Zweitausendundeins |
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Zuletzt aktualisiert am: 11. Juni 2010
Michael Rudolf darf man nicht vergessen, sagte sich Jürgen Roth und veröffentlichte 2008 das wunderbare Buch „Der Mann mit den neunhundertneunundneunzig Gesichtern“. Hier versammelte der Freund und Kupferstecher schönste Geschichten und lud dazu viele Gleichgesinnte ein, sich an Micha aus Greiz zu erinnern. Das Buch ward schön dick, abwechslungsreich und verdammt lustig.
Nun gibt es eine weitere Erinnerung, nämlich den schmalen Band „Schrumpft die Bundesrepublik!“. In einer überregionalen Zeitung schrieb Rudolf in loser Folge über verschiedene Landstriche und Bundesbürger, die es zu pulverisieren galt. Nicht jedes Ländle durfte bis zum Ende aller Tage zur Bundesrepublik gehören. Wer zu viel schlechtes Bier trinkt, die meisten komischen Eigenschaften hat und außerdem ständig unverständlich daher faselt, sollte Polen oder sonst einem anderen „Anrainer“ zugeschoben werden. Warum kann man nicht die Thüringer, die Hessen oder gar die Bayern, die sowieso niemand mag, ausbürgern und mit einer großen Hecke abtrennen? Die Texte riefen großen Protest hervor. Oft wurde die angebliche Verleumdung von kleinen Provinzfürsten gegeißelt und der Autor in Leserbriefen sehr dumpfbackig beschimpft. Was kann denn der Rudolf dafür, wenn er die hässliche Stadt Kassel einfach als „hässliche Stadt“ bezeichnet? Gerne präsentierte er die angeblichen „Götter“ der Region, die sich oft feiern lassen und sogar ihren Schwachsinn in Berlin und anderswo verbreiten. Die Nationalgerichte „kotzte“ (Holger Sudau) Micha aus und auch das regionale Bier. Bei den „Fischköppen“ ward schnell erkannt, dass „ganze Plattenfirmen, der Springer Verlag, selbst TOMTE unbehelligt nach Berlin umziehen und die Keime des norddeutschen Wahns aussähen“ dürfen. Die Verbliebenen, wie der schreckliche Grass, der noch geistlosere Biermann und die Beide in sich vereinigenden Torfrock sind weiterhin „auf freiem Fuß und lassen das ihnen hörige Stimmungskanonenfutter ihre unfrohe Botschaft in die andere Hälfte der Welt brüllen“. Gerne habe ich den Text über das Land Thüringen gelesen. Was wäre das noch für ein Spaß gewesen, wenn schon zu Rudolfs Lebzeiten der Althaus beim Wintersport jemanden tot gefahren hätte. Trotzdem erkannte der lustige Mann, das wir des Teufels sind (siehe die Postzahlenbereiche null, drei und neun) und als „Führerscheinasylanten und Kirchensteuerhinterzieher“ durchs Leben schwanken. Da M.R. selbst im Land der schaurigen, „mit Schlachtabfällen und anderweitig fragwürdigen Mikroorganismen“ angefüllte, Rostbratwürste und grünen Klöße leben musste, wurde der Text besonders lang und schön. Die Beschimpfungen treffen sehr genau und immer noch zu: Gewerbegebiete sind durch Riesenkläranlagen besetzt, die CDU heißt eigentlich NPD und „die Verrichtungen des Wohnens und Lebens finden Raum in der Schrankwand“. Toll und fies, einfach: prima. Da Rudolf leider nicht alle Landstriche und Volksstämme mit Worten aus dem Lande schmeißen konnte, setzte Jürgen Roth die Serie nicht schlechter fort, was nun ebenfalls nachzulesen ist. Hier ist ein wirklich feiner Sammelband entstanden.
Thomas Behlertl
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