Von der Schwester kommt kein Bürgersöhnchen-Hiphop
Die CD landete im Büro. Mir sagte der Name nichts. Das Cover-Artwork war eher düster und passte zum Albumtitel. „Blei“ ist schwer. Das Leben kann es auch sein. Willkommen in der Welt von LENA STOEFAKTOR und ihrem Rap aus Berlin. Und es ist kein Bürgersöhnchen-Hiphop von Möchtegern-Gangstern aus dem Villenkeller der Eltern am Stadtrand. LENA scheint keine Distanz zu den dunklen Ecken der kalten Hauptstadt zu haben: „Menschen schreien einfach auf der Straße, tragen vom Leben ihren Schaden, will selber manchmal schreien, weil ich die Scheiße nicht ertrage. (..) Fühl mich allein in dieser
Stadt, die fast 4 Millionen Menschen hat, jeder läuft vorbei und jeder scheißt drauf, was der andere aus seinem Leben macht.“ Die Beats dazu sind mal düster, mal treibend. Die Punchlines sitzen. Ich sauge den Flow von Anfang an gebannt ein. Kann mich nicht abwenden, weil mich in den Reimen zu viel Wahrhaftig- und Ehrlichkeit trifft. LENA STOERFAKTOR sind „Helden der Wahrheit“: „Mit 17 machte ich dann ein soziales Jahr, n bisschen Berufsalltag zum Reinschnuppern stand in dem Vertrag. 40 Stunden. 150 Euro monatlich in der Pflege. Kaum Pause. Überstunden. Schichtarbeit plus schweres Heben. Offiziell auf dem Papier war ich nebenbei, nur zusätzlich, doch in Wahrheit ersetzen sie feste Kollegen durch mich.“
Der Name ist auch sonst Programm. LENA liegt als STOERFAKTOR quer zur Szene. Sie hat zu viel Gehirn und pisst als Frau in unterschiedlichem Style die Szene an. Mal mit einem Augenzwinkern: „Rapper denken sie sind groß, dabei heulten sie alle schon bei Mami auf dem Schoß, mich interessiert nicht wer von euch hier dicke Bälle hat, denn wenn ich will, sitzt ihr bis Ladenschluss im Bällchenbad. Rapper saßen zu lange vor der Glotze, mit der Nase voller Rotze, aufgrund deiner Skillz solltest du mich lieber Mami nennen.“ Mal direkt in die Fresse: „Ich mach brotlose Kunst, du machst trostlose Kunst und das is auch der Grund, warum ich genau null Respekt vor Deutschrap hab und Deutschrap hass, weil Deutschrap keine Haltung hat. Hab nich mal Wut auf diese Szene, ihr habt genau Scheiße geredet und ich hör‘ nur es is toll, dass Deutschrap jetzt soviel Facetten hat, man, nein man, es wird Zeit, dass jemand Deutschrap in die Fresse kackt.“
Und ich mag die Selbstreflexion und Verletzlichkeit, die in anderen Texten zum Ausdruck kommt, wie in „Nicht gelernt zu leben“: „Kein Plan wolang es geht und wie das Leben funktioniert, find es raus, immer noch am Ausprobier’n, seh das Leben vorbeizieh’n. (...) Ich hab es langsam aufgegeben, hab noch nicht gelernt zu leben. Was ich jetzt noch lernen muss, is mir selber zu vergeben.“
Es ist klar. LENA ist der Kampf gegen Diskriminierung wichtig. Das zeigt u.a. ihr gemeinsames Stück „Frag mich nicht“ mit FaulenzA, wozu es auch ein wunderbares Video gibt. Und das ist gut so.
Aber im Unterschied zu vielen anderen Linken scheint sie zu wissen, dass das nicht reicht. Jedenfalls habe ich eine Antwort von ihr in einem aktuellen Interview so interpretiert. Einem Webmagazin antwortet sie, als sie mit anderen „linken“ Rappern verglichen wird: „Ich finde es halt voll wichtig, die kapitalistischen Strukturen zu kritisieren. Bei denen habe ich das Gefühl, dass es nur um Diversity geht. Hauptsache Inklusion in die Gesellschaft, ins System (..).“ Großartig auf den Punkt, das trifft es genau! Das ist die Punchline mitten in die Fresse. Amen.
VÖ: Mai 2018 / Rauhfaser Records