adam_green26.jpgDer Narr kann gehen!

Berlin/22.4.08 im Huxley´s Neue Welt: Es hätte ein so schöner Einleitungssatz werden können: Die Rückkehr des New Yorker Anti-Folk-Helden ADAM GREEN im Jahre 5 nach dem großen Hype ließ seine Jünger in Heerscharen in den schönen Berliner Szenekiez Neukölln pilgern, um die erneute Wiedergeburt ihres Idols zu bejubeln. Leider jedoch ist an diesem Satz zu vieles falsch. Richtig daran ist allein, dass ADAM GREEN nach langjähriger Bühnenabstinenz nach Berlin gekommen war, um sein ... 

... neues Album ‚Sixes & Sevens’ live vorzustellen. Die Vorfreude meinerseits hielt sich in gewissen Grenzen: das Album ist zwar vielschichtig und musikalisch ausgereift, im Ganzen jedoch zu zerfasert, um als glaubwürdiger Bote für aufregende Live-Konzerte auftreten zu können
(siehe Rezension).

Ähnlich sahen es anscheinend die übrigen Fans, die sich nicht mehr so zahlreich wie noch vor ein paar Jahren im Huxley´s einfanden. Der Raum war vielleicht zur Hälfte gefüllt und die Stimmung eher freundlich als euphorisch. Daran änderte auch der erste Act des Abends wenig: der Amerikaner CODY TURNER vermochte durch seine Variation des Dagegen-Folks nicht die Massen zu begeistern. Etwas anders sah es bei LAURA MARLING aus, dem eigentliche Höhepunkt des Abends. Die erst 18jährige Britin spielte ein kleines aber feines Folk-Set zu ihrer an DOLORES O´RIORDAN (ohne den CRANBERRIES-Heul-Pathos) gemahnenden Stimme und wurde dazu von ihrem Schlagzeuger Marcus Mumford begleitet. Dieser veranlasste das Publikum, mit seiner schier überbordenden Musikalität zu ersten Begeisterungsbekundungen: während seine Füße auf geheimnisvolle Weise ein irgendwo am vorderen Bühnenrand verstecktes Schlagzeug bedienten, zauberten seine Hände schöne Begleitmelodien auf der ganzen Bandbreite derzeit angesagter Instrumente. Er spielte – zum Teil gleichzeitig – Akkordeon, Ukulele, Mandoline und Glockenspiel und unterstütze seine Bandkollegin obendrein noch durch Gesang, Pfeifen und Klatschen. Beeindruckend, der Mann. Von LAURA MARLING werden wir wohl noch etwas zu hören bekommen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit – in der sich die Reste der vorfreudigen Stimmung gemeinsam mit dem Dunst der Raucherterrasse in den Himmel über Neukölln verflüchtigten – kam dann endlich auch der eigentliche Star des Abends auf die Bühne. ADAM GREEN hatte im WAHRSCHAUER Interview (Printausgabe #56) nicht zu viel versprochen: in seinem Outfit sah er tatsächlich ein bisschen aus wie ein Schmetterling, der gerade dem Raupenstadium entflogen war und nun - scheinbar ganz besoffen von den vielen bunten Lichtern – über die Bühne torkelte. Währenddessen setzte seine distinguiert-green32.jpggelangweilt aussehende Band (inklusive zweier waschechter Soul-Sängerinnen) zu einem Instrumental an, das nahtlos in den „Festival Song“ (vom neuen Album) überging. So überraschend kraftvoll der Sound, so kraftlos der Akt; das Publikum applaudierte denn auch eher höflich. An dieser etwas müden Grundstimmung änderte auch das gejauchzte „We love you!“ einer anscheinend unbeirrbar begeisterten Anhängerin nichts, ebensowenig ADAM GREENs stets von einem glucksenden Kichern unterbrochenen Ansagen: ‚I just found out how to write with a pencil today’. Oh, ADAM, dachte ich noch, doch da ging der Zirkus schon weiter: Er croonte und hampelte in gewohnter Manier durch seine schrägen Songwelten, während seine Kapelle ihm mit unbewegter Miene dabei zusah. „I had a baby for dinner“, ließ der einstige Indie-Held sein Publikum wissen, und man bekam ein wenig das Gefühl, einem großen Trauerspiel beizuwohnen. An den folgenden Tagen sollte die versammelte Musikjournaille denn auch einen Chor der Gerechten anstimmen und mit unverhohlener Schadenfreude den einst so gehätschelten Anti-Helden auseinandernehmen. Langweilig sei er geworden, unansehnlich, prätentiös – eine Hype-Gestalt ohne Hype (also etwas ganz Schlimmes). Die Kritikerzunft würde sehr zufrieden mit sich sein, hatte sie es doch schon immer gewusst: große Klappe, nix dahinter. Suhrkamp-Bändchen – zum Totlachen! Die zurückhaltende Publikumsreaktion an diesem Abend im Huxley´s schien diese Schelte schon vorwegzunehmen. Man hatte ein bisschen das Gefühl, als befände man sich in einem barocken Bankettsaal: hier eine Horde fetter, übersättigter und parfümierter Aristokraten, da der linkische Narr im Schmetterlingskostüm. Doch während jener noch verzweifelt über die Bühne flatterte, winkte das dickbäuchige Publikum nur noch gähnend mit seinen Seidentüchern: der Narr hat seine Schuldigkeit getan, der Narr kann gehen.

Dieser Häme über ADAM GREEN haftet allerdings etwas Verlogenes an: schließlich wird ein Künstler selten aus sich heraus zu seinem eigenen Klischee. Die versammelte Geschmacksmafia aus übersattem Indie-Publikum und gefräßiger Musikpresse übersieht vielmehr, dass sie es war, die aus einem kleinen Anti-Folker mit schrägen Texten den ‚König der Narren’ gemacht hat. Hat sich der Witz dann erschöpft, wird dem Witzbold die Pappkrone wieder abgenommen und der Narr nach Hause geschickt; Pop als Konsumgut. Das Nachsehen in dieser Variante der Geschichte haben allerdings Künstler und Publikum gemeinsam: die Sprengkraft, die in GREENs subversiver Lyrik steckt, verpufft ungenutzt. Dieser Skandal ist indes weder neu noch verblüffend, sondern ist in die kapitalistisch verfasste Populärkultur eingeschrieben – früher hätte man von der ‚Kulturindustrie’ gesprochen. Jede musikalische Neuerung wird darin aufgesogen, abgeschliffen, standardisiert und in kommensurable Häppchen verpackt. Da ist es dann völlig egal, ob jemand über Bäume, Krieg oder – in ADAM GREENs Fall – eben über tropfende Vaginas singt. In dem Moment, wo Derartiges zum Bestand von Shuffle-Playlists und also der Witz zum Loop wird, kann er gar nicht anders, als seine Schärfe einzubüßen. Selbiges gilt für die Live-Konzerte: als ‚Unterhaltungsevent’ sind sie ebenfalls normiert und jeder Spontaneität beraubt. Während also ADAM GREEN über die Bühne hampelt, das Publikum sich langweilt und die Kritiker sich ergötzen, sprechen sie alle zusammen lediglich das Geheimnis der warenförmigen Kulturproduktion aus: Here we are now, entertain us. Dem Narren nun aber hieran die Schuld zu geben, ist unredlich. Er ist lediglich in die Falle getappt, die für ihn aufgestellt war.

Vielleicht ahnte ADAM GREEN das auch ein bisschen, als er sein Set für kurze Zeit unterbrach, um zwei Songs alleine und einen mit seiner Freundin Loribeth Capella zu spielen. In diesem kurzen Moment war GREEN scheinbar ganz bei sich – und das Publikum lauschte andächtig, wie er sein Lied über Hüttensänger und Selbstmord anstimmte („Bluebirds“). Er sang es ganz leise - wie nur zu einer Person - ganz so, wie er es sich vorgenommen hatte (siehe dazu auch WAHRSCHAUER Interview #56). Und da war sie dann wieder, die Magie eines besonderen Moments – ganz flüchtig nur: das Bild eines jungen, klugen und überaus begabten Musikers, allein im Rampenlicht, am Rand der Bühne stehend. Seine Augen streifen eine kurze Sekunde lang den dunklen Abgrund, der sich vor ihm ausbreitet – bereit, ihn zu verschlingen. In diesem Moment wünschte ich mir, er würde seine Narrenkrone abnehmen, über den Abgrund springen und laut ausrufen: Ich lasse mich doch hier nicht zum Narren machen! Be your own fool! Hat der gute BOB DYLAN doch auch geschafft – mit dem die einst ach-so-begeisterte Medienwelt ADAM GREEN einst verglich. Doch da war der Moment auch schon wieder vorbei, und mit dem Einsetzen der Band nahm die Ballade von „Carolina“ wie auch der Rest des Konzerts seinen üblichen Lauf.

Wer aus der Geschichte nicht lernen will, ist gezwungen, sie zu wiederholen. Die Geschichte des Pop hat uns gezeigt: wer nicht über den Abgrund springt, bekommt irgendwann eine Show in Las Vegas und muss alberne Kostüme tragen (siehe ELVIS PRESLEY). Hoffen wir, dass es beim albernen Kostüm bleibt – in unser aller Interesse.

Fotos:
Christoph Voy

TIPP:
Interviewstory im kommenden WAHRSCHAUER Magazin #56 (Sommer 2008).