Verlag Neues Leben/Eulenspiegel Verlag/ |
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Zuletzt aktualisiert am: 11. Juni 2010
Nun hat sich endlich das Geschrei um die Wiedervereinigung und um den Abriss der Mauer beruhigt. Auf allen Kanälen und in fast allen Zeitungen konnten sich ehemalige „Systemkritiker“ auslassen und das neue System lobpreisen.
Wer fast vergessen war, durfte endlich wieder vor ein Mikrophon treten und den gefährlichen Weg vom ersten Flugblatt bis zum Hände schütteln mit Birne Kohl erläutern. Irgendwie waren wir alle ja gegen die Gangster Honecker & Co. Was haben die die Menschheit beschissen, was wuchteten sie auf ihre Seite und welche schlimmen Spielchen spielten sie in Wandlitz. Alles hatte 1989 ein Ende, seitdem helfen uns starke Politiker, auf den rechten Weg zu kommen. Korruption gibt es nicht mehr, Bespitzelung erst recht nicht und Arbeitslosigkeit schon gar nicht. Jetzt haben wir einen astreinen und männlichen Außenminister, eine schöne Kanzlerin und einen Kriegsminister mit einem duften Haarschnitt, was will der Mensch mehr. Die Sieger- und Märtyrertypen beruhigten sich schnell wieder, denn sogar der Spiegel druckt nichts mehr von ihnen.
Erst jetzt lohnt es sich, drei ganz hervorragende Bücher vorzustellen, die sich kompetent und ohne Firlefanz mit der Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik beschäftigen und ganz still und leise erschienen sind. Es geht dabei um das tägliche Leben, um das ganz private Zuhause und um die Kunst. Zu letzterer Abteilung gibt es das große Buch „40 Kunstwerke aus der DDR“. Nachdem in der Ausstellung „Sechzig Jahre, Sechzig Werke“, im Gropius-Bau, kein einziges Bild eines bildenden Künstlers der DDR hing, kann man froh sein, dass dieses hervorragend gestaltete Druckerzeugnis den Weg in die Öffentlichkeit fand. Beim ersten durchblättern merkt der Leser, dass nur ganz wenige Bilder als „staatsnah und linientreu“ bezeichnet werden dürfen, Ignoranz und Überheblichkeit gepaart mit Dummheit spielte also bei den Machern der Ausstellung und überhaupt bei vielen westdeutschen Kunstsach-verständigen eine große Rolle. Wie sagte doch der Maler und Grafiker Wolfgang Petrovsky, der mit dem außergewöhnlichen Blatt „Kindersoldat“ vertreten ist und den man durch seine Grafikar-beiten zu Victor Klemperers „LTI“ kennt: „Bilder-stürmerei und Ignoranz sind zu allen Zeiten Tri-umphe der Dummheit. Dagegen muss man angehen.“ Angegangen wurde mit diesem Buch, das auch das bekannteste Bild der DDR enthält: Walter Womackas 1962/1963 gemaltes Werk „Am Strand“. Jeder Jugendliche, der verliebt war, hatte das Kunstwerk als Gemäldedruck an der Wand. Viele Künstler, die zu DDR-Zeiten aus dem Alltag nicht wegzudenken waren, da ihre Werke auf Briefmarken, in Lehrbüchern oder in Museen zu sehen waren, können hier wieder entdeckt werden. Harald Metzkes ist mit dem 1956 geschaffenen kritischen Bild „Abtransport der sechsarmigen Göttin“ - es erinnert an den Ungarnaufstand - genauso dabei, wie Otto Nagel, Max Lingner, Hans Grundig, Sighard Gille, Wolfgang Mattheuer und Willi Sitte. Nicht zu vergessen die Künstlerin Heidrun Hegewald, die 1965 für die Gestaltung des Peter Hacks`chen Kinderbuches „Flohmarkt“ die Auszeichnung „Schönstes Buch“ erhielt. Mit dem Buch „40 Kunstwerke aus der DDR“ wird ganz hervorragend an eine wichtige Kunstepoche in Deutschland erinnert.
Ein weiteres gutes Buch nennt sich „Leben in der DDR“ und wurde von Franziska Kleiner herausgegeben. Auf über 300 Seiten geben Menschen, die in der DDR gelebt haben, ihre persönlichen Erfahrungen wieder und schildern interessante und alltägliche Begebenheiten. Nachgeborene können erfahren, wie das Leben in dem kleinen Staat funktionierte, wie bestimmte Dinge erledigt wurden und welche Erfahrungen man bis heute nicht missen möchte. So wird geklärt, warum ein Westpaket nicht nur Freude auslöste, wie eine Kartoffelernte funktionierte und warum Skatkarten die deutsch-sowjetische Freundschaft festigten. Wer auch wissen will, warum das DDR-Theater Weltformat hatte und wie friedlich die Friedenstaube war, der wird hier fündig werden.
Über 400 seltene Abbildungen machen das Zeitdokument noch wertvoller. In die privaten Gemächer dringt schließlich das Buch „So haben wir uns eingerichtet“ ein. Noch einmal gibt es Montage-Schrankwände, Außenwandheizer und Badeöfen zu bewundern. Man kann lachen über Geschmacksirrtümer in der Datsche und sich wundern über die Improvisationskunst eines jeden bauenden DDR-Bürgers. Originelle Fotos von einer untergegangenen Wohnkultur, das häusliche Paradies öffnet noch einmal alle Tore.
ThoBe
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