weltwirtschaftskrise.jpgPanik auf der Titanic!
 
Berlin / 6.10.2008: Die schlipstragende Elite des Kapitalismus geht schnorren. Allerdings wesentlich unangenehmer als der Punk von der Ecke, denn die hohen Herren wollen nicht `nen Euro, sondern gleich ein paar Milliarden von uns. Die Politik hat offenbar in dieser Situation nur die Möglichkeit zwischen Pest und Cholera zu wählen, sprich: einem Zusammenbruch des privaten Bankensystems oder öffentlich finanzierten Hilfsprogrammen in gigantischen Größenordnungen. Diese Lage hat neben panischen Reaktionen auch zu wirren Wendungen geführt: Hartgesottene Neoliberale kriechen unter den Rockzipfel von Mama Staat, Lobbyisten des freien Marktes schreien nach Regulierung, Verfechter eines starken Staates plädieren gegen Staatseingriffe und ehemalige Amerikafreunde fahren der USA verbal an den Karren. Die Wünsche der US-Administration, sich an dem Hilfspaket zu beteiligen, wurden brüsk zurückgewiesen. „Die Amerikaner können jetzt nicht für ihr Versagen und ihre Arroganz Deutschland in Haftung nehmen“, so der SPD-Fraktionsvorsitzende Joachim Poß noch vor einigen Tagen. Teilweise scheint es, als würde nach dem Terrorismus eine neue Kuh durchs Dorf getrieben werden, die Finanzmarkt heißt und ihren Unterschlupf nicht in Afghanistan, sondern in den USA hat. Nach Meinung von Finanzminister Steinbrück neige sich die wirtschaftliche Vorherrschaft der USA dem Ende entgegen. Das kann schon sein, aber ein paar Tage später hatte der Finanzminister für geopolitische Betrachtungen historischen Ausmaßes keine Zeit mehr. Da brannte mit der Hypo Real Estate (HRE) der eigene Laden. Das Dax Unternehmen - eines der größten Finanzkonzerne Deutschlands – stand vor der Pleite. Und zwar nicht, weil man sich mit verbrieften amerikanischen Immobilienkrediten verspekuliert hatte, sondern, weil das Bankmanagement langfristige Kredite, zum Teil für große europäische Infrastrukturinvestitionen, mit kurzfristigen Krediten refinanzierte. Durch die Zuspitzung der Finanzkrise leihen sich die Banken jedoch untereinander kaum noch Geld. Damit drohte der HRE die Zahlungsunfähigkeit. Nach Unklarheiten über den tatsächlichen Liquiditätsbedarf pokerte die Bundesregierung und Finanzindustrie um die Höhe der eigenen Beitrage für das nötig gewordene Rettungspaket. Eine endgültige Einigung kam, wie es inzwischen als notwendig erachtet wird, kurz vor der Eröffnung der Tokioter Börse zustande. Schon dieser Börsentag zeigte aber, dass diese Einigung ein Rohrkrepierer war. Schließlich muss die angeschlagene Finanzbrache das Risiko für knapp 25 Mrd. der Notfallkredite selbst tragen. Außerdem wird nach einer Analyse der Deutschen Bank die Liquiditätsspritze von 50 Mrd. lediglich für die nächsten drei Monate reichen. Fortsetzung folgt heißt nicht Ende gut, alles gut.
 
In diesen Tagen hatte die Reaktion der deutschen Politik fast schon panikartige Züge. Eine fahrige Bundeskanzlerin übernimmt, neben ihrem blassen Finanzminister stehend, mal eben ohne gesetzliche Grundlage in einer politischen Erklärung vor laufenden Kameras die staatliche Garantie für alle privaten Einlagen in Höhe von einer Billion Euro, damit das Volk nicht die Banken stürmt. Da sich der Staat aber das Geld früher oder später im Ernstfall wieder durch Steuereinnahmen holen müsste, sollte diese Aussage nicht wirklich beruhigen - von der Verteilungswirkung zwischen Vermögenden mit hohen Einlagen und Steuerzahlenden ohne Sparvermögen mal abgesehen. Aber in diesen Tagen sollte man nicht kleinlich sein. In der Koalitionsausschusssitzung wenige Minuten zuvor hatte man sich jedenfalls nebenbei noch auf Größeres geeinigt. Eine Grundgesetzänderung, die den Einsatz der Bundeswehr zur Unterstützung der Polizei im Innern ermöglichen soll. Da wird doch die Große Koalition die Krise nicht noch viel weiter gedacht haben…

Am nächsten Morgen, nachdem die Börse trotz geschnürtem Rettungspaket einbrach, wirft der Finanzminister noch schnell einen „Risikoschirm für die gesamte Finanzbranche“ auf den Nachrichtenmarkt. Doch jetzt rächt sich, dass die Politik hier zu lange das Bild gezeichnet hat, die Krise in den USA sei zwar „unfassbar“ (Steinbrück), aber Deutschland gut aufgestellt. Was übersetzt hieß: es gibt keinen Handlungsbedarf. Dieser Trugschluss konnte entstehen, weil man den Blick zu sehr auf die Finanzkrise beschränkte. Erweitert man die Perspektive, wird erkennbar, dass gerade ein Modell begraben wird, welches durch ein Zusammenspiel von Finanz- und Realsphäre jahrelang weltweit für höhere Wachstumsraten sorgte. Flagschiff dieses Modells war die hohe Kreditausweitung in den USA, die dort nicht nur eine Immobilienblase erzeugte - den Keim der jetzigen Finanzmarktkrise - sondern auch einen hohen Konsum. Im Ergebnis führte die Politik des billigen Geldes dazu, dass die US-Bürger wesentlich mehr Güter und Dienstleistungen verbrauchten als sie selber herstellten. Die USA machten damit in der Vergangenheit die Exportüberschüsse vieler anderer Länder möglich. Im Jahr 2007 belief sich dieser Effekt auf 731 Mrd. US-$. Davon profitierte insbesondere der Wettbewerbsfetischist Deutschland, der sich traditionell gerne selbst durch eine aggressive Niedriglohnpolitik quälte. Ähnliches gilt für China, das mit Deutschland einen Kampf um den Titel Exportweltmeister führt. Die Chinesen führten im Jahr 2006 im Wert von 22 Mrd. US-$ mehr Waren in die USA aus, als sie von dort einführten. Sollten die USA in Zukunft also nicht mehr über ihre Verhältnisse leben, können wir das Lied der Globalisierung rückwärts singen. Durch diesen internationalen Zusammenhang wird Deutschland, neben den Folgen einer Kreditklemme im eigenen Land, besonders hart getroffen. Schuld daran ist die „Reformpolitik“ der letzten Jahre, welche die entstandenen Wohlstandsgewinne gesellschaftlich extrem ungleich verteilte und so die Binnenwirtschaft ausbremste.

Deshalb gibt es kaum ein Argument, warum diese Krise nicht so schlimm wie 1929 werden sollte. Die Weltwirtschaft steht heute nicht auf mehreren Füßen. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Bricht das amerikanische Konsummodell zusammen, wird das exportorientierte chinesische Wirtschaftswunder auf Normalmaß gestutzt. Nach den aktuellen Wirtschaftsdaten befinden sich die EU und die USA bereits in einem Wettlauf in die Rezession. Die Frage ist nur noch ob es ein Marathonlauf wird. Dies bedeutet wiederum eine geringere Nachfrage nach Öl und anderen Rohstoffen. Damit werden auch die rohstoffexportierenden Länder wie Russland unter Druck gesetzt. Im Gegensatz zu der häufig geäußerten Entkopplungsthese macht dieses Szenario deutlich, dass zwischen Finanz- und Realsphäre ein sehr viel engeres Verhältnis besteht, als es von Vielen angenommen wurde. Und das verheißt in Anbetracht des Ausmaßes der Finanzkrise nichts Gutes. Aber uns bleiben am Ende auf jeden Fall die tröstlichen Worte des Papstes: "Wir sehen jetzt durch den Zusammenbruch der großen Banken, dass Geld einfach verschwindet wird, dass es nichts bedeutet, und dass alle Dinge, die uns so wichtig erscheinen, in Wirklichkeit zweitrangig sind." Allerdings kann man solche geistlichen Worte nur entspannt äußern, wenn man, so wie es das britische Wochenmagazin "The Tablet" Ende September vom Vatikan berichtet, vorher massiv in Gold investiert hat. Jeder ist sich eben selbst am nächsten. Auch der Papst. Amen.