The_way_it_wasImmer diese Widersprüche…

Berlin: Die New Yorker Hardcore-Szene hat in ihrer Hochzeit mit den CRO-MAGS, AGNOSTIC FRONT, YOUTH OF TODAY, SICK OF IT ALL etc. zahlreiche Bands hervorgebracht, die für das gesamte Genre einflussreich waren. Und auch so unterschiedliche populäre Acts wie BIOHAZARD, die BEASTIE BOYS und PRONG stammen aus diesem Umfeld. Matthias Mader hat gerade den Nachfolger zu seinem Buch „New York City Hardcore – The Way It Was…“ veröffentlicht und ich habe seine beiden Werke, aus denen auch alle folgenden Zitate stammen, mal unter die Lupe genommen.

Im aktuelleren, übrigens doppelt so dicken Buch namens „New York City Hardcore Vol. 2 – The Sound Of The Big Apple“ schreibt Marc von M.A.D.-Tourbooking, der auch
einige Interviews klargemacht hat, im Vorwort einige Erinnerungen an die 80er auf und kommt zu der steilen These, dass New York City Hardcore (NYCHC) immer „anti-sexistisch, anti-system, anti-Amerika“ gewesen sei. Sechs Seiten später erzählt Jism, dass seine Band ISM den Republikanern zu jeder Zeit sehr nahe gestanden habe. Und schon ist man mittendrin bei der Nabelschau einer Szene, die widersprüchlicher kaum sein könnte. Denn wenn man diese als Ganzes betrachtet, sieht es folgendermaßen aus: Man begeistert sich für den Krieg, für Anarchie, Nationalismus und fleischlose Ernährung, gibt sich dogmatisch, albern, proletarisch, sexbesessen und träumt dazu von einer weltweiten HC-Unity - die New Jersey allerdings ausschließt. Mader zeigt all diese Gegensätze auf und gibt sich redlich Mühe nachzuvollziehen, wie beispielsweise die Band ANTIDOTE eine Single veröffentlichen kann, bei der die A-Seite der antifaschistische Song „Nazi Youth“, auf der B-Seite jedoch ein Song gegen Immigranten („Foreign Job-Lot“) zu finden ist. Er fragt Drew Stone, der auf den Texter Nunzio verweist, ob er denn diese Songs trotzdem live gesungen habe. „Absolut, aber zum Inhalt musst du ihn fragen. Diese Frage war damals aber gar kein Thema, weißt du?“ Nunzio wiederum: „Viele Jobs gingen verloren. Ausländische Firmen machten sich breit. (…) Der Song war nicht rassistisch gemeint. Obwohl es viele tatsächlich so interpretiert haben.“ Sehr verwunderlich bei Zeilen wie „Aliens from another world, they come to U.S. for jobs“. Und „Nazi Youth“ sei nicht gegen Nazis, sondern richte „sich gegen die Typen, die Hardcore als eine Entschuldigung für Gewalt und Randale angesehen haben. (…) Es sind eben Typen mit Hakenkreuzen herumgelaufen, ohne zu wissen, was es bedeutet.“ Die ganz klar rechts zu verortenden YOUTH DEFENSE LEAGUE hatten das Glück, auf einer ´88er-Compilation von Revelation vertreten zu sein, die die gesamte Bandbreite der damaligen Szene repräsentieren sollte. Verschiedene Musiker werden auf diesen misslungenen Samplerbeitrag angesprochen. Lou Koller (SICK OF IT ALL) ist das beispielsweise im Nachhinein doch sehr unangenehm: „Die meisten Leute aus der New Yorker Punk- und HC-Szene waren damals einfach nicht politisiert. Da will ich mich selbst nicht ausnehmen.“ Dem damaligen Labelchef Ray Cappo (YOUTH OF TODAY, SHELTER) bleibt im Interview die Frage leider erspart. Der hat scheinbar auch ganz andere Problemfelder, wenn er sich über die Grundeinstellung von Punkern moniert, die seiner Einschätzung nach darauf basiere, „wie ein Schwein in dreckigen besetzten Häusern zu leben und auf den Boden zu pissen.“ Wie Cappo und Konsorten sich im Gegensatz dazu für Krishnas begeistern konnten, erklärt wiederum Nunzio kurz und bündig: „Die Krishna-Mitglieder haben am Wochenende im Tompkins Square Park immer gratis Essen an Bedürftige ausgeteilt. Da wurde natürlich auch über Religion gesprochen.“

New_York_City_HCMan sollte übrigens nicht meinen, die doch etwas breitbeinig daherkommenden AGNOSTIC FRONT würden das Thema Tierrechte kampflos den Straight-Edgern überlassen. Sie empfehlen im Booklet ihres 98er-Epitaph-Releases, Tierversuche zu stoppen und lieber Vergewaltiger und Kinderschänder zu nehmen. Der eigene Patriotismus kommt laut Sänger Roger Miret währenddessen ganz locker aus der Hüfte: „Bei `Live At CBGB’ sagen wir ja nur: Ja, wir sind eine amerikanische Band, wir kommen aus Amerika, die Platte ist live in Amerika im CBGB aufgenommen worden. Das ist alles.“ Nein, das ist noch lange nicht alles, wenn man zudem von Harley Flanagan (CRO-MAGS) folgendermaßen belehrt wird: „Wenn du nicht verstehen kannst, dass es krank ist, wenn ein Typ mit einem anderen Typen Verkehr hat, fein – doch du wirst Aids bekommen. Homosexualität ist einfach nicht gewollt.“

Bedauerlicherweise waren recht wenige Frauen in der Szene aktiv, ein Grund für Mader, mit Rebecca Korbet, Sängerin von EVEN WORSE, ein ausführliches Gespräch zu führen. Prompt gibt es auch ganz andere Geschichten zu hören. Etwa die, dass ihre Großmutter, die Punks als süß aussehend empfand, sie in der Peppermint Lounge „vor versammelter Mannschaft“ in die Wange zwickte, „sehr peinlich“. Vergleichen wir hierzu eine Äußerung von Ron Rancid (NIHILISTICS): „Ich wurde so oft bei Gigs verhaftet, dass ich es gar nicht mehr zählen kann, zum Beispiel in der Peppermint Lounge, als ich jemanden mit dem Mikrophonständer verdroschen habe. Wir sind einfach real. Zu 100%.“ Hier soll nicht das Bild entstehen, Rebecca Korbet wäre ein „braves Mädchen unter wilden Männern“ gewesen, sie äußert sich nur im Gegensatz zu den meisten ihrer männlichen hier zu Wort kommenden Kollegen wesentlich persönlicher, selbstkritischer und emotionaler, was das Interview umso lesenswerter macht.

Musikalische Initialzündung der Szene waren zweifellos die Liveshows der BAD BRAINS, die 1979 aus Washington D.C. in die Stadt zogen. Doch obwohl kaum jemand zu Wort kommt, der nicht ihren hohen Stellenwert hervorhebt, gab es erstaunlicherweise keine reinen Plagiatsbands, denn ihre Rastabotschaften und Reggaestücke blieben wirkungslos. Sehr selten wurden weiterhin auch Afroamerikaner auf der Bühne gesichtet, die zeitgleich sozusagen direkt auf der anderen Straßenseite eine andere Kultur vorantrieben: HipHop, und hier gab es so gut wie keine Überschneidungspunkte. Das lag sicher auch daran, dass der Rap in den frühen 80ern vor allem Party/Disco-Atmosphäre versprühte, für die sich scheinbar nur die BEASTIE BOYS, die wohl einzigen „Überläufer“, begeistern konnten. Auf dem 89er-Debüt von SICK OF IT ALL konnte man zwar Shoutouts von KRS-One hören, aber erst 2000 kam es zu einem gemeinsamen Track mit MOBB DEEP, die wie Koller & Co. aus Queens kommen. BIOHAZARD und PRO-PAIN hatten zwar schon Mitte der 90er Ähnliches gewagt (mit CYPRESS HILL und ONYX beziehungsweise Ice-T), waren zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht mehr dem engen Kreis der Szene zuzuordnen. Man bewegte sich im Allgemeinen lieber zwischen Oi, Punk und Metal und verzichtete weitgehend auf Experimente anderer Art. Einig sind sich eigentlich alle Bands zudem in der äußert konservativen Instrumentenauswahl (Drums, Bass, Gitarre), da kann man ISM mit gelegentlichem Orgeleinsatz schon als Paradiesvögel betrachten. Eine zehn Sekunden lange Ausnahme bildet zudem das Mundharmonikasolo bei „Start Today“ von den GORILLA BISCUITS.

Warum wurde nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich oft so eingeschränkt und dogmatisch agiert? Jack Rabid, Herausgeber des damaligen Fanzines „The Big Takeover“ meint eine Antwort zu kennen: „Ein Problem, das ich persönlich mit HC habe, ist die Tatsache, dass die meisten Kids nicht sehr gebildet waren. Das führte dazu, dass genau diese Leute viele Regeln aufgestellt haben, an die sich die anderen halten sollten. Das hätten sie sicher nicht getan, wenn sie eine bessere Bildung genossen hätten. Das damalige Schulsystem in New York war fürchterlich. Da die Stadt pleite war, konnte sie keine Lehrer einstellen.“


Fast 30 Interviews, 140 Bandeinträge mit Songtextausschnitten, alten Flyern etc. findet ihr auf folgende Bücher verteilt: „New York City Hardcore – The Way It Was…“ (1999) & „New York City Hardcore Vol. 2 – The Sound Of The Big Apple“ (2011), beide erschienen bei Iron Pages Books.