DIRK REINHARD
Edelweißpiraten

Aufbau Verlag Berlin – VÖ: 23.07.2012
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Zuletzt aktualisiert am: 01. Januar 2014

Es musste einfach sein: Das Buch „Edelweißpiraten“ von Dirk Reinhardt konnte ich nicht aus der Hand legen. Erst verschlang ich einige Seiten auf einer Zugfahrt und dann las ich noch die Nacht durch. Das Buch ließ einen einfach nicht los. Man will unbedingt wissen, wie es weiter und schließlich wie es zu Ende geht. In der Zeit, in der die Nazis in Deutschland einen faschistischen Staat aufbauten, gab es trotzdem Jugendliche, die sich nicht vereinnahmen ließen, die weder in die HJ wollten, noch an der militärischen Ausbildung teilnahmen. Sie waren anderes als der Rest der Bevölkerung: Sie liebten die Freiheit, trugen lange Haare und kleideten sich mit ungewöhnlichen Klamotten. Das waren alles so Sachen, die die Nazis wütend machten und, je länger der II. Weltkrieg dauerte, von ihnen mit immer brutaleren Mitteln bekämpft wurde.

Die Edelweißpiraten trafen sich in Parks, an Seen und in Wäldern, sangen lustige und nachdenkliche Lieder, wanderten und wollten zunächst von all den politischen Dingen nichts wissen. Dirk Reinhardts Geschichte ist zwar erfunden, könnte aber auch von Satz zu Satz wahr sein, da es die Edelweißpiraten wirklich gab und alle Ähnliches erlebt hatten. In Form eines Tagebuches erklärt er den Werdegang einiger Piraten in der Nähe von Köln.

Zunächst war aber erst einmal der alte Gerlach, der sich mit dem 16jährigen Daniel anfreundet und von ihm schließlich das bereits erwähnte Tagebuch übergibt. Während des Lesens erfährt der Junge, wie „Gerle“, so der Spitzname des Piraten, zur Clique kam und was er bis zum Ende des Krieges alles mit seinen Freunden durchstand. Von Anfang an von der HJ drangsaliert, weil er anders war und sich nicht anpassen wollte, floh er vor denen und fand Freunde bei den Freiheitsliebenden, die sich Kralle, der Lange, Frettchen, Tilly, Maja, Goethe, Tom, Flocke und Flint nannten.

Genau wird im Buch der Konflikt zwischen dem Tagebuchschreiber und seinem Bruder Horst geschildert, der schon mit 16 Jahren in eine SS-Eliteschule ging. Hier erlebte dieser die schlimmsten Sachen und wurde am Ende schließlich Aufseher in einem Gefangenenlager und hielt trotzdem bis kurz vor Schluss das SS-Fähnlein hoch. Gerle dagegen, entwickelte sich mit der Zeit, durch die Verfolgungen und brutalen Misshandlungen von Gestapo und Polizei, zum Nazigegner. Gemeinsam mit weiteren Edelweißpiraten verteilte er Flugblätter, bemalte Mauern und Häuser mit Antikriegsparolen und begann irgendwann mit militanten Aktionen, weil die Wut und der Hass gegen all die Nazischergen (vom Blockwart bis zur Gestapo) immer größer wurden. Doch so richtig wollten sie nicht an eine bessere Zukunft glauben, denn Gerle schreibt auch in seinem Tagebuch: ‚Selbst wenn die Nazis mal nicht mehr sind: Es ändert sich nichts. Die Großkotze haben weiter das Sagen, und Leute wie wir sind ihre Fußabtreter. Das bleibt alles gleich. Egal, wer oben zu bestimmen hat.‘ Trotzdem behielten die Freunde immer ihre Menschlichkeit, ihre Liebe zu den schönen Dingen des Lebens, sie standen füreinander ein. So war es selbstverständlich, dass sie russischen Flüchtlingen halfen, die aus den umliegenden Lagern geflohen waren, und sich am Ende gar um ein elternloses Kind kümmerten. Auf dem Weg zum Frieden verlor der Tagebuchschreiber wichtige Freunde, die den Nazis nicht mehr entfliehen konnten. Reinhardt, der mit diesem spannenden und sehr dramatischen Roman den Edelweißpiraten ein Denkmal setzt, schildert im Nachwort, dass auch die Edelweißpiraten Regimegegner waren und nicht vergessen werden dürfen. Er klärt auf, warum es bis zu den 1980er Jahren dauerte, bis man anerkannte, dass nicht nur eine höhere Elite den Faschismus bekämpfte, sondern auch einfach Menschen aus der Bevölkerung. Die Edelweißpiraten machten viele Aktionen spontan, denn sie waren keine Organisation mit Satzung und Beitrag, sondern Jugendliche, die erst Spaß haben wollten und schließlich mit allen Mitteln für ihre Freiheit kämpften.

In der Bundesrepublik herrschte die Ansicht vor, dass die Edelweißpiraten keine Widerstandskämpfer waren, sondern nur Kleinkriminelle und Unruhestifter. Da gibt es zum Beispiel die Mutter vom 1944 im Alter von 16 Jahren von den Nazis erhängten Bartholomäus Schink, die 1954 beim Kölner Regierungspräsidenten die Anerkennung ihres Sohnes als politisch Verfolgten beantragte. 1964 lehnte die Behörde den Antrag mit der Begründung ab, es habe sich lediglich um eine „Verbrecherbande“ gehandelt. Bei dieser Einschätzung wurden die Aussagen von ehemaligen Gestapobeamten (Sic!) verwendet, Aussagen von Edelweißpiraten aber ignoriert.

ThoBe
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