Carnivalesque2Karneval im Spätkapitalismus

Im Video-Interview haben wir hier eine vierköpfige Band, die sich in der Arcanoa-Bar in Berlin bei den montäglichen Open-Mike-Sessions kennenlernte. Auf die Frage von Janne, ob sie eine politische Band sind, antwortet der Gitarrist mit „Sicher!“ und schmunzelt. Es gibt keine gute Politik, außer man tut sie. Aber wenn die anarchistische Revolution im Spätkapitalismus noch nicht greifbar ist, kann die Befreiung des Menschen im Karneval, beziehungsweise im Rausch einer Party oder eines Konzerts, trotzdem erlebt werden. Bereits im Mittelalter war in der Zeit des Karnevals alles erlaubt (Essen, Trinken, Sex usw.) und wurden gleichzeitig existentielle Themen wie das Leben nach dem Tod oder Brüderlichkeit sinnlich thematisiert. Der Russe Michail Bacht (1895-1975) schuf mit Carnivaleque eine eigene Theorie bzw. literarisches Genre, auf den die Band in ihren Namen zurückgreift. Nach Bachtin ist die Karnevalszeit ein kleiner Sieg über das offizielle Leben und schließt im „(…) festtäglichen Lachen des Volkes nicht nur das Moment des Sieges über die Furcht vor den Schrecken des Jenseits, vor dem Geheiligten, vor dem Tod in sich ein, sondern auch das Moment des Sieges über jede Gewalt, über die irdischen Herrscher, über die Mächtigen der Erde, über alles was knechtet und begrenzt“. In der Ekstase, in der die Grenzen fallen, wenn die Emotion in einer Eruption an die Decke schießt wurde den Menschen bewusst und sie begriffen, „dass das Lachen keine Scheiterhaufen aufrichtet, dass Heuchelei und Betrug niemals lachen, sondern eine ernsthafte Maske anlegen, dass das Lachen keine Dogmen erzeugt und keine Autorität aufrichtet, dass das Lachen nicht von Furcht, sondern vom Bewusstsein der Kraft zeugt, dass das Lachen mit Zeugungsakt, Geburt, Erneuerung, Fruchtbarkeit, Überfluss, Essen und Trinken, mit der irdischen Unsterblichkeit des Volkes, endlich mit der Zukunft und dem Neuen zusammenhängt, dass es ihnen den Weg bahnt“ (Bachtin 1990, https://www.grin.com/document/288505)

Der Name der Band scheint also gut gewählt, denn er passt zur wilden und experimentellen musikalischen Mischung, die neben Alternative-Rock auch Punk, Metal, Folk, Funk, Drum’n’Bass oder Jazz enthält. Mehr dazu im Interview:



Song "Silence at High Volume":