...und kurz steht die Zeit still.
„Die ganze Stadt ist halber Schutt... kommt, reißt sie endlich ein!“ Nachdem „Das Island Manöver“ textlich selbst für TURBOSTAAT-Verhältnisse relativ kryptisch war, werden zum Soundtrack des Fünfer-Gespanns unter der erneuten Produktion von Moses Schneider klare Worte gewählt, wie im krönenden Album-Abschluss: „Der Krieg ist nie vorbei, so lange er sich lohnt“. Auch eine national gesinnte Kapelle, denen ich bestimmt keine Namens-Nennung gönne (auch Negativ-Werbung ist Reklame), kriegt kurz mal ihr Fett in „Pestperle“ ab.
Überhaupt funktioniert der spannende Spagat gut, menschlich-allzumenschliches in Zusammenhang mit (aktueller) Politik und Gesellschaftsbeschreibung zu bringen. Es bleibt Raum für eigene Interpretationen und Gefühle, obwohl die Texte von Marten selten deutlicher waren.
Jan Windmeier singt und tobt und schreit und spuckt was das Zeug hält, hier wird ein Trademark der Flensburger Band hoch gehalten und weiter geführt. In interessantem Kontrast zur Instrumentierung: ist der grandiose Opener „Stadt der Angst“ noch so, wie Fans die Band kennen und lieben, ändert sich das bereits ab dem zweiten Song „Phobos Grunt“ mit dem Einsatz von Keyboard und interessanten Takt-Wechseln. Bei „Psychoreal“, erinnern die Gitarren an die guten alten... (nein, nicht Zeiten – bloß nicht... - sondern...) WIPERS.
Eine große Stärke von „Stadt in Angst“ sind die aufgeräumt klingenden, aber dennoch wilden Gitarren, welche auch für sich alleine im Raum stehend schon eine super Scheibe abgeben würden. Im Gegensatz zu vielen neuen (auch leider ab und zu im Punk-Bereich) Alben wird nicht überproduziert und ein Soundbrei im 3D-Format auf die Hörer und Hörerinnen losgelassen, stattdessen ballert eine knackige, reduzierte, kraftvolle Frische aus den Boxen raus. Das könnte daran liegen, dass live aufgenommen wurde, dazu analog – und zwar im Hamburger Studio von Clouds Hill.
„Sohnemann Zwei“ ist für mich der Höhepunkt der Scheibe, und da es für TURBOSTAAT musikalisch komplett aus dem Rahmen fällt, auch mein neues Lieblings-Lied der Band. Es trifft ins Mark, und nachdem die letzten Töne verklungen sind, will noch eine Weile verdattert auf dem Sofa gesessen werden. Was war das denn gerade für ein Abschluss? Uff... die Zeit bleibt mal kurz stehen.
Interessant ist übrigens auch das schlicht wirkende und zudem weiße Cover, welches nun gar nicht nach den Eckpfeilern von Punkrock aussieht, während die Innenwelt (schönes dickes Booklet mit allen Texten und verschiedenen Foto-Collagen) dann wieder mehr die Punk-Ideen bedient. Ob es Absicht war, auch hier zwei verschiedene Welten zusammen zu bringen, so wie es manchmal auf der Platte zelebriert wird? Wie werden die Fans „Stadt der Angst“ aufnehmen? Mir gefällt, wie TURBOSTAAT nach der Abkehr von Warner jetzt beim Indie-Label Cloud Hill nach wie vor wie TURBOSTAAT klingen, aber einige neue Elemente in ihr Werk bringen, welche dafür sorgen, das sie auch im vierzehnten Jahr des Bestehens spannend und relevant bleiben. Nach „Das Island Manöver“ haben TURBOSTAAT erneut ein paar Haken geschlagen, ohne ihre Trademarks zu vergessen. Diese Scheibe erzeugt – trotz ihrer Düsterkeit – viel Spaß und Freude, ist sie doch auch ein (bestätigender) Soundtrack zum Leben in der Betonburg: „Manchmal glaubt man beinah selber, dass das alles so gehört.“
VÖ: 05.04.2013 - Clouds Hill / Rough Trade
TIPP: Interview geplant für WAHRSCHAUER #63!