Der völkerrechtwidrige Angriffskrieg Putins auf die Ukraine hat bereits zehntausende Tote, Verstümmelte und Verletzte gefordert, entsetzliches Leid und eine riesige Zerstörung über das osteuropäische Land gebracht und Millionen zu Flüchtlingen gemacht. Selbstverständlich haben die Ukrainer das Recht sich gegen den russischen Angriff zur Wehr zu setzen, und die Solidarität mit den Opfern des Kriegs ist ein Gebot der Menschlichkeit. Aber gerade, weil dieser verheerende Krieg in Europa stattfindet, darf die Vorgeschichte und die Verantwortung auch des Westens, insbesondere der USA, nicht verdrängt werden. Aktuell am dringlichsten und angesichts des ungeheuren Drucks zu immer weiteren Militärlieferungen entscheidend ist es jedoch, die Konsequenzen und notwendigen Grenzen militärischer Unterstützung nicht zu ignorieren, da dies sonst in einen Weltkrieg mit tausendfach potenziertem Leid führen könnte.
„Nie haben die Massen nach Wahrheit gedürstet. Von den Tatsachen, die ihnen missfallen, wenden sie
sich ab und ziehen es vor, den Irrtum zu vergöttern, wenn er sie zu verführen vermag.“
(Gustave Le Bon, „Psychologie der Massen“, 2009, S. 106)
NATO oder nicht NATO
(Foto in diesem Abschnitt: Ralph-Thomas Kühnle / pixelio.de)
Zwar ist die Ukraine kein NATO-Mitglied und fällt deshalb nicht unter die im NATO-Vertrag verankerte Beistandsverpflichtung, es gibt deshalb keinen Mechanismus für einen direkten Eingriff von NATO-Kampfeinheiten in den Krieg, was unmittelbar einen Weltkrieg auslösen würde. Aber dadurch ist die Gefahr eines Kriegs zwischen NATO und Russland nicht gebannt, denn es ist durchaus möglich, nach und nach in eine direkte Konfrontation hineinzurutschen. Und auf diesem Weg befindet man sich seit dem Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine. Die westlichen Länder reagierten sofort mit einem „Totalen Wirtschafts- und Finanzkrieg“ (Frankreichs Wirtschaftsminister) gegen die Atommacht Russland und versorgen die Ukraine seitdem mit anhaltend massiven Waffenlieferungen sowie technischer, logistischer sowie höchstwahrscheinlich nachrichtentechnischer Unterstützung, die z.T. schon vor dem umfangreichen Angriff Russlands eingesetzt hatte (siehe Fußnote 1). Das macht die westlichen Länder, auch ohne direkt mit eigenen Soldaten einzugreifen, schon längst zu Beteiligten an diesem Krieg, weil sie dessen den Verlauf auch so beeinflussen, was auch ihre erklärte Absicht ist. Deshalb bleibt es ein Widerspruch in sich, wenn Bundeskanzler Olaf Scholz in Bezug auf die westlichen Staats- und Regierungschefs sagt: „Unser Handeln wird von diesen Prinzipien getragen ‑ größtmögliche Unterstützung für die Ukraine, aber keine Beteiligung der NATO an dem Krieg.“ (vgl. Link) Denn die „größtmögliche Unterstützung“, die durch die NATO-Staaten momentan geleistet wird, ist eine Beteiligung an dem Krieg.
Die entscheidenden Fragen
2. Kann mit den eingesetzten Mitteln die Anzahl der Opfer minimiert werden?
Frage 1: Das strategische Kriegsziel
(Foto in diesem Abschnitt: Rainer Sturm / pixelio.de)
Zur Frage, welches Kriegsziel am Ende mit den Waffenlieferungen erreicht werden soll, schweigen die westlichen Regierungen und Waffenlieferungsbefürworter. Ungenaue Formulierungen sind für die Beantwortung nicht hinreichend und werfen neue Fragen auf. So z.B. wenn Norbert Röttgen (CDU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses) das Ziel ausgibt, dass die Ukraine sich verteidigen können muss (vgl. Link). Denn es gibt kaum einen Militärfachmann, welcher der Meinung wäre, dass die Ukraine sich gegen den vielfach überlegenen russischen Gegner, mit seinem schrecklichen Waffenarsenal bis hin zu Atomwaffen aller Art, dauerhaft verteidigen kann. Jedenfalls nicht, wenn – aus guten Gründen - ausgeschlossen bleibt, dass NATO-Länder mit Kampftruppen in den Krieg eingreifen, was einen direkten Krieg der NATO-Staaten inklusive USA gegen Russland und damit einen Dritten Weltkrieg bedeuten würde, der weder den Menschen in der Ukraine hilft, noch aufgrund der vielfach potenzierten Zahl an weltweiten Opfern zu rechtfertigen wäre. Oberst Markus Reisner, der die Forschungs- und Entwicklungsabteilung an der Militärakademie in Wien leitet, meint beispielsweise: „Die vom Westen gelieferten Waffensysteme haben einen entscheidenden Einfluss, weil sie das russische Vorankommen verzögern. Wir dürfen aber nicht den Denkfehler machen und glauben, dass solche Waffensysteme den Ukrainern ausreichen, um diesen Krieg zu gewinnen. Sie können vielleicht eine Verhandlungsposition erzwingen, weil sie alles verzögern, mehr aber nicht.“ (vgl. Link)
Es könnte demnach also das Ziel sein, dass mit Waffenlieferungen ein kurzfristig erfolgreicher Kriegsverlauf aus der Sicht der Ukraine und ihrer westlichen Unterstützer erreicht werden soll, um so in den laufenden Verhandlungen mit Russland ein besseres Ergebnis zu erzielen. In dieser Richtung könnten auch die Formulierungen u.a. von Scholz und Habeck interpretiert werden, dass Russland den Krieg nicht gewinnen dürfe (vgl. Link1 und Link2). Aber das führt lediglich zu der nächsten entscheidenden Frage, was Ziel der Verhandlungen ist und was der Westen als Erfolg und Niederlage in den Verhandlungen ansieht. Diese Frage scheint für die NATO-Staaten heikel zu sein und ist nach wie vor unbeantwortet. Noch am 17.4.2022 teilte der britische Geheimdienst mit, dass Moskaus Kriegsziel „unverändert“ sei, die Ukraine zu zwingen „ihre euro-atlantische Orientierung aufzugeben“ (vgl. Link), was allgemein insbesondere mit der EU- und NATO-Mitgliedschaft verbunden wird.
„Rote Linie“ aus der Sicht Russlands
(Foto in diesem Abschnitt: Petra Bork / pixelio.de)
Für die russische Regierung und Putin ist die NATO-Mitgliedschaft entscheidend. Seit der Auflösung des Warschauer Paktes als östliches Verteidigungsbündnis im Jahr 1991 sind 14 Länder der NATO beigetreten: Polen, Tschechien und Ungarn im Jahr 1999, später Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei und Slowenien im Jahr 2004, danach Albanien und Kroatien im Jahr 2009 sowie Montenegro (2017) und Nordmazedonien (2020). Dies wurde von Russland regelmäßig missbilligt. Aber die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens wurde von Putin und der russischen Regierung seit Jahren klar als „rote Linie“ definiert (vgl. Link)- die vom Westen entweder nicht ernstgenommen oder bewusst ignoriert wurde. Im Oktober 2021 schrieb der Diplomat, ehemaliger Botschafter a.D. und Hauptmann der Reserve bei der Bundeswehr, Rüdiger Lüdeking: „Im Kern sollte die Nato – anders als beim diesjährigen Gipfel in Brüssel – auf die pauschale Bekräftigung einer angestrebten Mitgliedschaft von Ukraine und Georgien verzichten. Hier sind von Russland gezogene ‚rote Linien‘ berührt. Der Verzicht ist kein Appeasement, sondern schlicht realpolitisch im Interesse europäischer Stabilität und angesichts nicht verhinderbarer begrenzter militärischer Eingriffe Russlands gegenüber den genannten beiden Staaten geboten.“ (vgl. Link; außerdem siehe Fußnote 2 zu weiteren Personen, die dies ebenso eingeschätzt haben)
Es kam anders. Während die Vorbereitungen zum NATO-Beitritt der Ukraine immer stärker vertieft wurden (siehe Fußnote 3), wollte der Westens noch nicht einmal mit einem Beitritts-Moratorium, wie es u.a. auch von Klaus von Dohnanyi, langjähriger SPD-Bürgermeister in Hamburg, gefordert wurde (vgl. Link), die Lage entschärfen. Das geht u.a. aus der protokollierten Pressekonferenz von Scholz und Putin am 15. Februar 2022 in Moskau, wenige Tage vor dem Angriff, hervor (siehe Fußnote 4). Die darin außerdem geäußerte Ansicht von Scholz, dass ein NATO-Beitritt zurzeit nicht zur Debatte stehe, wurde am nächsten Tag umgehend vom NATO-Generalsekretär Stoltenberg relativiert und unterstrichen, dass es keinerlei Zusagen an Russland in diesem Punkt gibt (vgl. Link).
Auch nach Beginn des Angriffs nannte der Kreml wiederholt die Neutralität als zentrales Ziel in Verhandlungen. Das wird in der westlichen Berichterstattung nicht bestritten, wie z.B. eine dpa-Meldung vom 25.4.2022 zeigt: „Die Verhinderung eines NATO-Beitritts und ein neutraler Status der Ukraine ist eines der Hauptziele des russischen Angriffskriegs gegen den Nachbarstaat.“ (vgl. Link) Daraus kann geschlossen werden, dass eine Verhandlungslösung zwischen der Ukraine und Russland, die in Folge des Kriegs einen neutralen Status der Ukraine und damit einen Nicht-NATO-Beitritt des Landes festschreiben würde, vom Westen wohl so interpretiert werden würde, dass Russland sein zentrales Ziel militärisch durchgesetzt hätte. Dabei schien eine solche Lösung Ende März, einen Monat nach Kriegsbeginn, nicht ausgeschlossen zu sein. Zu diesem Zeitpunkt sagte der ukrainische Präsident Selenskyj: „Sicherheitsgarantien und Neutralität, nicht-nuklearer Status unseres Landes. Wir sind dazu bereit.“ (vgl. Link)
Und tatsächlich hätten sowohl Russland als auch die Ukraine zu diesem Zeitpunkt eine Verhandlungslösung auf Grundlage dieses zentralen Punktes gegenüber ihrer jeweiligen Bevölkerung als Erfolg verkaufen können: Putin das Durchsetzen der „roten Linie“ bei der Osterweiterung der NATO und die Ukraine die Wahrung der nationalen Souveränität durch einen erfolgreichen Abwehrkampf gegenüber dem mächtigen Nachbarland. Wieso ist es also anders gekommen? Vielleicht war Selenskyj vom Verteidigungserfolg der ukrainischen Armee in den ersten Wochen zu sehr berauscht, jedenfalls distanzierte er sich nach der erfolgreichen Abwehr des russischen Angriffs auf Kiew immer stärker von dieser möglichen Verhandlungslösung. Zunächst stellte er sie unter den Vorbehalt einer Volksabstimmung. Dann erklärte er russische Kriegsverbrechen ohne internationale Untersuchung zum Völkermord, wobei er von US-Präsident Biden unterstützt wurde (vgl. Link). Seitdem ist eine Verhandlungslösung, die vom Westen von Anfang an ohnehin weder begrüßt noch durch entsprechende diplomatische Initiativen unterstützt wurde, wieder in weite Ferne gerückt. Offensichtlich wird eine Einigung mit einer fixierten Nicht-NATO-Mitgliedschaft der Ukraine von einflussreichen westlichen Regierungen als nicht akzeptabel betrachtet und als ein Sieg Russlands interpretiert, der auch um den Preis einer weiteren Verlängerung des Krieges verhindert werden muss.
Auf einen vollständigen Rückzug der russischen Truppen durch militärischen Druck zu setzen, bedeutet die quasi Kapitulation einer Atommacht herbeiführen zu wollen. Das erscheint kein realistisches, sondern ein extrem waghalsiges und unverantwortliches Ziel zu sein, dass das Schicksal insbesondere der Menschen in Europa aufs Spiel setzt, aber leider von den westlichen Politikern nicht demtiert wird. Im Verlauf ist die Rhetorik sogar immer schärfer geworden und FDP-Chef sowie Finanzminister Christian Lindner hat auf dem letzten Parteitag seiner Partei sogar ausgerufen: "Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen, und die Ukraine wird diesen Krieg gewinnen!" (vgl. Link) Inzwischen erklärt die britische Außenministerin Liz Truss das Ziel "Russland aus der gesamten Ukraine zu verdrängen" und dafür alles tun zu wollen (vgl. Link). Spätestens der Angriff auf die Krim würde dann mit Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Weltkrieg unter Einsatz von atomaren Waffen bedeuten, weil Russland dies als Angriff auf sein Staatsgebiet sieht und die russsischen Militärdoktrin dann einen entsprechenden Einsatz vorsehen. Putin hat aktuell unterstrichen, dass dies auch erfolgen würde. Großbritannien handelt traditionell in enger Abstimmung mit den USA. Sollte dieses Ziel ernst gemeint sein, dann wäre es Wahnsinn. Sollte es nur eine verbale Drohkulisse aufbauen wollen, dann wäre es in der angespannten Lage vollkommen unverantwortlich.
Weitere Kriegsziel
(Foto in diesem Abschnitt: Michael Hirschka / pixelio.de)
Ein anderes Kriegsziel, dass nicht viel weniger riskant erscheint, könnte darin bestehen, mit den enormen Waffenlieferungen an die Ukraine die russischen Verluste so in die Höhe zu treiben, dass ein militärisches Patt entsteht und die Fronten nach dem Vorbild von Nord- und Südkorea ohne Verhandlungslösung eingefroren werden. So könnten die USA und ihre Verbündeten die erklärte Neutralität der Ukraine verhindern. Aber auch in diesem Fall bedeutet das ein militärisches Abenteuer mit extrem vielen Opfern auf beiden Seiten, welches die Welt ebenso an den Rande des Welt- und Atomkriegs führt und einen dauerhaften Konflikt in Europa schafft, der immense wirtschaftliche Folgen für ganz Europa zur Folge hätte. Der Preis dieses Ziels erscheint insbesondere aus europäischer Sicht immens hoch zu sein. Die Frage ist also: Wer profitiert überhaupt davon? Fakt ist, dass Europa dadurch wirtschaftlich und militärisch in noch größere Abhängigkeit zu den USA gerät und US-Konzerne Europa in erhöhtem Ausmaß ihr teures Fracking-Gas verkaufen können.
Oder wird der Krieg durch immer mehr Waffenlieferungen an die Ukraine weiterhin befördert, um Russland durch den anhaltenden Krieg militärisch auszubluten und wirtschaftlich zu ruinieren und auf diese Weise durch innere Opposition einen Regime Change im Kreml herbeizuführen? Manche Äußerungen, nicht zuletzt die Bemerkung Joe Bidens, dass Putin nicht im Amt bleiben dürfe, lassen dies nicht ausgeschlossen erscheinen. Es ist verstörend, dass bei all diesen Überlegungen ignoriert wird, dass Russland als Atommacht nicht mit Irak, Libyen, Ex-Jugoslawien,Syrien oder Afghanistan vergleichbar ist.
Jedenfalls wurden Möglichkeiten, eine Verhandlungslösung zu erreichen, nicht weiter ausgelotet und unterstützt. Stattdessen geht der der mörderische Krieg mit der russischen Fokussierung auf die Ost-Ukraine in die nächste Runde, wobei die Ukraine durch westliche Staaten mit noch mehr Waffenlieferungen inklusive schwerer und komplexer Systeme unterstützt wird. Und damit wird immer deutlicher: Nicht nur Putin, sondern auch die NATO haben sich in eine gefährliche Sackgasse manövriert. Keiner will nachgeben und damit sieht es so aus, dass auf der einen Seite Russland und auf der anderen Seite die NATO mit den USA und Großbritannien auf der Fahrerbank ein Chicken-Game spielen, bei dem zwei Autos mit hoher Geschwindigkeit aufeinander zurasen und verloren hat, wer zuerst bremst. Allerdings geht es diesmal nicht nur um den Einsatz von Auto und Fahrer, sondern die ganze Welt sitzt auf der Rückbank. Und obwohl das Risiko während der Fahrt immer weiter steigt, gehen beide Seiten immer noch davon aus, dass die jeweils andere es schon nicht zum Äußersten kommen lassen wird. Das ist komplett unverantwortlich. Erst recht, da man weiß, dass Putin bisher immer dazu bereit war das Überschreiten dessen, was er als „rote Linie“ sieht, nämlich eine NATO-Mitgliedschaft Georgiens oder der Ukraine, notfalls mit einem massiven Militäreinsatz zu verhindern. Das war sowohl 2008 der Fall, nach dem Überfall Georgiens auf die international nicht anerkannten, aber von Russland unterstützten Republiken Südossetien und Abchasien. Aber auch bei der Ukraine hat Putin stets keinen Zweifel daran gelassen, dass er notfalls dazu bereit ist die militärischen Mittel stetig zu erhöhen, um einen NATO-Beitritt zu verhindern.
Das zur Kenntnis zu nehmen hat etwas mit Realismus zu tun. Das ändert nichts daran, dass der russische Angriffskrieg völkerrechtwidrig ist. Es heißt genauso wenig, die Souveränität der Ukraine in Frage zu stellen. Denn Souveränität bedeutet nicht, die Aufnahme in einen Club erzwingen zu können, dem im Fall der NATO gemäß Artikel 10 des Washingtoner Vertrag eine Zustimmung aller Mitglieder vorausgehen muss. Stattdessen wäre es vernünftig zu berücksichtigen, in welchem Spannungsfeld eigenes Handeln geschieht und welche Grenzen beispielsweise durch die Interessen anderer Länder, erst recht Großmächte, gesetzt werden. Dies geschah mit umgekehrten Vorzeichen beim völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO unter Beteiligung Deutschlands auf Jugoslawien (vgl. Link), für den bis heute niemand zur Rechenschaft gezogen wurde. Russland intervenierte damals nicht militärisch. Der Kreml hat die Lage damals wohl so interpretiert, dass es nicht viel bringt, wenn auf dem Grabstein am Ende steht „Er hatte recht“. In diesem Sinne richtete sich der russische Oligarch Tinkow jetzt im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine in einem Statement direkt an die westlichen Regierungen: Er selbst sehe "keinen einzigen Profiteur dieses irrsinnigen Krieges", der nur dazu führe, dass "unschuldige Menschen und Soldaten sterben (…) Bitte zeigen Sie Herrn Putin einen klaren Ausweg, mit dem er sein Gesicht wahren kann und durch den dieses Massaker gestoppt wird. Bitte seien Sie rationaler und menschenfreundlicher." (vgl. Link)
Leider passiert das bisher nicht. Außerdem sollte nicht vergessen werden, dass auch die USA auf der Grundlage der Monroe- und Carter-Doktrin für sich in Anspruch genommen haben ihre „roten Linien“ zu definieren und so transparent gemacht haben, dass sie eigenmächtig jeden Eingriff in diese Einflusssphäre „mit allen erforderlichen Mitteln“ verhindern werden (vgl. Link).
Die restlichen Fragen
(Foto in dem Abschnitt: Katharina Wieland-Müller / pixelio.de; Motiv: Durch NATO-Bomben zerstörte Botschaft in Belgrad )
Unter dem Strich bleibt die Feststellung, dass die westlichen Regierungen bisher die Antwort darauf schuldig geblieben sind, wie ihr realistisches Kriegsziel in der Ukraine aussieht bzw. welche Punkte aus ihrer Sicht eine Verhandlungslösung beinhalten sollte. „Der Westen hat (…) Putin nicht richtig gesagt, was er von ihm will, nur so viel: Seine Truppen sollen das Land verlassen. Ja, aber das kann er nicht. Es hängt alles an ihm als Person, er kann sich nicht zurückziehen und sagen: Sorry, das war mein Fehler“, so Oberst Reisner von der Forschungs- und Entwicklungsabteilung an der Militärakademie in Wien (vgl. Link).
Da die westlichen Regierungen unsere Länder aber zu Kriegsteilnehmern gemacht haben und der Krieg in der Ukraine gravierende Auswirkungen auf Europa und die ganze Welt hat, sollte von uns nicht geduldet werden, dass sie sich in dieser Frage hinter der ukrainischen Regierung verstecken und jede Antwort schuldig bleiben. Und solange das Kriegsziel nicht genannt wird, kann auch nicht die Frage beantwortet werden, ob das Kriegsziel mit den eingesetzten Mitteln erreicht werden kann. Die Frage allerdings, ob die Waffenlieferungen die Anzahl der Opfer des Krieges zu minimieren kann klar verneint werden, weil sie eindeutig dabei helfen die Ukraine dazu zu befähigen ihren Widerstand gegen einen konventionell zunächst überlegenen Gegner zu verlängern. Auch wenn die Ukraine diesen Widerstand leisten will, bleibt damit die Feststellung richtig, dass mit den Waffenlieferungen die Anzahl der Opfer in der Ukraine erhöht wird, ohne dass uns die Regierung das Kriegsziel nennt und damit auch keine Bewertung dessen möglich macht, ob das Kriegsziel überhaupt realistisch durch diese Politik zu erreichen ist.
Panzer-Toni will liefern
(Foto in diesem Abschnitt: Alexander Hauk / pixelio.de)
Die letzte Frage macht am meisten Angst: Sind die getroffenen Maßnahmen dazu geeignet die Gefahr zu verringern, dass wir in dieser kritischen Situation in einen 3. Weltkrieg mit „atomarem Holocaust“ stolpern? Und auch wenn der tschechische Kardinal Duka die Worte von US-Präsident Biden lobt, der vor kurzem bei seinem Besuch in Warschau seine Rede im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg mit den Worten "Habt keine Angst" einleitete, weil Angst ein schlechter Ratgeber sei, denn man gebe "nach, wo man nicht nachgeben dürfte" (vgl. Link), klingt das in Anbetracht der vorangegangenen Analyse eher nach dem bösartigen Versuch die Bevölkerung im Chicken-Game ruhig zu stellen. Auch die irre Volte des grünen Vorsitzenden des Europaausschusses, Anton Hofreiter, der mit der Lieferung von schweren Waffen vermeiden will, dass „der Krieg sich immer länger hinzieht", was sonst die Gefahr erhöhe, "dass (…) wir dann am Ende in einen erweiterten de facto Dritten Weltkrieg rutschen" (vgl. Link) ist starker Tobak. Ein Vertreter der ehemaligen Friedenspartei meint also ernsthaft, dass durch die Lieferung von mehr und schwereren Waffen ein schneller Sieg der Ukraine gegen die Atommacht Russland möglich ist und so die Gefahr eines Weltkriegs reduziert wird. Es sei jedem gegönnt, der in der Lage ist, sich durch diese abenteuerliche Argumentation beruhigen zu lassen. Verbal beruhigender sind für mich da aber eher die Worte von Olaf Scholz, der in Bezug auf seinen Amtseid im Spiegel-Interview vom 22.4.22 meinte, dass er alles tue, „um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt“ und mit Nachdruck anfügte: „Es darf keinen Atomkrieg geben.“ Das Problem ist aber, dass sich Deutschland trotz der Kanzler-Worte über den „Ringtausch“ indirekt an der Lieferung schwere Waffen an die Ukraine beteiligt (vgl. Link). Und wenige Tage später waren die Worte des Kanzlers komplett Schall und Rauch. Erst erfolgte die Genehmigung der Lieferung deutscher „Gepard“-Panzer (vgl. Link). Und kurz danach der gemeinsame Beschluss der Ampel-Koalition mit der Union im Bundestag, der insgesamt die Lieferung "schwerer Waffen und komplexer Systeme (..) beschleunigen" will (vgl. Drucksache 20/1550 vom 27.4.22, Forderung 2, S. 6 und Link). Im gleichen Antrag wird auch nebenbei die Bundesregierung aufgefordert Sanktionen gegen China zu verhängen, wenn diese die Sanktionen gegen Russland unterlaufen würden (vgl. Drucksache 20/1550 vom 27.4.22, Forderung 20b, S. 8). Diese Eskalationspolitik ist gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit: Sie befürchtet zu knapp 60 Prozent, dass durch weitere Waffenlieferungen sich der Krieg auf andere Länder ausbreitet (vgl. Link).
Dass die Situation brandgefährlich ist, wird auch von Fachleuten bestätigt. So meint der militärpolitische Berater von Altkanzlerin Angela Merkel und Brigadegeneral a.D. Erich Vad, dass die Lieferung schwerer Waffen potenziell ein "Weg in den Dritten Weltkrieg" sei und er sagt weiter: "Wir machen im Moment sehr viel Kriegsrhetorik - aus guter gesinnungsethischer Absicht. (…) Aber der Weg in die Hölle ist bekanntlich immer mit guten Vorsätzen gepflastert. Wir müssen den laufenden Krieg zwischen Russland und der Ukraine vom Ende her denken. Wenn wir den Dritten Weltkrieg nicht wollen, müssen wir früher oder später aus dieser militärischen Eskalationslogik raus und Verhandlungen aufnehmen." (vgl. Link)
Und der schon zitierte Oberst Reisner von der österreichischen Militärakademie antwortet auf die Frage, welche Risiken der Westen mit seinen Waffenlieferungen eingeht: „Der Zweck heiligt die Mittel, das ist Machiavelli in Reinkultur und sehr verständlich. Russland ist sehr deutlich der Aggressor, und unsere Sympathie liegt auf der Seite der Ukrainer. Trotzdem müssen wir aufpassen. Mich erinnert das an das Jahr 1914, wie es Christopher Clark in seinem Buch ‚Die Schlafwandler‘ beschreibt. Es ist so ein Mit-Hurra-in-den-Krieg-Gefühl, das sich breitmacht. Gerade überschlagen wir uns mit Maßnahmenpaketen von Sanktionen bis hin zu Waffenlieferungen. Darauf kann Ernüchterung folgen, weil nicht das passiert, was wir glauben: Die Russen knicken nicht ein, der Konflikt hört nicht auf, die Flüchtlinge werden noch mehr.“ (vgl. Link)
Ich denke, dass die oben gestellten Fragen ihre Berechtigung haben und dringend eine Antwort der Bundesregierung erfordern – die über die aufgeregte Rhetorik einer „Zeitenwende“ hinausgeht. Gerade wenn es eine Zäsur ist, braucht es ernsthafte und umfassende Antworten und eine wirkliche Debatte. Sind die ungeheuren Mehrausgaben für die Bundeswehr notwendig, die wie schon in der Vergangenheit im Beschaffungsfilz vertrocknen dürften? Wie kommt es, dass dafür Geld in Hülle und Fülle da ist, niemals jedoch für Bildung oder Klimaschutz? Notwendig wäre es auch, über die inflationäre Faschismus-Etikettierung zu sprechen, die beispielsweise Putin an der Spitze einer weltweiten faschistischen Bewegung sieht. Die Fragen sind von erheblicher Relevanz, gerade wenn auf Basis einer meist nicht überprüfbaren Nachrichtenlage über Gräueltaten bis hin zu angeblichen Völkermorden berichtet wird. Wie wichtig es ist, auch in dieser Situation eine sachliche und kritische Distanz zu wahren, zeigt exemplarisch die Video-Botschaft des ukrainischen Präsident Selenskyj vor der israelischen Knesset, in der er behauptete Russland wolle eine "Endlösung" in der Ukraine herbeiführen und so einen Vergleich zum Holocaust zog, der selbstverständlich umgehend und zu Recht von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem kritisiert wurde. Es muss uns klar sein, dass Motive existieren könnten, um uns als Öffentlichkeit mit Bildern und Berichten über den Krieg zu manipulieren und wie leicht dies geschieht, denn gerade in einer Kriegssituation ist es schwierig, verlässliche Nachrichten zu erhalten.
Dies gilt auch für die bisweilen lesbare Prognose, dass Putin einen festgeschriebenen imperialistischen Fahrplan habe und als nächstes beispielsweise die baltischen NATO-Länder angreifen werde. So äußerte sich beispielsweise der Politologe Stefan Meister: „Die Ukraine ist im Prinzip auch für die NATO und die europäischen Staaten eine Front mit Russland. Würden wir diese nicht unterstützen, wäre die Folge, dass Russland in andere Staaten einmarschieren würde.“ (vgl. Link)
Diese Behauptung dient dann als Argument dafür, dass die NATO auch jetzt schon stärker in den Krieg in der Ukraine eingreifen könne oder müsse, weil der Weltkrieg wenig später durch Putin sowieso ausgelöst werden würde. Aber es liegt in der Natur solcher Prognosen, dass sie zwar jeder machen kann, aber die Eintrittswahrscheinlichkeit unter 100 Prozent liegt. Insbesondere dürfte ihr Eintreten eher unwahrscheinlich sein, wenn sie durch belegbare Aussagen aus russischen Regierungskreisen nicht plausibel gemacht werden kann. Ein Verweis auf rechte russische Ideologen, wie Alexander Dugin, deren Einflüsse auf Putin umstritten sind (vgl. Link), reichen nicht, um dabei von einer hohen Wahrscheinlichkeit auszugehen. Aber egal wie hoch sie ist: Es ist keine sinnvolle Handlung sich heute mit jemanden in einen selbstmörderischen Konflikt zu begeben, weil es eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür gibt, dass dieser Konflikt von dem anderen später vielleicht selbst ausgelöst wird. Deshalb bleibt es in jedem Fall rational, alles dafür zu tun, die Ausweitung des derzeitigen Konflikts in einen Weltkrieg zu verhindern und deshalb die genannten Fragen aus Eigeninteresse zu stellen. Nur wenn das Kriegsziel von den Verantwortlichen benannt wird, lässt sich abwägen ob damit noch mehr Tote, Zerstörung und Leid, das Risiko einer unkalkulierbaren fatalen Ausweitung des Krieges sowie das weitere Verschenken von Zeit und Ressourcen, die u.a. beim Kampf gegen den Klimawandel dringlichst gebraucht werden, gerechtfertigt sind.
Jeder kann etwas tun
Wir müssen es nicht schweigend hinnehmen, dass die Regierungen unsere Zukunft verantwortungslos aufs Spiel setzen. Inzwischen gibt es einen offenen Brief an Bundeskanzler Scholz, initiiert u.a. von Martin Walser, Alexander Kluge, den Professoren Reinhard und Wolfgang Merkel, Lars Eidinger oder Reinhard Mey (vgl. Link). Darin heißt es u.a.: "Wir teilen das Urteil über die russische Aggression als Bruch der Grundnorm des Völkerrechts. Wir teilen auch die Überzeugung, dass es eine prinzipielle politisch-moralische Pflicht gibt, vor aggressiver Gewalt nicht ohne Gegenwehr zurückzuweichen. Doch alles, was sich daraus ableiten lässt, hat Grenzen in anderen Geboten der politischen Ethik. Zwei solche Grenzlinien sind nach unserer Überzeugung jetzt erreicht: Erstens das kategorische Verbot, ein manifestes Risiko der Eskalation dieses Krieges zu einem atomaren Konflikt in Kauf zu nehmen. Die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen allerdings könnte Deutschland selbst zur Kriegspartei machen."
Auf Change.org könnt Ihr den offenen Brief unterzeichnen: https://www.change.org/p/offener-brief-an-bundeskanzler-scholz
- Ende -
Fußnote 1:
In einem Artikel der Deutschen Welle wird beschrieben, was die Ukraine u.a. bereits vor dem russischen Angriffskrieg an Waffen erhalten hat (https://www.dw.com/de/wer-liefert-welche-waffen-an-die-ukraine/a-60744954):
„Bereits seit 2019 stellen die USA der Ukraine Javelin-Raketen zur Verfügung. Angaben über die genaue Anzahl gehen auseinander, doch allein seit Herbst 2021 dürften Hunderte der Raketen in die Ukraine geliefert worden sein. Die US-Regierung hat nun zudem den baltischen Staaten die Erlaubnis erteilt, Javelin-Raketen aus ihren Beständen an die Ukraine weiterzugeben. Javelin, Englisch für Speer, gilt als modernste Panzerabwehrwaffe der Welt. Sie kann Ziele wie gepanzerte Fahrzeuge oder Bunker aus mehr als 2000 Metern bekämpfen. Dabei kann Javelin auch schwere Panzer zerstören, da sie deren schwächer gepanzerte Oberseite angreift. Dies gilt auch für die ähnlich funktionierenden NLAW-Raketen aus britischen Beständen, die jedoch über eine geringere Reichweite verfügen. London hat der Ukraine zuletzt etwa 2000 NLAW-Raketen bereitgestellt. ‚Diese Systeme sind genau das, was wir am dringendsten brauchen‘, sagt Mykola Bielieskov vom Nationalen Institut für Strategische Studien in Kiew, einer Einrichtung, die den ukrainischen Präsidenten in Sicherheitsfragen berät. ‚Sie lassen sich sehr leicht in unser Armee-Arsenal integrieren, Soldaten können sehr schnell lernen, wie man sie abfeuert,‘ so Bielieskov im Gespräch mit der DW. ‚Im Fall eines russischen Angriffs wäre ihr massenhafter Einsatz sehr effektiv. Deshalb brauchen wir noch mehr davon.‘“
Mobile Luftabwehrraketen: ‚Aus Litauen würden in den nächsten Tagen US-amerikanische Stinger-Raketen an die Ukraine geliefert‘, kündigte Ministerpräsidentin Ingrida Simonyte am Donnerstag an. Zudem liefert Polen mit der GROM eine ähnliche hitzegelenkte Waffe an Kiew, die Flugzeuge aus bis zu drei Kilometern Entfernung bekämpfen kann. Da die ukrainische Armee bereits ähnliche Waffen in ihrem Arsenal hat, dürfte der Trainingsaufwand für GROM und Stinger gering sein. ‚Diese Ein-Mann-Raketen sind sehr nützlich, weil sie russische Luftangriffe weniger effektiv machen‘, sagt Mykola Bielieskov vom ukrainischen Nationalen Institut für Strategische Studien. ‚Setzt man sie in großer Zahl ein, dann kann man sicher nicht jeden russischen Jet und Helikopter abschießen. Aber Russland müsste einen höheren Preis für einen Angriff bezahlen.‘“
Fußnote 2:
Ehemaliger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi: https://www.nzz.ch/international/mehr-entspannung-wagen-interview-mit-klaus-von-dohnanyi-ld.1675261
Politologe Johannes Varwick (Lehrstuhl für internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg): https://www.n-tv.de/politik/Traegt-der-Westen-eine-Mitschuld-an-Russlands-Krieg-article23208433.html
US-Ökonom Jeffrey Sachs (Sonderberater der Millenium Development Goals und Direktor des UN Sustainable Development Solutions Network sowie Direktor des Earth Institute an der Columbia University): https://www.project-syndicate.org/commentary/diplomatic-compromise-ukrainian-neutrality-for-russia-withdrawal-by-jeffrey-d-sachs-2022-03
Fußnote 3:
Von 2002 bis 2008 hat es die Ukraine vier Mal nicht geschafft, in den Aktionsplan zur Mitgliedschaft (MAP, engl. Membership Action Plan) einzutreten – so oft wie kein anderer Staat (https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine/155757/diesicherheitspolitik-der-ukraine-und-ihre-beziehungen-zur-nato/).Im September 2020 verabschiedete Präsident Selenskyj die neue Nationale Sicherheitsstrategie der Ukraine, die den Ausbau der ausgeprägten Partnerschaft mit der NATO mit dem Ziel der Mitgliedschaft in der NATO vorsieht (https://www.nato.int/nato_static_fl2014/assets/pdf/2022/2/pdf/220214factsheet_NATO-Ukraine_Relations_.pdf).
Die Ergebnisse des NATO-Gipfels vom 14.6.2021 mussten für Russland beunruhigend wirken. Die Bundeszentrale für Politische Bildung schreibt: „Auf dem NATO-Gipfel in Brüssel bekräftigen die Mitgliedsstaaten, dass die Ukraine grundsätzlich Mitglied des Bündnisses werden kann und dass der Membership Action Plan (MAP) zentraler Bestandteil des Prozesses sein wird.“ (https://www.bpb.de/themen/europa/ukraine/338129/chronik11-juni-bis-11-juli-2021/) Nach dieser Formulierung befindet sich die Ukraine also bereits in einem nicht näher definierten Prozess hin zur NATO-Mitgliedschaft.
Das MAP-Programm mit anschließender erfolgreicher NATO-Aufnahme durchliefen bereits:
„Im Rahmen der zweiten Erweiterungsrunde nach dem Ende des Kalten Krieges im Jahr 2004 (Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien), sowie Albanien und Kroatien, die im April 2009 beitraten. Montenegro, das dem MAP im Dezember 2009 beitrat, wurde im Juni 2017 Mitglied des Bündnisses. Die Republik Nordmazedonien, die seit 1999 am MAP teilgenommen hatte, trat der NATO im März 2020 bei.” (https://www.nato.int/cps/en/natolive/topics_37356.htm) Und in der Gipfelerklärung der NATO zum 14. Juni 2021 steht deutlich: „Wir bekräftigen unseren auf dem Gipfeltreffen 2008 in Bukarest gefassten Beschluss, dass die Ukraine ein Mitglied des Bündnisses wird (!), wobei der Mitgliedschaftsaktionsplan (MAP) fester Bestandteil dieses Prozesses ist, und wir bestätigen alle Elemente dieses Beschlusses sowie der nachfolgenden Beschlüsse einschließlich der Tatsache, dass jeder Partner nach seinen Leistungen beurteilt wird.“ (https://nato.diplo.de/blob/2467084/2ced1f1d1ea0edd979dabd815bcfca3e/20210614gipfelerklaerung-data.pdf; Absatz 69)
NATO-Manöver unter Beteiligung der Ukraine in 21/22:
Ende Februar/ Anfang März Manöver “Poseidon 2021”: „With three Allied nations, Bulgaria, Romania and Turkey, and two regional partners, Ukraine and Georgia bordering the Black Sea, Standing Naval Group presence in the region is a regular occurrence. While in the Black Sea, the group will also conduct maritime security patrols in international waters to enhance NATO maritime situational awareness between Allies and regional partners.“ (https://mc.nato.int/media-centre/news/2021/snmcmg2-participates-in-exercise-poseidon-in-the-black-sea)
Mai 2021 Manöver “Ramstein Ambition 2021” (Heise schreibt, dass dazu die Ukraine eingeladen war; https://www.heise.de/tp/features/Hoher-Kreml-Beamter-sieht-Anfang-vom-Ende-der-Ukraine-6009538.html?seite=all): “Over 600 personnel from 24 allied nations and partner nations such as Finland and Sweden have successfully completed another iteration of Ramstein Ambition.” (https://ac.nato.int/archive/2021/ramstein-ambition-2021-concludes-after-successful-execution)
Ende Mai 2021 Manöver „Defender-Europe 21“: „Dazu gehören europäische Alliierte und Kanada, alle Länder des westlichen Balkans- außer Serbien - sowie die Partnerländer Ukraine, Georgien und Moldau. "Defender-Europe 21" findet in 16 Ländern statt, aber nicht in der Ukraine und auch nicht in Georgien. Hauptsächlich konzentriert sich "Defender-Europe 21" auf den Balkan und die Schwarzmeerregion. Ziel der Übung ist es, die Kompatibilität zwischen den Truppen der USA und anderer NATO-Länder sowie ihren Partnern aufrechtzuerhalten und zu verbessern.“ (https://www.dw.com/de/die-nato-%C3%BCbt-die-verteidigung-europas/a-57498082)
Juni 2021: „An der Militärübung "Sea Breeze" (Meeresbrise), die von den USA und der Ukraine geführt wird, werden sich Tausende Soldaten sowie Dutzende Schiffe und Flugzeuge aus insgesamt 32 Ländern beteiligen. Das Manöver solle etwa zwei Wochen dauern, teilte das US-Militär mit.“ (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/seabreeze-militaeruebung-usa-russland-100.html)
Oktober 2021 Manöver „Rapid Trident“: „An den alljährlich stattfindenden Rapid-Trident-Militärübungen nehmen dieses Mal rund 6.000 Soldaten aus 15 Ländern teil, wie das ukrainische Verteidigungsministerium mitteilte. Das in der Westukraine stattfindende Manöver läuft bis zum 1. Oktober.“ (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ukraine-nato-militaermanoever-100.html; https://www.spiegel.de/ausland/ukraine-startet-militaermanoever-mit-nato-staaten-a-54ec8b8f-b22b-4c46-a3c6-34e15c771d79)
März 2022 Manöver „Saber Strike“ an der ukrainischen Grenze: „Die USA entsenden derzeit Truppen zur ukrainischen Grenze. Am Dienstag und Mittwoch sind erste US-Soldaten in der Slowakei angekommen - der Weg dorthin führte auch durch Bayern. Geplant ist ein Nato-Großmanöver im März.“ (https://www.merkur.de/politik/saber-strike-ukraine-krise-truppen-nato-manoever-russland-slowakei-usa-bayern-91354747.html)
Fußnote 4:
Im Wortlaut Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und Präsident Putin zum Besuch des Bundeskanzlers in der Russischen Föderation am 15. Februar 2022 in Moskau (Quelle: https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/pressekonferenz-von-bundeskanzler-scholz-und-praesident-putin-zum-besuch-des-bundeskanzlers-in-der-russischen-foederation-am-15-februar-2022-2005530)
Presse: Und eine Frage zum Nato-Beitritt der Ukraine: Bundeskanzler Scholz und auch andere Staats- und Regierungschefs der Nato sind ja nicht bereit, eine Garantie dafür abzugeben, dass die Ukraine nicht in die Nato aufgenommen wird. Können Sie sich vielleicht ein Moratorium vorstellen? Denn es wird ja jetzt von Nato-Seite gesagt, dass ein solcher Beitritt in den nächsten Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten, unrealistisch ist.
BK Scholz: Wir haben viele Themen angesprochen. Ich habe über einige berichtet.
(…)
P Putin: Stichwort Nato-Ausdehnung. Sie haben einen wunderbaren Satz gesagt: Die Ukraine soll in den nächsten Jahren nicht in die Nato aufgenommen werden. Was heißt denn, die Ukraine soll nicht aufgenommen werden? Wir müssen ja verstehen, was es heißt, wenn man etwas in den zwischenstaatlichen Beziehungen sagt. Schon seit 30 Jahren heißt es, die Nato würde sich um keinen Inch weiter gegen russische Grenzen erweitern. Momentan erleben wir die Nato-Infrastruktur direkt an unserer Haustür. Mehr noch: Es wird darüber diskutiert, dass die Ukraine der Nato beitreten soll. Es soll nicht morgen kommen, wie Sie gesagt haben. Wann soll das dann kommen? Übermorgen? Was würde das für uns - historisch gesehen - ändern? Das ändert nichts für uns.
Wir bekommen zu hören, dass die Ukraine nicht reif für eine Nato-Mitgliedschaft sei. Wir kennen diese These. Gleich heißt es, dass die Ukraine morgen nicht aufgenommen werde. Wann wird sie denn aufgenommen? Es heißt, wenn sie darauf vorbereitet ist, und dann kann es schon zu spät für uns sein. Deshalb wollen wir diese Frage jetzt lösen, direkt in der nächsten Zeit im Rahmen eines Gesprächsprozesses, in dem friedliche Mittel verwendet werden. Davon wollen wir ausgehen. Wir hoffen sehr, dass unsere Sorgen von unseren Partnern gehört und ernst genommen werden.
(…)
BK Scholz: Das gilt auch für die unterschiedlichen Positionen zur Frage der Nato-Osterweiterung. Da ist ja die etwas eigenwillige Situation, dass sie gar nicht ansteht. Sie steht nicht auf der Tagesordnung. Jeder weiß es ganz genau. Das ist kein Thema, das uns wahrscheinlich wieder in unseren Ämtern begegnen wird, solange wir sie ausüben. Ich weiß jetzt nicht, wie lange der Präsident vorhat, im Amt zu sein. Ich habe jedenfalls das Gefühl, das könnte länger dauern, aber nicht ewig. Insofern werden wir deshalb jetzt doch die Aufgabe haben, aus diesem Punkt etwas zu machen. Es geht darum, dass man miteinander zu einer politischen Verständigung kommen kann, ohne dass irgendjemand dabei seine Grundsätze und Prinzipien aufgeben muss. Das ist politische Führung, und das ist Verantwortung, die wir gegenüber unseren Ländern, die wir regieren, und dem internationalen Frieden und der Zusammenarbeit in Europa haben.