Scatterbrains_-_The_new_Kids_webFolk Punk From The Golden Town oder: Die Provinz tobt!

Tatort: Pforzheim am Nordrande des Schwarzwalds, weltbekannt für seinen Schmuck und seine Uhren, Beiname „Goldstadt". Weniger bekannt ist, dass es hier in den 90ern eine rege Folk-Punk-Szene gab, zu der auch die 1999

gegründeten SCATTERBRAINS gehören - eigentlich weniger eine Band als vielmehr ein Kollektiv von wechselnden Musikern mit einer gemeinsamen Idee.

Mehr als ein Jahrzehnt und viele umjubelte Konzerte später sind THE SCATTERBRAINS aktiv wie eh und je und befinden sich – nachdem vor kurzem mit dem Sänger Andie das letzte verbliebene Gründungsmitglied ausgestiegen ist – seit Anfang des Jahres in einer Phase der Neuorientierung.
Eines schönen Abends war ich mit Dennis & Dennis alias Danny Idle und Seamus McAwesome, dem Sänger und dem Bassisten in Karlsruhe verabredet. Der ursprünglich ausgewählte Irish Pub als Interviewort erwies sich als geschlossen und so endeten wir weit weniger stilgerecht in der Dorfschänke mit Fußball im Fernsehen als Hintergrundkulisse.

Der Wunsch, Plattenmillionär zu werden, ist es nicht, was die Band antreibt, soviel steht fest. Denn bis heute gibt es immer noch keine CD, mit der sie die Media Charts stürmen könnte. „Von uns gibt es derzeit, abgesehen von Bootlegs auf Auxiro.de nichts", lacht Dany Idle, „tatsächlich gibt es trotz nun 11-jähriger Bandgeschichte und knapp 100 Liveshows keine ernstzunehmenden Studioaufnahmen." Aber das soll sich jetzt ändern, wenn auch nicht aus finanziellen Gründen. „Das momentan in Arbeit befindliche Demo wird komplett in Eigenregie aufgenommen", fährt Danny fort, „und gerade habe ich die Vorproduktion für die anstehenden Aufnahmesessions fertig bekommen. Die Aufnahmen stehen dann kostenlos auf unserer Homepage und Myspace & Co zur Verfügung." Der DIY-Gedanke steht dabei im Vordergrund: „Ich halte nichts davon, wie ich es bei vielen Bands in letzter Zeit sehe, Labels Geld dafür zu bezahlen, dass sie die Aufnahmen vertreiben und sich die Band dann mit dem Namen eines Labels schmücken kann. Eine ähnliche Seuche wie das ‚Pay To Play' Prinzip vieler Veranstalter. Für Vertrieb von CDs und Merchandise auf Konzerten, per Mailorder-Katalog oder im Internet braucht man ohnehin kein Label."

 

Mit ihren tanzbaren Songs vom Saufen, der Liebe und der Revolution und ihrem eigenwilligen Sound, der nicht nur die üblichen Verdächtigen à la POGUES und DROPKICK MURPHYS als Inspirationsquelle vermuten lässt, haben sie auch ohne Unterstützung durch ein Label viele Fans gewonnen. „Die Leute sind immer interessiert an etwas ‚exotischeren' Crossover-Bands", meldet sich Seamus McAwesome zu Wort, „und allein die Tatsache, dass wir nicht gerade klassischen Punk spielen oder eben nur auf der Celtic-Punk-Schiene fahren, sondern auch Elemente aus Ska, Balkan- und Gypsy- Musik, aber auch Heavy Metal und Hardcore bedienen, spricht die verschiedensten Personengruppen an. Auf unseren Konzerten sind sowohl Punker und Skinheads als auch Hippies und Normalos vertreten. Nicht selten haben wir das Publikum in einen schwitzenden, tanzenden Haufen verwandelt. Wir sind eine Liveband, die Spaß an jedem noch so kleinen Konzert hat, auch in der hinterletzten Ecke des Schwarzwalds oder der Schwäbischen Alb."

 

Highlights der Bandgeschichte waren sicher die Auftritte mit DIE KASSIERER und CHEFDENKER. „Es war eine Ehre, im Vorprogramm der KASSIERER in der Katakombe in Karlsruhe zu spielen", erzählt Danny Idle begeistert und fügt hinzu: „Zum Glück im Vorprogramm. Nach dieser Band zu spielen stelle ich mir sehr gefährlich vor. Es besteht akute Gefahr, auf diversen Körperausscheidungen auszurutschen und sich den Hals zu brechen. Als wir mit CHEFDENKER im Art Canrobert in Rastatt spielten, konnte das Publikum sogar weniger lange seine Kleidung am Leibe behalten als bei den KASSIERERN. Ach ja, und wer eine philosophische Unterhaltung mit dem CHEFDENKER Klaus führen will, sollte sich in die Werke von Roland Barthes einlesen."

 

Jedes Jahr am 23. Februar, dem Jahrestag der Bombardierung Pforzheims, findet auf dem Pforzheimer Wartberg ein Fackelzug und eine Mahnwache der Rechtsextremen vom „Freundeskreis – ein Herz für Deutschland" statt, was natürlich eine lokale Punkband nicht kalt lassen kann. „Da die meisten von uns in Pforzheim groß geworden sind, laufen wir auch meist bei der Gegendemonstration zur Fackelmahnwache der Faschisten mit. Nachdem im Jahr 2007 eine kleine Bühne angedacht war, dies aber wohl nicht mit der Stadtverwaltung vereinbar war, haben wir 2008 einfach mit unseren Instrumenten die Demonstranten bespaßt. Viele Passanten sind stehengeblieben und haben sich die Musik angehört und somit die Zufahrt für die Polizei blockiert. Es war sehr schön mit anzusehen, wie die Herren in Grün in ihren Wagen geflucht haben, als Rentner und Kinder sich nicht zur Seite bewegten." Wie stark ist die rechte Szene in der Umgebung überhaupt, frage ich Danny Idle. „In Studentenstädten wie Karlsruhe, Freiburg oder Heidelberg sind die Aktivitäten der Rechten, zumindest gefühlt, sehr gering. Anders sieht das in Pforzheim und Umgebung aus. Immer wieder gibt es gewaltsame Übergriffe gegen Ausländer, gegen Leute, die in deren Feindbild passen und auch auf Konzert- und Theaterbesucher mit vermeintlich linkem Hintergrund. Mindestens ebenso schlimm ist", fährt er nach einem Schluck Bier fort, „dass sich unsere schwarzbuckligen Regierenden in solch einem Kontext nie lumpen ließen, stets auch auf die Gefahr von Links hinzuweisen. Subtiler Hass gegen alles, was den eigenen Horizont überschreitet, wird im Ländle vielen Menschen schon früh von den Alten eingeimpft. Ich wundere mich immer wieder darüber, warum ich mir gerade in den Käffern, in denen es kaum Menschen mit Migrationshintergrund gibt, die meisten dummen rechtsradikalen Sprüche anhören muss. Muss wohl an der Inzucht liegen."

Es gibt in diesem Zusammenhang aber auch durchaus witzige Geschichten zu erzählen. „Wir hatten einen Reisebus organisiert", erzählt Danny und lacht, „um ein wenig Publikum in das tief im Schwarzwald liegende Kaff Simmersfeld zu transportieren. Als wir nach einer lustigen und feuchtfröhlichen Fahrt dann aus dem Bus stürzten, kam einer der Eingeborenen mit zwei kleinen Burschen auf seinem Traktor vorbeigefahren und schrie ‚Scheiß Punker, Scheiß Punker, Sieg Heil!' und die Burschen hinten auf dem Traktor drohten mit der Faust. Zuerst standen wir alle mit ziemlich verdutzten Gesichtern da, bis sich einige Punker wieder gefangen hatten und den Bauern auf seinem Traktor durch das ganze Dorf gejagt haben. Der Bauer hat alles aus seinem Gefährt rausgeholt und konnte entkommen. Wir haben uns gekugelt vor Lachen, weil die Situation so grotesk war. Der Ausruf des Bauern ist bis heute noch ein Running Gag unter unseren Freunden."

 

Auf die Zukunftspläne der SCATTERBRAINS angesprochen, antwortet Danny voller Tatendrang: „Neue Songs schreiben, viele Konzerte spielen, Weltherrschaft! Wie das eine das andere bedingt, gilt es noch herauszufinden." Abschließend lassen Danny Idle und Seamus McAwesome verlauten: „Bunt ist das Dasein und granatenstark, volle Kanne, Hoschi!" und mit diesem Kommentar in den Ohren mache ich mich auf den Weg in die kalte Karlsruher Nacht. Wir sehen uns beim nächsten Konzert!

Foto + Interview: Noraneko