Es ist inzwischen offensichtlich, dass die Menschheit unsere Welt in die Tonne tritt, wenn nicht ein großer Wandel in sämtlichen Lebensbereichen stattfindet.
Auto fahren empfinde ich nach wie vor als die größte Umweltkatastrophe. Hier stosse ich meist auf taube Ohren, da der Mensch zur Bequemlichkeit neigt und den fetten Arsch lieber auf vier Rädern zur Currywurst-Bude kurvt anstatt zum Veggie-Burger zu joggen.
Doch halt! Deutlich spürbar hat in den letzten Jahren ein Menschenschlag
zugenommen, welcher nicht mehr "alles" mitmacht und zumindest für den persönlichen Gebrauch Änderungen vorgenommen hat. Es gibt Car-Sharing, Bio-Läden sprießen (insbesondere in Ballungsgebieten) wie Pilze aus dem Boden, die Leute kaufen nicht unbedingt Äpfel aus Neuseeland oder Wein aus Südafrika, sondern besuchen Regional-Wochenmärkte. Radfahren wird immer populärer, Vegetarismus ebenfalls, und Veganer sind keine schrillen Outcasts mehr, sondern eine große gesellschaftliche Gruppe. In United Kingdom gibt es in Supermärkten inzwischen Kennzeichnungen auf veganen Lebensmitteln.
Da auch ich seit einiger Zeit nicht mehr willens bin, totgequältes Aas in meinen Körper zu stopfen, um dabei die Umwelt zu ruinieren, kaufte ich Anfang des Jahres nach dem Lesen eines lustigen und spannenden Karen-Duve-Interviews in einer Berliner Stadtzeitschrift das Buch "Anständig essen". Nach drei Tagen "hatte ich fertig" und gab das Werk weiter an Freunde, von denen inzwischen ein Junge Vegetarier und zwei Mädchen Veganerinnen geworden sind.
Karen Duve beschreibt einen einjährigen Selbstversuch, bei dem sie sich jeweils mehrere Monate erst organisch-biologisch, dann vegetarisch, dann vegan und dann frutarisch ernährt. Sie nimmt Leserin und Leser mit auf diese Reise, welche gewürzt wird durch Anekdoten aus Karen Duves Zusammenleben mit Jimini Grille, dem personifizierten Gewissen (eine Freundin, die Veganerin ist und von Karen Duve in puncto "anständig Essen" im Laufe des Buches "überholt" wird).
Es handelt von den Tieren, die mit den beiden auf dem Land wohnen, wie Hühner, ein Hund, ein Maultier (störrisch! Au weia!) und Katzen, die veganes Futter probieren sollen. Es gibt Informationen zur Massentierhaltung und warum Milchprodukte auch nicht so "das Gelbe vom Ei" sind. Ach ja, um Eier und Hühner dreht sich das Buch auch.
Karen Duve trifft sich mit Veganern, tauscht sich mit Frutariern aus und erkundet reguläre Geschäfte wie auch Bioläden und Geschäfte für Veganer. Sie beschreibt, was es dort alles gibt und wie die Sachen schmecken, die sie kauft. Und wie sich sich dabei fühlt.
Spannend ist der Bericht einer Befreiungsaktion von Hühnern aus einer Massentierhaltung.
Das Buch ist stellenweise SEHR lustig. Manchmal konnte ich vor Lachen nicht mehr auf dem Stuhl sitzen bleiben. Andere Stellen sind so schockierend, dass sie einem das Wasser in die Augen treiben. Karen Duve beschreibt auch Naturkatastrophen, welche in ihrem Experimentier-Jahr (2010) auftraten und durch die Medien gegangen sind. Und setzt sie in Zusammenhang mit dem ökologischen Raubbau auf der Erde, der fast immer etwas mit der Gewinnung von Nahrung zu tun hat.
"Anständig essen" ist kurzweilig geschrieben, anekdotenreich, voll mit Wissen, welches mal düster und mal lustig daherkommt und auf jeden Fall unterhaltsam präsentiert wird. Ein ganz dicker Pluspunkt ist das Fehlen eines moralischen Zeigefingers und des versuchten Missionierens. Karen Duve nimmt die Leute an die Hand, aber klammert sich nicht daran und sie zerrt einen nicht in ihre Meinungsvielfalt, sondern stellt diese so dar, dass sich jede/r ein eigenes Bild machen kann - gleichzeitig konfrontiert sie die geneigte Leserin und den geneigten Leser mit sich selbst und trifft den Nerv der Zeit. Ein guter Weg, um Menschen zum Nachdenken zu bringen.
Und ich? Meine Entscheidungen die schon nach dem Lesen des ersten Buch-Drittels gefaßt wurden sind denen von Karen Duve zufällig sehr ähnlich. Welche das sind verrate ich aber nicht, da ich möchte, dass ganz viele WahrschauerInnen dieses Werk lesen :o)
(Galiani Verlag, Berlin / ISBN: 978-3-86971-028-0)