Keine Einschnitte an den Unis um den Haushalt zu konsolidieren!
Berlin / 11.8.2010: Die schwarz-gelbe Regierung in Schleswig-Holstein muss sparen. Nachdem man die offensichtlich
vollkommen marode und mit der Art der von ihr getätigten Geschäfte scheinbar auch überforderte HSH Nordbank mit Steuergeldern aus Hamburg und Schleswig-Holstein retten musste, geht dem Land das Geld aus. Die Bankenkrise ist sicherlich nicht der einzige Grund für die schlechte Haushaltslage in Schleswig-Holstein. Vorher sind die Steuereinnahmen der Länder schon jahrelang, z.B. durch die Senkung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommenssteuer und durch die Abschaffung der Vermögenssteuer, künstlich reduziert worden. Wen wundert es da noch, dass die Polarisierung bei Einkommen und Vermögen zugenommen hat.
Und jetzt…
... soll deswegen durch die Privatisierung der Uni-Klinik in Lübeck (als UKSH mit Standorten in Kiel und Lübeck Eigentum des Landes) sowie durch die Einstellung des Studiengangs Humanmedizin an der Universität Lübeck Geld eingespart werden. Die Uni Lübeck - eher eine der kleineren Universitäten in Deutschland - ist in der Medizinerausbildung seit Jahren in Rankings immer auf den vorderen Rängen zu finden gewesen. Die Studenten der Humanmedizin stellen einen Großteil der Studenten, andere Studiengänge stehen in engem Kontakt und in Kooperationen mit der medizinischen Fakultät. Gleichzeitig haben sich in Lübeck viele Firmen niedergelassen, die, oft als mittelständische Unternehmen, in der Pharma- und Medizin(technik)branche arbeiten und damit Arbeitsplätze sichern.
Weil das Studium der Humanmedizin pro Student Kosten in Höhe von ungefähr 200.000€ verursacht (die Zahlen diesbezüglich variieren, ich habe in diesem Fall die Summe verwendet, die in der aktuellen Diskussion um die Uni Lübeck benutzt wird; bexx) und man den im Vergleich neueren Campus in Lübeck vermeintlich besser verkaufen kann, hat die Sparkommission der Landesregierung hier die Möglichkeit erkannt, Einsparungen vorzunehmen. Man streicht zum Wintersemester 2011-2012 die Plätze in der Humanmedizin, alle Studenten, die ihr Studium schon begonnen haben, dürfen bis zum Ende in Lübeck bleiben (auch dieser Fakt stand zwischenzeitlich offensichtlich zur Disposition), danach ist das Thema durch.
Womit offensichtlich niemand gerechnet hat: Die Uni Lübeck wehrt sich. Zusammen mit der Stadt Lübeck, den Beschäftigten am UKSH, Standort Lübeck und den Studentinnen und Studenten der Universität bricht ein Proteststurm los, der zum einen an Kreativität kaum zu überbieten gewesen sein dürfte, zum anderen die größte Demonstration in der Geschichte Schleswig-Holsteins nach sich zog und zu guter Letzt dazu geführt hat, dass der Staat über eine etwas fragwürdige Umwidmung von Instituten dem Land unter die Arme greift, damit es die Medizin an der Uni Lübeck erhält.
Es ist erschreckend, feststellen zu müssen, dass es mittlerweile nicht mehr auf Gestaltung oder Inhalte ankommt. Wenn es aktuell brennt, werden von den Politikern Beschlüsse gefasst, deren Langzeitwirkung im günstigsten Fall nur schwer zu berechnen sein dürfte. Ich kann verstehen, dass viele sich desillusioniert abwenden und nicht mehr Wählen gehen, halte diese Entwicklung aber für falsch und gefährlich, da sie meiner Meinung nach immer den falschen Leuten in die Hände spielt.
Umso beeindruckender finde ich die Art des Protests in Lübeck: Es zeigt, dass es nach wie vor intelligenten Widerstand gibt, dass man nichts anzünden oder umwerfen muss, um auf sich aufmerksam zu machen (was einem gleichzeitig die großflächigen Sympathien der ‚normalen‘ Bevölkerung sichert). Dass die Studenten bei ihren Protesten immer wieder die Gelegenheit hatten, die Politiker in Fragerunden zu entlarven, weil sie besser vorbereitet waren, Informationen eingeholt hatten und sich mit Aussagen der Herren de Jager (Wirtschafts- und Wissenschaftsminister in Schleswig-Holstein), Kubicki (FDP-Fraktionsvorsitzender in S-H) und Carstensen (Ministerpräsident von Schleswig-Holstein) auseinandergesetzt hatten, zeigt, dass es nach wie vor ein Interesse an Politik gibt. Und dass die Politiker sich endlich wieder gefallen lassen müssen, dass man ihnen unangenehme Fragen stellt. Es geht nicht an, dass sie ihre eigenen Aussagen immer wieder revidieren wollen, behaupten, etwas nicht gesagt oder es anders gemeint zu haben oder sich die Blöße geben, Zahlen, die sie selber veröffentlicht haben, nicht geprüft zu haben oder sie nicht erklären zu können.
Diese ganze Geschichte zeigt, wie sehr Politiker in Bund und Land miteinander verbandelt sind, auch wenn es für manche der Verdachtsmomente (Beispiel: Revanche für die Unterstützung zum Sparpaket im Bundesrat) vermutlich kaum Beweise geben dürfte. Die ganze Sache hat einen faden Beigeschmack. Dass sich nach der vermeintlichen Rettung der Uni die Politiker, die kurz vorher noch die Schließung des Studiengangs Humanmedizin als unumgänglich bezeichnet hatten, als Retter feiern lassen, macht die Sache dann komplett unerträglich.
Gut aufgearbeitete Informationen, vor allem auch Hintergrundinformationen, Quellen und Eindrücke von den Protestaktionen finden sich unter www.luebeck-kaempft.de, der besseren Lesbarkeit wegen habe ich bei diesem Artikel auf das Einfügen von Quellen verzichtet, diese sind aber ohne Probleme auf der oben genannten Seite zu finden.
Lübeck ist überall!