielten, antifaschistisch wirkten und Verfolgten zur Seite standen. Man ließ sich nicht von der braunen Propaganda mitreißen, sondern hinterfragte diese, warnte vor dem Krieg und wollte, trotz der riesigen Übermacht, ein besseres, sozialistisch geprägtes Leben statt des Dritten Reiches. Hätte in der Zeit nach 1933 der werte Herr Gauck noch von Freiheit gesprochen, Menschen geholfen oder gar gegen den Faschismus auf der Kanzel gepredigt? Ich denke: Nein, er hätte sein Fähnlein in den Wind gehalten und es seinen treuen Nazieltern gleich getan. Da die Nazis mit Terror das Land überrollten und den Versuch starteten, alle Kommunisten zu vernichten, gingen diese in den Untergrund. Kein Andersdenkender wurde verschont, ob Mitglied der Gewerkschaft, unterschiedlichen Jugendorganisationen und Sportvereinen. Auch die Sozialdemokraten, die zunächst hofften legal weiter arbeiten zu können, standen auf sogenannten „Gegner“-Listen und entgingen der Verhaftung nicht. In diesem Buch berichten die Autoren nun, wie der Widerstand in der Illegalität zum Tragen kam, wie man trotzdem Flugblätter, Zeitungen und Zeitschriften verbreiten konnte und wie unter Einsatz seines Lebens an Mauern und Brücken Botschaften gegen Faschismus und Krieg gepinselt wurden. So schildert zum Beispiel die Diplom-Politologin Marion Goers sehr genau und interessant die Arbeit im Verborgenen des freigewerkschaftlichen Deutschen Metallarbeiter-Verbandes von Berlin. Obwohl der Gewerkschaftsfunktionär Max Ulrich im Rahmen einer „Terroroffensive gegen die Gewerkschafter“ 1935 eine Irrfahrt durch Gefängnisse und Konzentrationslager erleben musste, pflegten die anderen Genossen und Kollegen auch weiterhin untereinander engen Kontakt, schickten illegale Schriften ins Ausland und kümmerten sich um die Familie des Verhafteten. Endlich werden in einem Beitrag von Stephan Stracke die in manch Forschung als „selbstmörderisch und illusionär“ beschriebenen Leistungen der KPD gewürdigt und als richtig und unabdingbar eingestuft. Die bisher immer vergessene Widerstandsarbeit der Frauen wird durch Gisela Notz erwähnt, in ihrer biographischen Skizze über die Freidenkerin Hilde Schimschok. Faktenreich und spannend schildern schließlich Annette Neumann und Bärbel Schindler-Saefkow den Aufbau der größten deutschen Widerstandsorganisation, in den Kriegsjahren 1943/44. Der KPD-Funktionär Anton Saefkow, der bis 1939 im Zuchthaus saß, gründete diese gemeinsam mit Kommunisten, Gewerkschaftern und Sozialdemokraten und mit in Deutschland in die Illegalität gegangenen Widerstandskämpfern. Hier stellt sich die Frage: Wer wusste schon, dass sich der Kommunist Saefkow mit Vertretern der SPD und mit den Verschwörern um Claus Graf von Stauffenberg traf, um gemeinsam gegen Hitler & Co vorzugehen? Im Text „Die Saefkow-Jacob-Bästlein-Organisation“ steht dann ein Satz, der auf alle Widerstandskämpfer angewendet werden muss: Sie alle ließen sich durch die Erfahrungen mit Gestapo und Nazijustiz nicht demoralisieren oder entmutigen; sie blieben ihrer Überzeugung treu und stellten sich aufs Neue gegen das verhasste Regime. In einem großen und sauber verfassten Beitrag erhält der Anarchist Otto Weidt ein Denkmal, da er ganz selbstverständlich bei der der Gestapo vorsprach, um die bei ihm arbeitenden jüdischen Häftlinge zu schützen. Der KPD-Funktionär Ernst Wollenberg steht bei Sven Schneider im Mittelpunkt. Wollenberg mußte nicht nur von den Nazijägern fliehen, sondern auch vor den Mitgliedern der KPD, die ihn aus unerfindlichen Gründen aus der Partei ausschlossen. Man hielt ihn wohl für einen Gestapospitzel. Schließlich gibt es noch wertvolle Texte über den Kampf der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, über die Handlungen der in Deutschland lebenden Polen zur Überwindung des NS-Regimes und wie sich Eisenbahner an Sabotageaktionen beteiligten. Mit diesem Buch kann leider nur ein kleines Stück Arbeiterwiderstand dargestellt werden. In der Erforschung gibt es noch große Defizite, die nicht gerade von vielen Universitäten und Fachschulen behoben werden. Wer nun mehr über den Widerstand jenseits der Männer des 20. Juli wissen möchte, sollte sich unbedingt diese neuen Forschungsergebnisse besorgen und bis zum letzten Satz durchlesen. Auf 380 Seiten erhalten bisher unbekannte Widerständler wenigstens eine späte, aber nicht zu späte, Würdigung.
Thobe
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