burgherzbergVibrationen unter den Jesuslatschen!

 

Alsfeld / 14.7.-17.7.2011: Und schon ist das Herzberg-Festival wieder vorbei. Vier Tage lang durften sich Kinder, Hunde, Normalos, Althippies, Weltverbesserer und Revolutionäre am Fuße der Burg Herzberg niederlassen und sich ganz ohne Zwänge, gekleidet in verrückten Klamotten,

bewegen. „Nett" eingerahmt von zwei Regentagen entwickelte sich das Thema „Revolution" zur wirklichen Revolution, nichts Besseres hatte der Schreiberling dieser Zeilen bisher im hessischen Land erlebt. Trotz der, durch schwere Krankheiten bedingter, Ausfälle von Gregg Allmann und Eddie Hardin ging alles gut aus.


Gleich am Donnerstag hatten zwei verdammt unterschiedliche musikalische Beiträge (und nur diese und keine dafür vorgesehenen Substanzen) Schuld an glücklichen Gesichtern und gut gelaunten Menschen. Deutschlands intelligentester Musiker Stoppok, der bereits in den Jahren zuvor die Herzberg-Bluesband unterstützte, kam mit Band und erzählte Kurzgeschichten aus dem wirklichen Leben, alles war irgendwie „A'schklar". Etwas Blues schwang mit, viel Gitarrengeschrammel ließ die Zuschauer zum Luftgerät greifen und sogar Liebeslieder machten nicht halt vor der tanzenden Meute. Hier ereilte Bernd Witthüser die Idee, es jetzt im hohen Alter mit einer Rockband zu versuchen und die alten, angesäuerten Songs von Mottenräten, Bauern und Jesuspilzen nur noch einmal, nämlich am Sonntag, aufzuführen.


Nach Stoppok stampften die Norweger MOTORPSYCHO mit basslastigem Geholze, schwerem Gitarrensound und dem geknüppelten Schlagzeugläufen von Neuzugang Kenneth Kapstad den weich gewordenen Untergrund wieder fest. Es vibrierte unter den Bastschuhen und Jesuslatschen, die breite Mischung aus hartem Rock, Prog und irgendwie auch Jazz ging vom Gehirn gleich in die dreckigen Füße. An der Bühne wurde sich schwer bewegt, geraucht und etwas linkisch der Kopf nach Headbanger-Art gegen luftige Hindernisse geschlagen. Besondere Freude kam bei den mit Höchstleistungen gespielten Songs aus dem 2010er Album „Heavy Metal Fruit" auf.


Die nächsten drei Tage waren reich bestückt, mit künstlerischen Hochgenüssen. Wo ein Platz frei war, packten in Hippie-Tüll gehüllte Menschen ihre Instrumente aus und klimperten die verdammt alten Lieder, warfen brennende Fackeln in den klaren Himmel und manch schwarzes Zeug in den Mund. Auf der großen Bühne spielte die aus Behinderten und Nichtbehinderten bestehende Hamburger Band STATION 17 eine Mischung aus Elektronik und Hip Hop, die folgenden GRAVEYARD erinnernden an die Zeit, als der Hard Rock noch lebte und LED ZEPPELIN gigantische Erfolge feierten. Es war alles 1970er und sehr psychedelisch und verdammt gut. Klassik und Free-Jazz, nebst rockigen Grundlinien, wie von den Franzosen MAGMA präsentiert, wurde in den späten Abendstunden gut verdaut und zum ‚irgendwie mit den Gliedern zucken' missbraucht.

Manchmal wusste der Zuschauer gar nicht, was einem auf der kleineren „Freakstage-Bühne" so erwartete, denn das Programmheft konnte so herrlich verschleiern: CHUPASTYLEE ist die logische Konsequenz des globalisierten Stilpluralismus, die Apotheose postmodernen Eklektizismus". Puh, dann geht man doch lieber an die Hauptbühne und erlebt eine Überraschung: Pete York, der ohne Partner Hardin anreiste, hatte als „Ersatz" Helge Schneider: Ja, genau DEN Helge, an der Orgel und den alten Woodstock-Teilnehmer Miller-Andersen als Gitarrist und Sänger an seiner Seite. Da keine Vorbereitungszeit blieb, spielte die Band, die es so nie wieder geben wird, alte Kracher („Keep On Running", „House Of The Rising Sun"), die jeder gerne annahm und laut und falsch mitsang.
Ersetzt wurde zur Abendfilmzeit Gregg Allman von Walter Trout, einem Gitarrenmonster mit viel Blues und gut abgehangenem Rock im Gepäck. Tanz Baby, tanz.
Erstmals dabei waren die Progressiv-Rocker MARILLION. Mit Gitarren, Schlagzeug, Tasteninstrumenten und ihrem charismatischen Sänger Steve Hogarth bauten die Briten ein Gebirge von schweren Melodien.
Nur einmal musste man auf der Pferdewiese Angst haben, als am Sonntagabend die angeblich erfolgreichste Prog-Rockcombo ELOY nach gern gesehener Schaffenspause wieder ihren Rucksack öffneten und klarstellten, dass sie nie eine deutsche Antwort auf PINK FLOYD waren, sondern nur ein schlechter Witz.


Insgesamt entwickelten die Veranstalter ein Fest der Liebe und Heiterkeit, das mit einer wilden musikalischen Mischung, Kinderspielplätzen, einfühlsamen Wachpersonal, der neu installierten Lesebühne (hier zum quieken: Frank Schäfer), linken Ideen, weltverbessernden Einrichtungen, ganz ohne Großkapitalisten als Sponsor und trotz unvorhergesehener Baumaßnahmen des Land zur Verfügung stellenden Bauern, alle Giga-Open-Airs des Landes aussticht. Es ist eines der letzten Feste mit großem Herz, intaktem Hirn und außergewöhnlichem Geschmack.