Schüttelreime, Karohemden und ganz große Gefühle!
Oft wird sich im Ausland gewundert, wieso die Deutschen es drauf haben, ihre Kommandosprache in Liedtexte zu verpacken und diese auch noch jenseits vom Marsch mit Musik zu untermalen.
In den 1970er Jahren begannen sich einige Nassforscher an ihre Amtssprache zu erinnern. Sie wollten nicht nur Gesetze, Verordnungen, Verbote und Bibelsprüche in Deutsch lesen und hören, sondern auch mitsingen können und nach Herzenslust dichten, denken, flennen und Frauen aufreißen. Gelungen ist es nicht, obwohl sich diese jungen Leute einige Instrumente schnappten und sich aus den Höhlen in Richtung Hitparaden begaben.
So sang gleich einer mit langen dünnen Haaren, vernuschelter Stimme, jeder Menge Likör im Blut, gehirnfreier Zone und speckigem Hut: ‚Bodo Ballermann heißt der Geiger‘, aber
auch ‚Rudi Ratlos stellt ne Frage‘ und erst recht: ‚Hinterm Horizont steht ne geile Mauer‘.
Weitere surrende Schlammspritzer folgten, wie der Kleine mit dem großen Gesichtsauswuchs, der die „Weiber“, die ihm willig sein sollten, persönlich mit Strophen des schlechten Geschmacks bewarf: ‚Ein Bild so wie Du‘, ‚Du bist alles für fickifucki‘ und ‚Du da, einfach nur Du da‘. Lieder, die in Rumänien sofort nach Erscheinen verboten wurden und den deutschen Staatsbürger heute noch schüttelnd und rüttelnd durch die verkommenen Innenstädte taumeln lassen.
Als nun jeder dachte, dass es nicht schlimmer kommen kann, rüstete sich ein Bursche aus dem Kohlenschacht zur großen Absahne. Er verließ ein deutsches U-Boot, steckte sich eine Kartoffel zwischen die Fressbacken und begann nicht gedachte Worte aneinander zu reihern. Gerne schrieb er Fortsetzungen. Am Anfang sind die „Männer“, dann kommt der „Alkohol“ dazu und schließlich nach dem schiefen Blick in den Spiegel: „Deine Liebe klebt“.
Auf der anderen Seite der Geschmacksmauer gab es nicht so viel zu lachen und Abwechslung schon gar nicht sondern von Arbeitern und Bauern gesungene Schmonzetten, die nur entfernt an Beat und Hula-Hula erinnerten. Der große sonnige Vorsitzende mit seiner Partei genoss dabei größtmögliche Liebe und Aufmerksamkeit. Höre leider immer noch: ‚Über sieben Brücken musst du gehen, dann darfst du den großen Staatsratsvorsitzenden sehn‘. Und auf alle Fälle dieses: ‚Geh zu deiner Partei und lass den roten Drachen steigen‘ oder sogar: ‚Ich geh von Bitterfeld nach Eisenhüttenstadt zu Fuß, für einen Bruderkuss von dir, lieber Vorsitzender der Sowjetunion‘.
Ach, waren das herrliche Zeiten. Jetzt steht doch wirklich jeder Dummdödel mit zerzaustem Haar, sentimental schielend und einer Wandergitarre in der linken Hand vor dem zu groß geratenem Mikrophon und singt in der Sprache der Kampfgenossen und Imperialisten über die Liebe, über vögelnde Fliegen, fliegende Vögel und außerdem über Reisen ins ehemalige kapitalistische Ausland. Wer zählt die Namen, wer nennt die Alben. Kaum hat man ein Werk eines aufstrebenden deutschen Musikers entsorgt und der gelben Tonne übergeben, schon steht ein Neuer vor der Tür der Plattenfirma und bietet träumerische Lieder, geschrammelt und gezupft den immer nach neuem Scheiß darbenden Plattenbossen an. ‚Scheiß drauf‘, stammeln sie und schieben den DSDS-Verlierer für eine halbe Stunde ins Studio, damit er sein erstes, und hoffentlich einziges, Werk herunterreißt. Für das Coverfoto stehen sie immer in abbruchreifen Häusern mit abgerissenen Tapeten und beschmierten Wänden. Bestimmt ist es die Studentenbude, die sie jetzt hoffen verlassen zu können. Sie glotzen romantisch in die Kamera und träumen von Ökoweibern, Ökowein und Ökonotenblättern.
Da wäre zum Beispiel der Wuschelkopf (was auch sonst) Max Prosa, der ganz neue, immer noch bescheuerte, Themen in die Songs packt. So gibt es Strophen über rote Lippen, über Mauern, die man nicht sieht und über die Liebe, die nur unter Neonlicht existieren kann. Sehr flüssig sind die Reime, die in ‚sein, ein und dein‘ enden, sich bei ‚wach, nach, Schach‘ geradezu überschlagen und schließlich in ‚laufen, Haufen‘ den Höhepunkt bilden. Ganz besonders viel Mühe hat er sich beim Liedchen „Ikonen“ gegeben, in dem alles in den bekloppten und leicht mitzusingenden Zeilen gipfelt: ‚Und jetzt laufen zwei Ikonen / einer längst vergangenen Zeit / wieder einzeln durch den Irrwald / und unser Stern, er sieht so aus, als ob ers nicht verzeiht.‘
Oder nehmen wir den verwurstelt (och, nö nicht schon wieder) und ziemlich verträumt schauenden Johannes Strate, der mit seiner frisch geschnitzten Gitarre gerne ungereimte deutsche Strophen trällert und auch mal feine Reime auffährt. Er singt in voller Brunst ‚Wahr und sah‘, ganz bestimmt ‚Herz, Schmerz‘ und den wohl Günther Grass` leerer Birne entsprungenen Song „Wir waren viel zu leise und die Welt war viel zu laut“. Hier lässt er uns alle auf das Ende der Karriere hoffen mit den deutsch tümelnden Sätzen: ‚Fall lethargisch in den Winterschlaf / Meine Bewegungen sind eingefroren.‘ Ja, bitte.
Schließlich muss noch Tim Benzko erwähnt werden, der sich in einem zerschlissenen Raum mit verschmierten Wänden ablichten ließ (na, ist aber mal ganz was Neues). Textlich treibt er alles in eine Kloschüssel, denn keiner kann den Singsang nachvollziehen und den Sinn erfassen. So soll es bei diesen jungen Burschen auch sein, denn nur so bekommt man Dörte, Josefine und Angelina auf die schlecht aufgeblasene Luftmatratze. Was er aus dem Kopf unten raus lässt, pendelt zwischen ‚Schall und Rauch‘, „Keine Zeit“ und „Nur noch kurz die Welt retten“ (kotz, brüll, rülps). Tim sollte unbedingt auf seine Zeilen hören, die da lauten: ‚Gib es auf! / Das macht doch keinen Sinn, sieh mal genauer hin!‘ Geh weg, Alter.
Wer nun aber denkt, es hat sich bald wieder mit diesen niedlichen Fratzen, der hat die teure Rechnung ohne die Plattenfirmen gemacht. Die erfinden weiter und weiter, mittlerweile fast stündlich, Musiker mit typisch deutschen Namen und nageln ihnen ein hochsinniges Werk auf den Babyspeckrücken. William Wahl ist mit „Wie schön wir waren“ dabei, Felix Meyer interpretiert „Erste Liebe, letzter Tanz“, Tiemo Hauer „Losgelassen“, Stefan Dettl den „Rockstar“, Philipp Poisel das pseudoreligiöse „Wo fängt dein Himmel an“ und Frank Ramond meint „Ganz klar“. Alle sind SPD-Wähler, tragen die Hemden ihrer Brüder auf und lassen sich von Mutti zum nächsten Auftritt fahren.
Wenn wir alle genug geliebt, geheult und gejammert haben, sollten die Besten zu E-Gitarre und Schlagzeug greifen und die Deutschländer aus der Stadt jagen.