1000_robota.jpg„Haider ist tot, und die Sonne scheint!“


Berlin / 14.11.2008: …”Noch fünfundzwanzig Tequila-Lemon und dann geh ich aber nach Hause…” Falls Dein 2008 bisher ebenso verlaufen ist, lehn Dich entspannt zurück und lies mal, was der neuerdings gern relaunch-alkoholisierte Punk-Onkel wider das Vergessen aufschreibt. Die Kolumne hat sich aus dem Print-Produkt WAHRSCHAUER auf die gleichnamige Net-Seite - nämlich hierher - verzogen. Nicht schlecht, denn in virtuellen Welten ist mehr Platz als auf dem geduldig genannten Papier. Und schon geht´s los:
 
1000 ROBOTA am 11. Oktober 2008 im Magnet (Berlin):
 
Um zwölf Uhr mittags ruft ein Freund an und sagt: „Haider ist tot, und die Sonne scheint!“ Ich bin erst vor kurzem aus meinem
Boheme-Dämmerschlaf erwacht und brauche eine Weile, ehe der Zusammenhang der Aussage klar wird. Telefon klingelt gleich wieder, WAHRSCHAUER-Headquarter am Apparat: abends Interview mit 1000 ROBOTA, neue und erste Scheibe sollte auch schon im Briefkasten liegen... Dem ist so, aber die meisten Songs kenne ich eh schon von Myspace, wo die Band – wie in modernen Zeiten üblich – öfter mal „was rein stellt“.

Fotograf Christoph und ich treffen uns vorm Magnet und gehen rein zum Interview. Christoph bekommt ein Bier und ich einen Saft. Das Interview befindet sich im kommenden WAHRSCHAUER Heft.
 
Zuerst treten KARAMEL auf. Der Mann, den wir im Backstage für den Manager von 1000 ROBOTA hielten, singt und spielt Gitarre. Christoph meint, der Manager könne er ja trotzdem sein, aber wir wissen es leider bis heute nicht. 1000 ROBOTA benutzen ausschließlich weißes Licht bei ihrem Gig, welches frontal ins Publikum leuchtet, dazu gibt es häufig Stroboskop-Geballer. Schon nach zwei Minuten fühle ich mich wie nach einer Stunde Wilde Maus fahren. Die etwas schnippische Art des Sängers gefällt. Interessant ist, wie er nicht nur Böses über die Band sagt, sondern auch Journalisten beschimpft. Wobei ich nicht sicher bin, ob er mich meint, Journalisten im Allgemeinen oder den, der vor kurzem ein paar Seiten in einer Fachpublikation über die Band füllte und dabei nur wenig über 1000 ROBOTA schrieb. Das könnte ich auch mal ausprobieren: statt 1000 ROBOTA zu besprechen wird über nervende Wespen auf Erdbeerkuchen referiert, ob Punk noch das ist was er/sie/es früher mal war, ob Männer im Sommer kurze Hosen tragen können und ob man es als Vegetarier lustig finden darf, dass ein Wildschwein im Berliner Wald einen Jäger um die Ecke bringt.
 
Schon in der Information der Plattenfirma lese ich, dass 1000 ROBOTA nicht immer froh über Journalisten sind. Es steht sogar ein Zitat von „deutschen Presse-Idioten“ drauf. Das erinnert an vergangene Zeiten, als (nicht nur) Punkbands häufig wetterten und provozierten und kein Blatt vor den Mund nahmen. Heute wollen immer alle nett sein und es sich mit niemandem verderben. Vorbei sind die Zeiten, als Nina Hagen oder die SEX PISTOLS im Fernsehen vormachten, wie Selbstbefriedigung geht oder niedliche „F“-Wörter sagen und damit TV-Karrieren ruinieren.
 
Das Wort „Journalist“ geht an mir eh vorbei - „Fanzine-Schreiber“ trifft es eher. „Journalist“ wäre eine maßlose, selbstverherrlichende Übertreibung, so wie wenn jemand Aquarell-Kurse an der Volkshochschule gibt und neben dem Namen an seiner Klingel steht „Künstler“.

Jetzt aber hurtig zurück zur Band: Der Gig im Magnet ist der dritte von der laufenden, ersten großen, über einen Monat dauernden Tour. Im Interview sprechen 1000 ROBOTA davon, dass sie keine Ahnung haben, ob die Tour erfolgreich wird - es könne sein, dass Gigs bei weitem nicht ausverkauft sind. Die derzeit stark vorhandene mediale Präsenz bedeute nicht automatisch Erfolg oder hohe Plattenverkäufe. Im Magnet denke ich zuerst „Keiner da“, bis ich herausfinde, dass es eine Outdoor-Lounge gibt, wo sich ungefähr die halbe Weltbevölkerung (rauchend) versammelt hat, die den Konzertsaal später füllt. Somit ist der Gig recht gut besucht.
 
Die Band brettert sich durch ihr Ouvre, welches derzeit aus einer EP namens „Hamburg brennt“ und dem gerade erschienenen Album „Du nicht er nicht sie nicht“ besteht. „Mein Regen“ gefällt sehr, „1 2 3 4 5 6 7“ mit Publikumsbeteiligung ebenso, aber insbesondere der Titeltrack der EP kommt sehr gut - sowie „Wir bauen eine neue Stadt“ von PALAIS SCHAUMBURG in zwei Versionen: regulär und Hip-Hop. Letzteres, weil Sänger Anton sagt, Berlin sei die Hauptstadt des Hip Hop. Ich dachte immer, Berlin sei die Hauptstadt des Techno, während mein Vis-a-vis-Punknachbar stets behauptet, Berlin sei die Hauptstadt des Punk.
 
So viel zum Thema „unterschiedliche Wahrnehmungen“. Die Konzertbesucher nehmen wahr, wie gut der Gig ist – anders lässt sich das Gekreische von vielen Mädchen auf der rechten und das Gepoge von einigen Jungs auf der linken Seite (umgekehrt wäre ab und zu auch lustig gewesen) nicht erklären. Im Interview erzählen 1000 ROBOTA, sie wüssten noch nicht, wohin es mit der Band wie auch mit ihrer Musik geht, und eine Folgeplatte könne ganz anders klingen. Anton hat auf jeden Fall das Zeug, im Lauf der Zeit zu einer punkigen Variante eines britischen...Bryan Ferry oder ein dandyhafter Mark E. Smith ganz ohne Falten zu werden. Ups, das klingt riskant und hoch gegriffen; es ist durchaus noch nicht alles perfekt bei der Band, aber ein großes Potential ist deutlich spürbar. Was Jonas, Sebastian und Anton derzeit nicht nur auf Platte, sondern auch auf der Bühne bringen, ist sympathisch, energiegeladen und musikalisch interessant.

Wer das nicht findet – behaupte ich mal etwas schnippisch – ist nur neidisch =;o)