„Ich beschreibe meine Musik überhaupt nicht“
Stockhausen-Schüler, Rocklegende, Solokünstler Filmkomponist: Im Lauf seiner 50-jährigen Karriere hat Irmin Schmidt, einst Keyboarder bei CAN, schon viel erlebt. Nun erscheint eine Box mit allen Filmmusiken, Solowerken, Opernklängen und unveröffentlichtem Material. Im Interview berichtet Schmidt von der intensiven Zusammenarbeit bei CAN, Tellerwürfen bei Opernaufnahmen und neuen Arbeiten.
Wahrschauer: Sie belegten Kurse bei Stockhausen, Luciano Berio und John Cage. Lassen Sie sich bis heute von deren Ideen und Aussagen beeinflussen? Und darf man Sie in einem Atemzug mit diesen großen Komponisten nennen?
Irmin Schmidt: Ja, der Einfluss ist immer noch da. Mich mit diesen Komponisten auf eine Stufe zu stellen, ist jedem selbst überlassen und eine Geschmacksfrage. Allerdings finde ich es schon etwas vermessen, aber es kann jeder halten wie er will.
W: Als Sie schon ziemlich spät (Sie waren 30 Jahre alt) mit Holger Czukay und Michael Karoli eine Band gründeten, war noch kein musikalischer Weg vorgegeben. Wie waren die ersten Zusammenkünfte und Proben und wie war die Arbeit mit ihrem ersten Sänger Malcolm Monney?
I. Sch.: Hier trafen zwei Musiker aus dem Bereich der Klassik auf den sehr jungen Jazzmusiker Michael Karoli, der von Django Reinhardt, Wes Montgomery aber auch von Jimi Hendrix beeinflusst wurde. Es war dann irgendwie so, dass zusammen kommt, was gar nicht zusammen gehört. Wir wussten selbst nicht, wie sich unsere Musik entwickelt, was aus diesem Bandgefüge wird. Was aus CAN geworden ist, kann als ein ganz natürlicher Prozess bezeichnet werden, bei dem ganz verschiedene musikalische Welten, Spiele und Traditionen aufeinander prallten.
W: Nach wenigen Jahren verließ der Sänger Malcolm Mooney die Band in Richtung USA. Kann man sagen, dass er geflohen ist?
I. Sch.: Nein, er ist nicht geflohen, sein Aufenthalt in Deutschland gestaltete sich sehr kompliziert: Er hatte große Probleme und Angst, dass er nach Vietnam eingezogen wird. Und außerdem ist es für einen Menschen in einem fremden Land auch schwierig, wenn er die Sprache nicht versteht. Da wird man leicht paranoisch, wenn die Leute um einen herum in einer unverständlichen Sprache reden und man nicht mitbekommt, was sie miteinander sprechen oder ob sie gar über einen reden. Malcolm Mooney hielt es dann für notwendig, nach Hause zu fahren. Er musste sich von Deutschland, von dem ganzen Stress, erholen.
W: Nur wenige Zeit später begegneten Sie auf der Straße ihrem neuen Sänger Kenji „Damo“ Suzuki. Wie fanden CAN und Damo zueinander?
I. Sch.: Es war so spontan, wie das erste Zusammentreffen mit Mooney. Damo zog als Straßenmusiker durch die Lande. Wir sprachen ihn an und verabredeten uns gleich für einen Gig, bei dem es zwischen uns sofort funkte. Es lief mit ihm einige Jahre hervorragend, bis er uns dann plötzlich wieder verließ.
W: Als CAN richtig bekannt wurden, musizierten auch all die anderen Bands wie AMON DÜÜL, NEU!, später HARMONIA, POPOL VUH. Es war ein gemeinsames Abwenden von der amerikanischen Musik, hin zu neuen, so noch nie gehörten, Klängen. Konnte CAN mit der Musik der genannten Gruppen etwas anfangen und wie waren die Beziehungen zu diesen Bands?
I. Sch.: Na ja, wir kannten und schätzten uns. Wegen der Filmmusiken, die wir anfangs machten, fuhren wir oft nach München, wo sich auch die anderen Bands aufhielten. So trafen wir uns mit AMON DÜÜL, mit denen wir sogar auf Tournee gingen. KRAFTWERK, die wir ebenfalls kannten, logierten von uns nicht so weit weg. Mit denen spielten wir sogar ein Konzert. Ab und zu hatte ich mit Edgar Froese von TANGERINE DREAM zu tun. TANGERINE DREAM ist bekanntlich eine Gruppe, die sich in Berlin gründeten und später nach Amerika gingen. In Deutschland gab es zu diesem Zeitpunkt keine Szene, keine Gegend, wo sich alle trafen, miteinander sprachen oder muszierten. Zwischen den deutschen Gruppen war ein „Sicherheitsabstand“ von 600 Kilometern.
W: Kann man sagen, dass die Musik der sogenannten Krautrocker im eigenen Land nicht sehr von Erfolg gekrönt war, man aber im Ausland (USA, Japan, Frankreich) diese Art von Musik sehr schätzte und die Bands bei Konzerten sogar feierte?
I. Sch.: Ganz am Anfang war es so, dass in Deutschland die Popmusik von Importen aus England und Amerika beherrscht wurde. Das war aber ganz natürlich, da die ganze musikalische Tradition im Land ausgerottet worden war. Deshalb musste man aus dem Ausland importieren, was es hier nicht mehr gab. Unsere ersten Platten liefen nicht so erfolgreich, weil man uns mit der gängigen Popmusik verglich und meinte, dass wir gar nicht spielen können. In England hatten wir dagegen von Anfang an Erfolg, der sich später wiederum in Deutschland ausbreitete. Dann kam unser Hit „Spoon“, der Titelsong für den Fernsehkrimi „Das Messer“ (von Francis Durbridge). Von dem Song verkauften wir 350 000 Singles und wurden so ab 1972 auch in Deutschland richtig berühmt.
W: Wer sich jetzt mit dieser Musik beschäftigt und dabei auf CAN stößt, wird alles in die Schublade „Krautrock“ stecken. Wie würden Sie einem Neuling ihre Musik beschreiben? Wie die Konzerte und Aufnahmen, die sich ja in ihrer Konsistenz gehörig unterscheiden.
I. Sch.: Ich beschreibe meine Musik überhaupt nicht, denn ich mache sie. Beschreiben und erklären ist die Aufgabe von Musikwissenschaftlern und Journalisten. Und ob man unsere Musik nun Krautrock nennt, geht mir eigentlich am Arsch vorbei. Ich fühle mich nicht beleidigt, wenn es so genannt wird, aber ich identifiziere mich nicht mit diesem Begriff.
W: Jetzt ist alles digitalisiert. Vieles klingt kalt und ganze Alben werden in naher Zukunft überflüssig. Man kann immer und überall Musik hören, MP3 macht es möglich. Ist diese Veränderung zu schnell gegangen und wie empfinden Sie die neuen Hörgewohnheiten?
I. Sch.: Musik ist niemals überflüssig, höchstens wenn sie schlecht ist. Wir kommen um die Digitalisierung nicht herum. Es wird viel damit experimentiert, so werden beispielsweise analoge mit digitalen Klängen vermischt. Aber die Qualität der Musik kann an digital oder nicht digital nicht gemessen werden. Dass man einen Computer besitzt und sich einige Musikprogramme runterladen und damit gleich tolle Musik machen kann, ist eine Illusion. Durch geniale Musiker und Toningenieure sind im Laufe der 60er, 70er Jahre, bis in die 1980er Jahre hinein, wundervolle Klänge entstanden, die eine wunderbare Räumlichkeit haben, eine Vielfalt an Tiefe und Klangdifferenzierung. Das geht nun durch den Einsatz von MP3 verloren, was sehr schade ist. Wer sich für diese Musik interessiert, der muss sie dann auch mit den richtigen Geräten anhören. Es ist ein Verlust an klanglicher Qualität aber nicht gleich die Zerstörung des Abendlandes, wie manche behaupten. Die Musik klingt allerdings nicht kalt sondern flach und langweilig, und die gleich für MP3 produzierten Klänge von Anfang an ziemlich doof.
W: Bei CAN kam es 1978 zum Split. Holger, Sie und auch Jaki Liebezeit gingen eigene Wege. Eine erklärte Trennung hat es nie gegeben. Wird man CAN noch einmal erleben dürfen?
I. Sch.: Live wird es CAN nie wieder geben, da bekanntlich unser Gitarrist Michael Karoli verstorben ist. Ansonsten haben wir im Laufe der Zeit immer wieder gemeinsam musiziert. Für das Album „Impossible Holidays“ (1991) arbeiteten neben zahlreichen international bekannten Musikern auch die CAN-Leute Michael Karoli und Jaki Liebezeit mit. Die Lyrics schrieb übrigens der englische Schriftsteller Duncan Faowell.
W: Auch an der Oper „Gormenghast“ (2000) arbeiteten Michael Karoli und Jaki Liebezeit mit. Wie verlief hier die Arbeit? War es eine Art Abwechslung und sind jetzt wieder Aufführungen geplant, zumal „Fantasy“ im Leben mittlerweile eine große Rolle spielt.
I. Sch.: Im Moment liegt keine neue Aufführung an. Mit der Oper ist es so, dass es kein Orchester gibt, das live spielt. Es wurde im Vorfeld schon alles aufgenommen, da es eine Vielzahl an elektronischen und konkreten Klängen gibt. Für die Küchenszene hat Jaki Liebezeit einfach auf Töpfe und Gläser geschlagen und ich habe vom Balkon ganze Stöße von Porzellan runter geworfen. Dann ließen wir von Treppen schwere Steine rollen. Die Aufnahmen mischten wir mit ganz vielen elektronischen Tönen und den Einspielungen des Orchesters. Während der Aufführung kam die orchestrale Musik aus den Lautsprechern, die Opernsänger sangen live dazu und im Orchestergraben spielte ein Streichquartett weitere Töne.
W: Nun wurde eine schwere, künstlerisch hochwertige 12-CD Box mit ihrer Musik veröffentlicht. Ihre Soloarbeiten sind dabei, verschiedene Filmmusiken und sogar Unveröffentlichtes. Ist das sozusagen der Abschluss einer großartigen Arbeit?
I. Sch.: Ich habe nicht vor mich irgendwo hinzusetzen und aufs Meer zu gucken. Natürlich werde ich weiter komponieren und bestimmt noch einige Alben mehr veröffentlichen.
W: CAN haben Musikgeschichte geschrieben, erhielten 2003 einen Echo für das Lebenswerk. Sie bekamen einen Preis von der Deutschen Fernsehakademie für die beste Filmmusik („Mord in Eberswalde“) und erhielten 2015 den französischen Orden „Chevalier des Arts et Lettres“. Eine Box dokumentiert ihr musikalisches Schaffen. Kann da noch etwas kommen, wollen Sie jetzt ganz Neues präsentieren?
I. Sch.: In meinem Leben ist immer irgendwie etwas Neues entstanden. Nächstes Jahr wird in London eine Sinfonie von mir aufgeführt, in der CAN-Titel als Zitate für ein größeres Orchesterwerk einfließen. Zusammen mit Gregor Schwellenbach werde ich das Stück instrumentieren. Weiterhin komponiere und schreibe ich dafür und entwickle eine Neufassung meiner Balletmusik.
W: Was wünschen Sie sich für die Zukunft, erscheint vielleicht eine Autobiographie?
I. Sch.: Zur gleichen Zeit, wenn die Sinfonie zur Aufführung kommt, erscheint in einem englischen Verlag die CAN-Biografie. Dieses schriftstellerische Werk ist dann zweigeteilt. Neben der Biografie gibt es noch einen Teil, den ich editieren werde. Hier kommen alle möglichen Leute zu Wort, die unsere Musik lieben, von ihr beeinflusst wurden.
W: Viele Bands erwähnen gerne, dass sie von den Krautrockern oder eben von CAN inspiriert und beeinflusst wurden.
I. Sch.: Man ist selber immer von etwas beeinflusst. Bei CAN war es halt so, dass wir viele verschiedene musikalische Stile repräsentierten, es ging von Stockhausen bis James Brown. Das macht dann die Musik sehr reich und besonders. POTISHEAD, RADIOHEAD aber auch David Bowie nannten CAN, wenn sie nach ihrer Inspiration gefragt wurden. Man möchte in der Musikgeschichte gerne weiter wirken und hofft, dass die Musik nicht nur für den Tag war.
W: Gibt es noch etwas, was Sie schon immer machen wollten? Mit wem wollen Sie unbedingt noch zusammenarbeiten?
I. Sch.: Eine Zusammenarbeit nehme ich mir nie vor, die passiert ganz spontan.
Info: Irmin Schmidt, „Electro Violet“, 12 CD Box-Set, Spoon Records
Stockhausen-Schüler, Rocklegende, Solokünstler Filmkomponist: Im Lauf seiner 50-jährigen Karriere hat Irmin Schmidt, einst Keyboarder bei CAN, schon viel erlebt. Nun erscheint eine Box mit allen Filmmusiken, Solowerken, Opernklängen und unveröffentlichtem Material. Im Interview berichtet Schmidt von der intensiven Zusammenarbeit bei CAN, Tellerwürfen bei Opernaufnahmen und neuen Arbeiten.
Wahrschauer: Sie belegten Kurse bei Stockhausen, Luciano Berio und John Cage. Lassen Sie sich bis heute von deren Ideen und Aussagen beeinflussen? Und darf man Sie in einem Atemzug mit diesen großen Komponisten nennen?
Irmin Schmidt: Ja, der Einfluss ist immer noch da. Mich mit diesen Komponisten auf eine Stufe zu stellen, ist jedem selbst überlassen und eine Geschmacksfrage. Allerdings finde ich es schon etwas vermessen, aber es kann jeder halten wie er will.
W: Als Sie schon ziemlich spät (Sie waren 30 Jahre alt) mit Holger Czukay und Michael Karoli eine Band gründeten, war noch kein musikalischer Weg vorgegeben. Wie waren die ersten Zusammenkünfte und Proben und wie war die Arbeit mit ihrem ersten Sänger Malcolm Monney?
I. Sch.: Hier trafen zwei Musiker aus dem Bereich der Klassik auf den sehr jungen Jazzmusiker Michael Karoli, der von Django Reinhardt, Wes Montgomery aber auch von Jimi Hendrix beeinflusst wurde. Es war dann irgendwie so, dass zusammen kommt, was gar nicht zusammen gehört. Wir wussten selbst nicht, wie sich unsere Musik entwickelt, was aus diesem Bandgefüge wird. Was aus CAN geworden ist, kann als ein ganz natürlicher Prozess bezeichnet werden, bei dem ganz verschiedene musikalische Welten, Spiele und Traditionen aufeinander prallten.
W: Nach wenigen Jahren verließ der Sänger Malcolm Mooney die Band in Richtung USA. Kann man sagen, dass er geflohen ist?
I. Sch.: Nein, er ist nicht geflohen, sein Aufenthalt in Deutschland gestaltete sich sehr kompliziert: Er hatte große Probleme und Angst, dass er nach Vietnam eingezogen wird. Und außerdem ist es für einen Menschen in einem fremden Land auch schwierig, wenn er die Sprache nicht versteht. Da wird man leicht paranoisch, wenn die Leute um einen herum in einer unverständlichen Sprache reden und man nicht mitbekommt, was sie miteinander sprechen oder ob sie gar über einen reden. Malcolm Mooney hielt es dann für notwendig, nach Hause zu fahren. Er musste sich von Deutschland, von dem ganzen Stress, erholen.
W: Nur wenige Zeit später begegneten Sie auf der Straße ihrem neuen Sänger Kenji „Damo“ Suzuki. Wie fanden CAN und Damo zueinander?
I. Sch.: Es war so spontan, wie das erste Zusammentreffen mit Mooney. Damo zog als Straßenmusiker durch die Lande. Wir sprachen ihn an und verabredeten uns gleich für einen Gig, bei dem es zwischen uns sofort funkte. Es lief mit ihm einige Jahre hervorragend, bis er uns dann plötzlich wieder verließ.
W: Als CAN richtig bekannt wurden, musizierten auch all die anderen Bands wie AMON DÜÜL, NEU!, später HARMONIA, POPOL VUH. Es war ein gemeinsames Abwenden von der amerikanischen Musik, hin zu neuen, so noch nie gehörten, Klängen. Konnte CAN mit der Musik der genannten Gruppen etwas anfangen und wie waren die Beziehungen zu diesen Bands?
I. Sch.: Na ja, wir kannten und schätzten uns. Wegen der Filmmusiken, die wir anfangs machten, fuhren wir oft nach München, wo sich auch die anderen Bands aufhielten. So trafen wir uns mit AMON DÜÜL, mit denen wir sogar auf Tournee gingen. KRAFTWERK, die wir ebenfalls kannten, logierten von uns nicht so weit weg. Mit denen spielten wir sogar ein Konzert. Ab und zu hatte ich mit Edgar Froese von TANGERINE DREAM zu tun. TANGERINE DREAM ist bekanntlich eine Gruppe, die sich in Berlin gründeten und später nach Amerika gingen. In Deutschland gab es zu diesem Zeitpunkt keine Szene, keine Gegend, wo sich alle trafen, miteinander sprachen oder muszierten. Zwischen den deutschen Gruppen war ein „Sicherheitsabstand“ von 600 Kilometern.
W: Kann man sagen, dass die Musik der sogenannten Krautrocker im eigenen Land nicht sehr von Erfolg gekrönt war, man aber im Ausland (USA, Japan, Frankreich) diese Art von Musik sehr schätzte und die Bands bei Konzerten sogar feierte?
I. Sch.: Ganz am Anfang war es so, dass in Deutschland die Popmusik von Importen aus England und Amerika beherrscht wurde. Das war aber ganz natürlich, da die ganze musikalische Tradition im Land ausgerottet worden war. Deshalb musste man aus dem Ausland importieren, was es hier nicht mehr gab. Unsere ersten Platten liefen nicht so erfolgreich, weil man uns mit der gängigen Popmusik verglich und meinte, dass wir gar nicht spielen können. In England hatten wir dagegen von Anfang an Erfolg, der sich später wiederum in Deutschland ausbreitete. Dann kam unser Hit „Spoon“, der Titelsong für den Fernsehkrimi „Das Messer“ (von Francis Durbridge). Von dem Song verkauften wir 350 000 Singles und wurden so ab 1972 auch in Deutschland richtig berühmt.
W: Wer sich jetzt mit dieser Musik beschäftigt und dabei auf CAN stößt, wird alles in die Schublade „Krautrock“ stecken. Wie würden Sie einem Neuling ihre Musik beschreiben? Wie die Konzerte und Aufnahmen, die sich ja in ihrer Konsistenz gehörig unterscheiden.
I. Sch.: Ich beschreibe meine Musik überhaupt nicht, denn ich mache sie. Beschreiben und erklären ist die Aufgabe von Musikwissenschaftlern und Journalisten. Und ob man unsere Musik nun Krautrock nennt, geht mir eigentlich am Arsch vorbei. Ich fühle mich nicht beleidigt, wenn es so genannt wird, aber ich identifiziere mich nicht mit diesem Begriff.
W: Jetzt ist alles digitalisiert. Vieles klingt kalt und ganze Alben werden in naher Zukunft überflüssig. Man kann immer und überall Musik hören, MP3 macht es möglich. Ist diese Veränderung zu schnell gegangen und wie empfinden Sie die neuen Hörgewohnheiten?
I. Sch.: Musik ist niemals überflüssig, höchstens wenn sie schlecht ist. Wir kommen um die Digitalisierung nicht herum. Es wird viel damit experimentiert, so werden beispielsweise analoge mit digitalen Klängen vermischt. Aber die Qualität der Musik kann an digital oder nicht digital nicht gemessen werden. Dass man einen Computer besitzt und sich einige Musikprogramme runterladen und damit gleich tolle Musik machen kann, ist eine Illusion. Durch geniale Musiker und Toningenieure sind im Laufe der 60er, 70er Jahre, bis in die 1980er Jahre hinein, wundervolle Klänge entstanden, die eine wunderbare Räumlichkeit haben, eine Vielfalt an Tiefe und Klangdifferenzierung. Das geht nun durch den Einsatz von MP3 verloren, was sehr schade ist. Wer sich für diese Musik interessiert, der muss sie dann auch mit den richtigen Geräten anhören. Es ist ein Verlust an klanglicher Qualität aber nicht gleich die Zerstörung des Abendlandes, wie manche behaupten. Die Musik klingt allerdings nicht kalt sondern flach und langweilig, und die gleich für MP3 produzierten Klänge von Anfang an ziemlich doof.
W: Bei CAN kam es 1978 zum Split. Holger, Sie und auch Jaki Liebezeit gingen eigene Wege. Eine erklärte Trennung hat es nie gegeben. Wird man CAN noch einmal erleben dürfen?
I. Sch.: Live wird es CAN nie wieder geben, da bekanntlich unser Gitarrist Michael Karoli verstorben ist. Ansonsten haben wir im Laufe der Zeit immer wieder gemeinsam musiziert. Für das Album „Impossible Holidays“ (1991) arbeiteten neben zahlreichen international bekannten Musikern auch die CAN-Leute Michael Karoli und Jaki Liebezeit mit. Die Lyrics schrieb übrigens der englische Schriftsteller Duncan Faowell.
W: Auch an der Oper „Gormenghast“ (2000) arbeiteten Michael Karoli und Jaki Liebezeit mit. Wie verlief hier die Arbeit? War es eine Art Abwechslung und sind jetzt wieder Aufführungen geplant, zumal „Fantasy“ im Leben mittlerweile eine große Rolle spielt.
I. Sch.: Im Moment liegt keine neue Aufführung an. Mit der Oper ist es so, dass es kein Orchester gibt, das live spielt. Es wurde im Vorfeld schon alles aufgenommen, da es eine Vielzahl an elektronischen und konkreten Klängen gibt. Für die Küchenszene hat Jaki Liebezeit einfach auf Töpfe und Gläser geschlagen und ich habe vom Balkon ganze Stöße von Porzellan runter geworfen. Dann ließen wir von Treppen schwere Steine rollen. Die Aufnahmen mischten wir mit ganz vielen elektronischen Tönen und den Einspielungen des Orchesters. Während der Aufführung kam die orchestrale Musik aus den Lautsprechern, die Opernsänger sangen live dazu und im Orchestergraben spielte ein Streichquartett weitere Töne.
W: Nun wurde eine schwere, künstlerisch hochwertige 12-CD Box mit ihrer Musik veröffentlicht. Ihre Soloarbeiten sind dabei, verschiedene Filmmusiken und sogar Unveröffentlichtes. Ist das sozusagen der Abschluss einer großartigen Arbeit?
I. Sch.: Ich habe nicht vor mich irgendwo hinzusetzen und aufs Meer zu gucken. Natürlich werde ich weiter komponieren und bestimmt noch einige Alben mehr veröffentlichen.
W: CAN haben Musikgeschichte geschrieben, erhielten 2003 einen Echo für das Lebenswerk. Sie bekamen einen Preis von der Deutschen Fernsehakademie für die beste Filmmusik („Mord in Eberswalde“) und erhielten 2015 den französischen Orden „Chevalier des Arts et Lettres“. Eine Box dokumentiert ihr musikalisches Schaffen. Kann da noch etwas kommen, wollen Sie jetzt ganz Neues präsentieren?
I. Sch.: In meinem Leben ist immer irgendwie etwas Neues entstanden. Nächstes Jahr wird in London eine Sinfonie von mir aufgeführt, in der CAN-Titel als Zitate für ein größeres Orchesterwerk einfließen. Zusammen mit Gregor Schwellenbach werde ich das Stück instrumentieren. Weiterhin komponiere und schreibe ich dafür und entwickle eine Neufassung meiner Balletmusik.
W: Was wünschen Sie sich für die Zukunft, erscheint vielleicht eine Autobiographie?
I. Sch.: Zur gleichen Zeit, wenn die Sinfonie zur Aufführung kommt, erscheint in einem englischen Verlag die CAN-Biografie. Dieses schriftstellerische Werk ist dann zweigeteilt. Neben der Biografie gibt es noch einen Teil, den ich editieren werde. Hier kommen alle möglichen Leute zu Wort, die unsere Musik lieben, von ihr beeinflusst wurden.
W: Viele Bands erwähnen gerne, dass sie von den Krautrockern oder eben von CAN inspiriert und beeinflusst wurden.
I. Sch.: Man ist selber immer von etwas beeinflusst. Bei CAN war es halt so, dass wir viele verschiedene musikalische Stile repräsentierten, es ging von Stockhausen bis James Brown. Das macht dann die Musik sehr reich und besonders. POTISHEAD, RADIOHEAD aber auch David Bowie nannten CAN, wenn sie nach ihrer Inspiration gefragt wurden. Man möchte in der Musikgeschichte gerne weiter wirken und hofft, dass die Musik nicht nur für den Tag war.
W: Gibt es noch etwas, was Sie schon immer machen wollten? Mit wem wollen Sie unbedingt noch zusammenarbeiten?
I. Sch.: Eine Zusammenarbeit nehme ich mir nie vor, die passiert ganz spontan.
Info: Irmin Schmidt, „Electro Violet“, 12 CD Box-Set, Spoon Records