Opa erzählt schon wieder vom Krieg!
Mitte der Achtziger bekam ich ein paar Cassetten geschenkt, die mit aktuellen Alben bespielt waren, welche ein Freund auf Vinyl besaß. Manchmal waren nicht alle Lieder drauf, weil zwei mal fünfundvierzig Minuten schnell voll sind. Ich erinnere mich, dass ich jahrelang das Lied "How soon is now" von THE SMITHS nicht kannte, weil der Kumpel es aufgrund der ausufernden Länge auf der Cassette einfach weg ließ! Groß war das Erstaunen, als mir bei einem Portugal-Urlaub das Vinyl-Album in einem Second-Hand-Shop in die Hände fiel! Und wie überrascht ich war,
als viele Jahre später die russische Fake-Lesben-Pop-Krawall-Band T.A.T.U. das Lied coverte - was Morrissey zu der Bemerkung "magnificant!" veranlasste...
Wie dem auch sei: auf die Ohren gab es Musik von THE SMITHS, PET SHOP BOYS, MC CARTHY und THE WEDDING PRESENT. Letztere waren in Deutschland nie so richtig groß, während sie im United Kingdom zu den Speerspitzen der Achtziger-Indie-Kultur gehörten - nicht zuletzt durch ihr bis heute unerreichtes Meisterwerk "George Best". Das in Eigenregie rausgebrachte Album (doch, es gab eine Menge Angebote von Industrie- und Indie-Labeln) ist durchaus in einer Reihe mit "Sufer Rosa" von den PIXIES zu nennen, was Wichtigkeit, Einfluß und das (Wieder-)Herstellen eines bestimmten Lebensgefühls angeht, welches nur in den Achtzigern bestand und heute nur noch für die damals bereits Musik hörenden Leute wiederherstellbar, aber nicht ganz neu erfahrbar ist. Das klingt ein bisschen von oben herab und auch ein bisschen nach der Kategorie: "Opa erzählt schon wieder vom Krieg." Jedoch habe ich schon mit etlichen Leuten gesprochen, die von ähnlichen Erfahrungen und Eindrücken berichten. Aber wieder zurück zu der tollen Band:
Auch bei THE WEDDING PRESENT war es wieder mal John Peel, der mit seiner Radio-Show half, den Bekanntheitsgrad der Musik deutlich zu erweitern. Durch die Aktion, während eines Jahres jeden Monat eine Vinyl-Single rauszubringen, hielt sich die Band ebenfalls im Gespräch - nicht zuletzt, weil JEDE dieser Singles es schaffte, in die britischen Charts zu kommen. Später wurden die Singles als Compilation veröffentlicht, und es gab auch bald folgende ("Bizarro") oder später in der Karriere erscheinende ("Seamonsters") Meisterwerke.
Nun, was machen THE WEDDING PRESENT im Jahr 2012? Textmäßig
bleibt alles ähnlich wie "früher": Liebesfreud und vor allem -Leid werden thematisiert, meist in direkter Ansprache, überhaupt erzählen die Texte persönliche Geschichten. Mit Sänger und Schreiber David Gedge ist ein Romantiker am Werk, der häufig an den bereits erwähnten Zeitgenossen Morrissey erinnert. Die behandelnden Themen sind geschlechts- und grenzüberschreitend, was ich damals interessiert zur Kenntnis nahm, denn Morrissey kokettierte gern damit, dass Männer die auf Typen stehen, generell hoffnungsloser im Liebesleben herumeiern. Was natürlich nicht stimmt. Schließlich waren in jungen Jahren nicht nur Freunde und Bekannte, sondern auch Bands wie THE WEDDING PRESENT ein lebender Beweis dafür, dass bei Heten auch nicht immer eitel Sonnenschein ist. Sänger David berichtete (und berichtet) meistens davon, wie die (emotionale) Welt um ihn herum zerbröselt und was dies in ihm selbst anrichtet. In gewisser Weise sind THE WEDDING PRESENT damit ein (sehr guter) Vorläufer von dem, was später der Einfachheit halber (leider auch für viele nicht so gut gelungene Kopien) das Etikett "Emo" aufgedrückt bekam.
Bei den Titeln von "Valentina" fällt aufgrund des Titels zuerst mal "The girl from the DDR" auf. Eine mysteriöse Frauenstimme singt background seltsam wirkendes Zeug in deutscher Sprache. Das Lied ist der Ohrwurm der Platte. Ansonsten ist die Musik verschiedenartig, obwohl das Album wie aus einem Guss wirkt (dabei hat diese Scheibe wirklich mal nichts mit Steve Albini zu tun :o) Es gibt nölig wirkende sperrige Gitarrenarbeit, die manchmal an THE FALL erinnert, Britpop-Einsprengsel, hübsche Feedback-Momente ("Back a bit...Stop") und die für die Band typischen knackigen Instrumente-Ineinander-Krach-Passagen. Die auf- und abwogende Stimmung mit den Tempowechseln und dem wechselnden Focus auf diverse Instrumente erzählt schon von sich aus eine Menge - die Texte erweitern das, was die Musik darstellt. Auf andere Bands beziehen sich THE WEDDING PRESENT dabei nicht unbedingt, vielmehr hört sich "Valentina" so an, als hätten die Dame und die Herren vor den Aufnahmen ihren eigenen Back-Katalog angehört...
...und beim letzten Lied "Mystery Date" schimmert dann sogar Hoffnung auf... Strangeways, here we come!
Stickman Records / Soulfood - VÖ: 17.03.2012