Wer hat den größten Becherturm?  

Berlin Wuhlheide, 01. Juni 2012 Da neben dem WAHRSCHAUER auch einem Hauptgewerbe nachzugehen ist, bin ich etwas spät (aber nicht „zu spät“) unterwegs zur besten Band der Welt. In der S-Bahn startet die Konfrontation mit dem altbekannten Berliner Thema „unangenehme Mitreisende“. Rechts sitzt ein junger Mann, bei dem davon auszugehen ist, dass er aufgrund der politischen Information auf seinem T-Shirts wohl kaum zum DIE ÄRZTE-Konzert unterwegs ist. Ich verkneife mir die scherzhafte Frage, ob seine Springerstiefel sich nach Zärtlichkeit sehnen, denn er ist zu groß und zu breit und der Waggon ist zu leer. Links sitzt eine bunt angezogene Dame, die mehr als deutlich nach Erzeugnissen der Parfüm-Industrie duftet. Auf dem Schoß hat sie einen Hund, wogegen nicht viel einzuwenden ist, allerdings hinterlässt das Tier einen etwas wahnsinnigen Eindruck. Ständig schneidet es Grimassen, ganz ähnlich dem Hund in dem schönen Squarepusher-Video, welches in einer japanischen Nervenheilanstalt spielt. Die Geschichte in dem Kurzfilm endet so, dass dem besten Freund des Menschen das Gehirn eines Pflegers eingesetzt wird, während der Mann mit dem tierischen Hirn im Kopf endet. Hoffentlich passiert mir nicht das Gleiche... wie würde wohl diese Rezension aussehen?

Trotzdem ist gute Laune vorhanden, denn die Sonne zeigt sich freundlich am leicht bewölkten Himmel und wird später durch einen hell leuchtenden Beinahe-Vollmond ersetzt. An den beiden kommenden Gig-Abenden sieht das nicht mehr so gut aus.... Endorphine melden sich, bevor die beste Band der Welt die Bühne betritt, auch weil eine mehrmalige Tonbandansage von Zehn Richtung Null zählt, bevor der Vorhang für die bereits sehr hibbeligen Fans fällt und basisdemokratisch mit den ersten drei Stücken des aktuellen Albums „auch“ begonnen wird. Farin singt „Ist das noch Punkrock“, Bela darf „Bettmagnet“ zum Besten geben und Rod (laut Farin ‚der sechzehnte Beatle‘) glänzt mit „Sohn der Leere“. Anschließend gibt es mit „Hurra“ den ersten älteren Hit. Die Meute tobt. Pogo allerorten. Lustig ist die Ansage, dass Hip Hopper zwar vierzig Mal hintereinander können (woher wissen DIE ÄRZTE das? Haben sie mehr Zeit als unbedingt notwendig mit K. I. Z. verbracht?), aaaaber Punks hätten die größten Genitalien.  Die Sorge ein Menschenhirn mit einem Hunde-Brain zu tauschen, wird ersetzt durch die aufregende Idee einen Punk und einen Hip Hopper zu kreuzen. 

Nach dieser Enthüllung gibt es erst mal ein Danke schön an die Crew, denn DIE ÄRZTE konnten aufgrund der guten Arbeit fünfzehn Minuten früher mit dem Gig anfangen, was natürlich nicht „früher Feierabend“ bedeutet, sondern fünfzehn Minuten mehr Punkrock für Alle! So zum Beispiel mit „Wir kümmern uns um den Rock“ und „Westerland“ als Reggae-Version. Wild gewordene Fans zünden bengalische Feuer. Ups, da kommt die Idee gerade recht, das Sportgericht gleich mal anzurufen!  

Nach gut anderthalb Stunden gehen DIE ÄRZTE von der Bühne. Inzwischen hab ich den dritten schönen Becher mit lecker Bier in der Hand, und zwar über den zwei bereits geleerten Behältern. Auf allen Bechern befindet sich ein unterschiedliches Bild von drei Laternen-Joes aus Berlin. DIE ÄRZTE als Kickerfiguren, das Logo des aktuellen Albums und ein schwarzer Becher mit einem weißen Totenkopf drauf. Ich sehe Leute, die haben nicht nur drei von den Bechern in der Pranke sondern sieben oder zehn.  Auf dem Weg zurück in die Stadt will mir jemand einen der Becher abkaufen. Er ist so aufgeregt, dass er mir beinahe seine Eigentumswohnung in Treptow dafür vermacht. Ich will aber nicht, weil die Bude seiner Erklärung nach nicht am Wasser liegt. Er sagt, für eine Wohnung am Wasser müsste ich aber schon ZWEI DIE ÄRZTE-Becher rausrücken.  Verdammte Gentrifizierung!  

Doch zurück zum Konzert: die drei Superhelden kommen relativ schnell auf die Bühne zurück und spielen „Himmelblau“ (was gut zu dem Tag passt) und „ZeiDverschwÄndung“ sowie eines der besten Stücke vom aktuellen Album: „Captain Metal“. Die Behauptung werfe ich mal in den Raum, da von Freunden und aus Internetforen zu erfahren war, dass dieses Lied besonders gut ankommt. Der Bass im Bauch wummert und fühlt sich so an wie sonst nur im Berghain. Bei „Unrockbar“ singt Farin ‚Wie kannst du bei den Bee Gees ruhig sitzen bleiben?‘? Rest in peace, Robin... ich vermute Farin meint, dass bei den Liedern deiner Band kein DÄ-Fan sitzen bleibt, weil alle die Beine in die Hand nehmen und türmen... Überall sind glückliche Gesichter zu sehen. Die Leute singen und tanzen und ergötzen sich an den grandiosen Darbietungen. Zu erwähnen sind drei überdimensionale.... nein, nicht Meerschweinchen, sondern Würfel, welche über den Köpfen von BFR schweben. Manchmal dienen sie als Bildschirm für spannende Visuals, ab und zu werden sie von außen angestrahlt und sie selbst leuchten auch, was schöne Effekte erzeugt. 

Als Zugabe-Zugaben gibt es „Der Graf“ (wunderschön), „Punk Babies“ (wunderpunk) und „Zu spät“ in einer ganz langen Version. Ein anderer Becher-Punker, dessen BelaFarinRod-Fan-Turm höher ist als meiner und der die Inhalte offensichtlich alle selbst dezimiert hat, fragt als ich am Mobilphone rummache: ‚Was tippsen da?‘,  Antwort: ‚Mein Hirn hat leider keine acht Tetrabite. Morgen früh wird nichts mehr von dem schönen Abend im Kopf sein wenn ich nichts notiere.‘   So schlimm ist das ja nicht, wenn jemand sich mal Notizen macht. Immerhin hab ich ein eigenes Gehirn. Hey Zombies, private Fernseh-Sender, japanische Musikvideo-Horror-Hunde und manipulative Lügen-Politiker: Mein Hirn gehört mir... Ätsch!