Berlin / 2.2.2011: Seit Tagen läuft bei mir zuhause über Kabel-TV "Al Jazeera". Der arabische News-Sender aus dem künftigen Fußball-WM-Land Katar berichtet ununterbrochen über die Kairoer Demonstrationen gegen den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak und sein seit über 30 Jahre herrschendes Regime. Dabei werden die Al Jazeera-Reporter durch die staatliche Geheimpolizei Mubaraks in ihrer Arbeit behindert, wo es nur geht. Das Büro in Kairo wurde am 30. Januar zwangsweise geschlossen, einen Tag später wurden Mitarbeiter verhaftet und alle Kameras beschlagnahmt. So demonstriert das Regime nur seine Macht und seinen Anspruch, die Meinungsfreiheit im Land zu unterdrücken. Aber das gelingt ihm nicht!
Die mutigen Journalisten senden einfach weiter, per Twitter, Facebook, Fotouploads, Live-Stream über Handy und natürlich per Telefon. Die Bilder, die ins Wohnzimmer flimmern, sind beeindruckend! Verpixelte, unscharfe Bilder, aufgenommen von iPhones oder anderen Handys, zeigen deutlich mit welcher beispiellosen Macht sich die Bevölkerung des Pharaonenstaates gegen seine korrupten Herrscher auflehnt. Erinnerungen werden wach an die Leipziger Montagsdemonstrationen des Jahres 1989. Eine Gänsehaut nach der anderen läuft über meinen Rücken. Die modernen Medien liefern eine fantastische Möglichkeit eine gesellschaftlichen Umwälzung hautnah zu erleben. Revolution Live! Unglaublich.
Aber was wird aus dem Land am Nil? Bei meinen zahlreichen Reisen durch die Städte, Dörfer und Wüsten Ägyptens, habe ich vor allem einen Eindruck gewonnen: Die Menschen wollen Gerechtigkeit und Freiheit für alle! Mubarak ist für sie ein seit über 30 Jahren am Amt klebender Präsident, der nur für sein eigenes Bild in den Geschichtsbüchern. Das Wohl der Bevölkerung ist ihm egal. Forderungen nach freien Wahlen, zugelassener Opposition und freier Meinungsäußerung sind der Antrieb für die Menschen, sich immer wieder und zum Teil zu Millionen zu versammeln. Den Tahrir-Platz im Zentrum Kairos machen sie zu ihrem Forum und ihre Losung lautet: "Mubarak muss weg!"
Viele Beobachter im Westen fürchten das Wiedererstarken der "Moslembruderschaft", einer unter Mubarak radikal bekämpften islamistischen Organisation, die bereits in den 90er Jahren dem bewaffneten Kampf abgeschworen hat. Trotzdem war die Angst vor den Islamisten der Grund für den Westen, das Unterdrückungsregime von Mubarak massiv zu unterstützen. Demokratie und Menschenrechte spielten keine Rolle. Ägypten bekam von den USA weltweit nach Israel die größte Militärhilfe und hat einen gigantischen Sicherheitsapparat mit 1,5 Millionen bezahlten Spitzeln aufgebaut (www.globaldefence.net). Durch die Demokratiebewegung aus dem inneren des arabischen Staates ist die Doppelzüngigkeit des Westens auf peinliche Weise entblößt worden und hinterlässt einen strategischen und diplomatischen Scherbenhaufen. Es ist beschämend, dass die Bundesregierung trotz einer unbekannten Zahl von Toten und tausender verletzter Demonstranten nicht klipp und klar die sofortige Amtsübergabe von Mubarak gefordert hat.
Auch wenn die "Moslembruderschaft" durch die Schwächung der (noch) aktuellen Regierung eine Aufwertung erfahren könnte, ist eine Dominanz des Aufstands durch die Islamisten unwahrscheinlich. Die Ägypter sind sehr stark vom Tourismus abhängig. Millionen von ihnen arbeiten in Hotels, Restaurants und im Umfeld der sagenhaften Sehenswürdigkeiten und Museen. Ein islamischer Gottesstaat würde ihnen allen die Existenzgrundlage nehmen. Aber genau das ist es, wofür die Menschen auch auf die Straße gehen, sich selbst zu verwirklichen, zu sagen was sie wollen und zu wählen wen sie wollen. Es darf also stark bezweifelt werden, ob ein freies Ägypten sich tatsächlich in die Hände extremistischer Religionsfanatiker begeben würde.
Viel wahrscheinlicher ist hingegen die Bildung einer Übergangsregierung unter dem oppositionellen Friedensnobelpreisträger Mohammed el-Baradei. El-Baradei. Er ist ein international hochgeachteter Mann mit besten Kontakten zu den Handelspartnern Ägyptens. In der Bevölkerung dürfte er auch vor allem deswegen Unterstützung genießen, weil der US-Geheimdienst ihn jahrelang belauschen ließ und seine Kritik am US-Einmarsch im Irak sogar vor der UNO vorgetragen wurde. Die Unterstützung anderer arabischer Nationen dürfte ihm gewiss sein. El-Baradei ist zuzutrauen, dass er im Verbund mit der internationalen Gemeinschaft für eine Demokratisierung Ägyptens einstehen wird und gleichzeitig radikale Forderungen nach Errichtung eines Gottesstaates ablehnen wird. Allerdings ist es auch fraglich, ob sich El-Baradei aufgrund seines langen Auslandsaufenthalt kurzfristig und glaubwürdig an die Spitze der bestehenden Protestbewegung setzen kann. Der Kampf um die Macht hat in den Hinterzimmern bereits begonnen.
Momentan liegt die Macht noch auf der Straße und es ist noch nicht ausgemacht wie es weitergehen wird. Die organisierte Gewaltorgie durch Tausende Sicherheitskräfte in zivil und Anhänger Mubaraks hat gezeigt, dass auch das Unterdrückungsregime den Kampf noch nicht aufgegeben hat.
Es wird also mal wieder Geschichte geschrieben, diesmal in Ägypten. Vorher bereits in Tunesien. Womöglich bald in Jordanien? Vielleicht wird die Nennung der Jahreszahl 2011 einmal einen ähnlichen Klang bekommen wie die des Jahres 1989, das Jahr der politischen Umwälzungen in Europa und in der Sowjetunion.