Keine gefallsüchtigen Attitüden

 

2012 war aus diversen Gründen ein gutes Jahr für Postrock: nicht nur die SWANS haben das möglicherweise beste Album ihres dreißígjährigen Bestehens veröffentlicht (von der herausragenden Tour mal abgesehen), auch GODSPEED YOU! BLACK EMPEREOR hatten Besseres zu tun als mal wieder das Aufrufezeichen im Bandnamen an eine andere Stelle zu schieben: sie brachten etwas überraschend das erste Album seit zehn Jahren heraus und waren im Herbst auf einer gut besuchten Tournee, welche sie unter Anderem in die zwar nicht Ein-Akkord-, aber Drei-Akkord-Institution SO36 führte.

 

Beide Bands tun sich mit dem Begriff „Postrock“ schwer, da dieser eventuell einengend wirken kann, jedoch lässt sich der Einfachheit halber das Wort anwenden, zumal beide Gruppen absolute Pioniere dieses Genres sind, musikalisch aber auch gerne in andereren Gefilden ansässig sind.

 

 

Eher unüblich im Genre: GODSPEED YOU! BLACK EMPEREOR zeigt sich politisch. So befindet sich auf der Rückseite des Albums „Yankui U. X. O“ ein Bild welches die Verbindungen der Rüstungsindustrie zu den noch vorhandenen großen Musiklabels aufzeichnet: ein Thema welches auch schon bei LAIBACH vorkam. Interviews geben die Mitglieder selten, und wenn, dann gibt es Ratschläge wie den folgenden: Musik sollte nicht in Supermärkten gekauft werden. Die Situation in den Staaten wie auch UK ist anders als in Deutschland: große Ketten wie Wal-Mart haben ein Interesse daran, Druck auf die Musikszene auszuüben indem sie Veröffentlichungen aus dem Programm nehmen wenn bestimmte Wörter oder Themen auf den Alben vorkommen. Nicht nur aus diesem Grund sind GODSPEED YOU! BLACK EMPEREOR gut bei Constellation-Records (auch bekannt durch Bands wie SILVER MT. ZION, FLY PAN AM und TINDERSTICKS) aufgehoben, die antikapitalistisch und gegen den Globalisierungswahn agieren. Hierzu ist festzustellen: das Label gehört nicht zur Wasser-predigen-Wein trinken-Fraktion. Nicht nur das versucht wird den Verkauf von Tonträgern über große Konzerne zu umgehen, auch die Gestaltung der Alben war von Anfang an (Mitte der Neunziger Jahre) so dass eklige und super-hässliche Plastik-CD-Verpackungen vermieden wurden und stattdessen Künstler Aufträge erhielten, schöne Motive für Papp-Cover zu entwerfen.

 

Doch zurück zum neuen Album der Quebecer Band:„Allelujah! Don´t bend! Ascend!“ hat neben vielen Gitarren und Bass Streicher, Percussions und wieder mal mysteriöse Field-Recordings oder auch Samples an Bord. Es lassen sich Punk-, Hardcore- Rock- Morricone- (wie schön!) sowie düstere Ambient-Klänge ausmachen, was sich zum Großteil bereits während der ersten acht Minuten ein Stelldichein gibt - ohne dass groß vom einzigen Grundton hinweg gewandelt wird. Die Gitarren hören sich an wie heisere, schreiende Möwen. Das erinnert an den ersten Auftritt der Band als Support für eine kanadische Gruppe: GY!BE beschlossen, bei ihrem ersten Gig eine Stunde lang nur einen Ton zu spielen...

 

Das hört sich nicht gerade sehr kommerziell an. Die Band zeigt ansonsten auch gerne Haltung: Interviews gibt es wie gesagt selten, und als Danny Boyle Musik für seinen Horror-Film „28 days later“ von GY!BE haben wollte, so durfte er einen langen Track verwenden (für die wunderschöne Szene als der Hauptdarsteller durch ein menschenleeres London spaziert), aber es wurde abgemacht, dass die Musik nicht auf dem Soundtrack veröffentlicht werden darf. Was die Band dazu bewog weiß ich nicht, aber es ist mindestens genau so interessant wie die Frage, ob es gut oder weniger gut ist, dass Zombies in diesem und seit diesem Film rennen dürfen anstatt zu schlurfen. Jedenfalls ist der Schreiber dieser Zeilen aus dem Grund des fehlenden atmosphärisch dichten wie auch wichtigen Tracks auf die tolle Band aufmerksam geworden.

 

Wieder zurück zum Album: in den zehn Jahren Pause ist die Welt nicht unbedingt eine Bessere geworden. Beim letzten Werk aus dem Jahr 2002 waren die Weltbilder gerade schwer am Wackeln: Post 9/11, neue Kriege, ein super-unbeliebter Präsident in den Staaten. Das alles spiegelte sich auch in der Musik von GY!BE wieder, ohne dass es allzu deutlich oder genau verortbar war. Musik hat sich weiter entwickelt, insbesondere was die Vermarktung angeht: Klingeltöne, Bits und Bytes, virtuelle Käufe einzelner Songs, immer grottigere Popmusik – andererseits aber auch: Echtheit, grobkörnige Kunst, Einfachheit & vor allem...Live-Präsenz...da kommen GODSPEED YOU!, wie sie liebevoll von Fans genannt werden, gerade richtig: ihre Krach-Monolithen machen es häufig nicht unter zwanzig Minuten und sind nicht schnell und einfach konsumierbar - wobei für geübte und aufgeschlossene Ohren eine wachsende Freude beim mehrmaligen Anhören entsteht.

 

Die vier Tracks des neuen Albums dauern zweimal je zwanzig Minuten (Material, welches schon vor Jahren live gespielt wurde, jetzt aber neu und etwas anders aufgenommen noch mehr Zauber versprüht) sowie zwei sechseinhalbminütige Drones.

 

Vor allem beim Einstiegslied „Mladic“ ist toll, wie sich eine minutenlange Spannung aufbaut und nach ungefähr acht Minuten so langsam kleine Verschiebungen im Sound-Konstrukt stattfinden, während kurze Zeit später ein Großteil der bildhaften Komposition zusammenfällt, um nur noch schöner und derwischhafter aufzuerstehen. Dabei gibt es in keinem Moment so genanntes Gefrickel, nichts findet aus einer gefallsüchtigen Attitüde statt – alles baut laut und wunderschön und brachial aufeinander auf. Die Tracks wirken etwas verschachtelt, aber keineswegs verkopft - deshalb ist es gar nicht schwer damit eine emotionale Achterbahnfahrt zu erleben. Ruhiger geht es lediglich bei „Their helicopers sing“ zu, wobei dieses Stück einen auch nicht gerade zurück auf die Erde holt. Aber wer will das schon bei dieser Musik?

 

„Allejuah! Don´t bend! Ascend!“ ist sehr laut zu hören, hat fast hypnotische Fähigkeiten und ich bin verwundert, mit diesem Werk auf den Ohren noch nicht gegen einen nächtlichen Berliner Laternenpfahl gelaufen zu sein.

 

(Constellation/Cargo - VÖ: 19.10.2012)