"Wir haben noch Bier übrig...“
Berlin / 16.3.09 im SO36: Blöd ist, wenn man unpünktlich beim Gig eintrudelt. Gut ist, wenn die Band dann verspätet anfängt. So war es nicht schlimm, dass ich vor dem FRITTENBUDE-Konzert länger als erwartet bei neuen Freunden am Spreeufer saß. Bei diesen handelt es sich weder um gierige und skrupellose Finanzplayer noch um Protest-Besetzer, sondern um Enten. Die hatten in der Sylvesternacht zu 2009 einen bleibenden Eindruck hinterlassen, weil sie trotz des handelsüblichen Geballers um Mitternacht in aller Seelenruhe ihrem Nichtstun frönten, so als würden sie denken: „Wir haben den Bau dieser völlig hässlichen 02-Halle hier überlebt, die so wirkt, als sei sie aus dem Weltall zufällig auf einen sehr unpassenden Platz gefallen (Gäste unter Anderem: Eisbären, PUHDYS, METALLICA) – dann werden wir das bisschen Geknalle ebenfalls unbeschadet überstehen.“
Auf dem Weg ins SO36 bekam ich in der U1, der interessantesten U-Bahn-Linie der Welt, einen lustigen Dialog mit. Er: „Ich hab heute Abend ein Date, ich bin so aufgeregt und weiß nicht, wie ich mich verhalten soll.“ Sie: „Sei einfach Du selbst!“ So ein beknackter Ratschlag! Wenn sie wenigstens gesagt hätte: „Zieh was Rotes an!“ oder „Sag bloß nicht, dass Du Glanzbildchen mit Katzenmotiven sammelst und Filme von Till Schweiger magst!“ – DAS hätte ich verstanden. Aber einen dermaßen abstrakten Quark? Wie funktioniert denn „man selbst“ sein? Wen interessiert überhaupt, ob jemand „er selbst“ ist? Den drei Jungs von FRITTENBUDE und ihren Fans scheint so was egal zu sein, oder sie denken, „selbst sein“ funktioniert auch mit weißer Plastiksonnenbrille und ACCCIID-Rufen. Bei DEM nobelpreisverdächtigen (zumindest in Bezug auf Selbstbewusstsein) Bandnamen gehört zum „selbst sein“ zumindest viel Ironie, was sehr schön ist. Auch schön: das Wegbleiben von Acid-Smiley-T-Shirts sowie dem noch viel beknackteren „alternativen“ Modell, bei dem das Smiley einen Kopfschuss gekriegt hat. Ein Motiv, welches durch ist, wird nicht besser, indem es durch Umgestaltung des Bildes und der Aussage verändert bzw. ironisiert wird. Wenn Künstler zu sehr „sie selbst“ sind, wird es häufig grauenhaft: sogenannte „authentische“, gefühlsduselige (häufig Independent-)Texte von insbesondere deutschen Bands, die ignorieren oder nicht wissen, dass ein guter Text häufig etwas Kompliziertes in leicht verständlichen Worten ausdrückt.
FRITTENBUDE sind direkt und unverkopft, wie Texte und Attitüde beweisen. Ob es jetzt statt rote Rosen Acid regnet (in einer Cover-Version vom Lied der letzten Diva dieses Landes: Hildchen Knef) oder politische Befindlichkeiten aufs Korn genommen werden: textlich gibt es eins auf die Zwölf, und interessant ist die Kombination von Feiern und Politik. FRITTENBUDE sind bei aller Albernheit hier durchaus ernst zu nehmen. Sie haben zum Beispiel, zusammen mit ihrem Label Audiolith und anderen Bands, nach Europas größtem Naziaufmarsch im Februar 2009 die Chemiefabrik in Dresden gerockt und so einen für viele Beteiligten richtig schlimmen Tag wenigstens cool ausklingen lassen.
Die Art der Darbietung (Hip Hop, Elektro, Rap, House, Punk…) erinnert an DEICHKIND und der Sprechgesang etwas an MEDIENGRUPPE TELEKOMMANDER. Möglicherweise mögen die Bandmitglieder auch dreckigen französischen Elektro.
Das derzeit – wohl unter Anderem wegen „schwieriger Zeiten“ – angesagte (Ab)Feiern steht bei FRITTENBUDE im Vordergrund, und die Crowd im SO36 nahm dies sehr gerne an, was sich unter Anderem dadurch zeigte, dass viele Leute textsicher mitsangen und tanzten, wobei eine Frau auffiel, die sich bis auf ein rosafarbenes Etwas entkleidete. Ich wusste nicht, ob sie „mal ganz aus sich heraus gehen“ wollte oder ob sie einen ironischen Beitrag leisten wollte, so wie PJ HARVEY auf einem Open Air im pinkfarbenen Mini und giftgrüner Bluse (oder umgekehrt... das weiß ich aufgrund von Graswodka-Apfelsaft aber nicht mehr).
FRITTENBUDE selbst wirken ebenfalls ironisch - oder wie eine Reaktion auf Ironie. Früher waren eigentlich „nur“ PAVEMENT (was alle wussten) und die PET SHOP BOYS (da haben es anfangs nur wenige kapiert) ironisch. Da die ganze Welt inzwischen durchironisiert ist und selbst Nachrichtensprecher, Operationsärzte und Beichtväter ironisch sind, lässt sich dem Ganzen nur noch durch völlige Übertreibung oder aber durch Karikatur die Krone aufsetzen. Die drei Jungs von der FRITTENBUDE (Josef Utzenbacher, Rüdiger Streuner und Schranz Beckenhauer....haha...) ließen es gut krachen. Und Sympathie errang die Band mit Sicherheit auch durch die Tatsache, dass der Sänger nach ungefähr einer dreiviertel Stunde sagte: „Wir haben noch Bier übrig“, woraufhin diverse gekühlte grüne Fläschlein ins dankbare Publikum herunter gereicht wurden. Der Gitarrist trug ein lustiges T-Shirt, auf dem draufstand, welche Städte Dich hassen. Zum Beispiel: „L. A. hates you. New York hates you.“ Besonders gefiel mir „Seven Sisters hates you“, weil ich nicht wusste, ob damit die triste und hässliche Londoner Vorstadt oder aber der wunderschöne Ort am Meer gemeint ist. Zudem trugt der Gitarrist ein rotes Halstuch von der Sorte, welches auch von Leuten als sogenanntes „Signaltuch“ getragen wird. (Vielleicht verfolgte er auch andere Intentionen, ich weiß es nicht...)
Die erste Platte von FRITTENBUDE heißt „Nachtigall“ und ist kürzlich beim bereits erwähnten Hamburger Label Audiolith rausgekommen. Wenn du einen lustigen Feier-Abend (engl: „Leisure-Time“) verbringen willst, schnapp dir ein bis fünf Freunde und geh mit ihnen zum Konzert von FRITTENBUDE. Wenn du versuchst, du selbst zu sein, kriegst du aber kein Gratis-Bier!
TIPP:
Provo-Interview und toller FRITTEN -Track auf dem aktuellen WAHRSCHAUER Sampler Heft #57!
Berlin / 16.3.09 im SO36: Blöd ist, wenn man unpünktlich beim Gig eintrudelt. Gut ist, wenn die Band dann verspätet anfängt. So war es nicht schlimm, dass ich vor dem FRITTENBUDE-Konzert länger als erwartet bei neuen Freunden am Spreeufer saß. Bei diesen handelt es sich weder um gierige und skrupellose Finanzplayer noch um Protest-Besetzer, sondern um Enten. Die hatten in der Sylvesternacht zu 2009 einen bleibenden Eindruck hinterlassen, weil sie trotz des handelsüblichen Geballers um Mitternacht in aller Seelenruhe ihrem Nichtstun frönten, so als würden sie denken: „Wir haben den Bau dieser völlig hässlichen 02-Halle hier überlebt, die so wirkt, als sei sie aus dem Weltall zufällig auf einen sehr unpassenden Platz gefallen (Gäste unter Anderem: Eisbären, PUHDYS, METALLICA) – dann werden wir das bisschen Geknalle ebenfalls unbeschadet überstehen.“
Auf dem Weg ins SO36 bekam ich in der U1, der interessantesten U-Bahn-Linie der Welt, einen lustigen Dialog mit. Er: „Ich hab heute Abend ein Date, ich bin so aufgeregt und weiß nicht, wie ich mich verhalten soll.“ Sie: „Sei einfach Du selbst!“ So ein beknackter Ratschlag! Wenn sie wenigstens gesagt hätte: „Zieh was Rotes an!“ oder „Sag bloß nicht, dass Du Glanzbildchen mit Katzenmotiven sammelst und Filme von Till Schweiger magst!“ – DAS hätte ich verstanden. Aber einen dermaßen abstrakten Quark? Wie funktioniert denn „man selbst“ sein? Wen interessiert überhaupt, ob jemand „er selbst“ ist? Den drei Jungs von FRITTENBUDE und ihren Fans scheint so was egal zu sein, oder sie denken, „selbst sein“ funktioniert auch mit weißer Plastiksonnenbrille und ACCCIID-Rufen. Bei DEM nobelpreisverdächtigen (zumindest in Bezug auf Selbstbewusstsein) Bandnamen gehört zum „selbst sein“ zumindest viel Ironie, was sehr schön ist.
FRITTENBUDE sind direkt und unverkopft, wie Texte und Attitüde beweisen. Ob es jetzt statt rote Rosen Acid regnet (in einer Cover-Version vom Lied der letzten Diva dieses Landes: Hildchen Knef) oder politische Befindlichkeiten aufs Korn genommen werden: textlich gibt es eins auf die Zwölf, und interessant ist die Kombination von Feiern und Politik. FRITTENBUDE sind bei aller Albernheit hier durchaus ernst zu nehmen. Sie haben zum Beispiel, zusammen mit ihrem Label Audiolith und anderen Bands, nach Europas größtem Naziaufmarsch im Februar 2009 die Chemiefabrik in Dresden gerockt und so einen für viele Beteiligten richtig schlimmen Tag wenigstens cool ausklingen lassen.
Die Art der Darbietung (Hip Hop, Elektro, Rap, House, Punk…) erinnert an DEICHKIND und der Sprechgesang etwas an MEDIENGRUPPE TELEKOMMANDER. Möglicherweise mögen die Bandmitglieder auch dreckigen französischen Elektro.
Das derzeit – wohl unter Anderem wegen „schwieriger Zeiten“ – angesagte (Ab)Feiern steht bei FRITTENBUDE im Vordergrund, und die Crowd im SO36 nahm dies sehr gerne an, was sich unter Anderem dadurch zeigte, dass viele Leute textsicher mitsangen und tanzten, wobei eine Frau auffiel, die sich bis auf ein rosafarbenes Etwas entkleidete. Ich wusste nicht, ob sie „mal ganz aus sich heraus gehen“ wollte oder ob sie einen ironischen Beitrag leisten wollte, so wie PJ HARVEY auf einem Open Air im pinkfarbenen Mini und giftgrüner Bluse (oder umgekehrt... das weiß ich aufgrund von Graswodka-Apfelsaft aber nicht mehr).
FRITTENBUDE selbst wirken ebenfalls ironisch - oder wie eine Reaktion auf Ironie. Früher waren eigentlich „nur“ PAVEMENT (was alle wussten) und die PET SHOP BOYS (da haben es anfangs nur wenige kapiert) ironisch. Da die ganze Welt inzwischen durchironisiert ist und selbst Nachrichtensprecher, Operationsärzte und Beichtväter ironisch sind, lässt sich dem Ganzen nur noch durch völlige Übertreibung oder aber durch Karikatur die Krone aufsetzen.
Die erste Platte von FRITTENBUDE heißt „Nachtigall“ und ist kürzlich beim bereits erwähnten Hamburger Label Audiolith rausgekommen. Wenn du einen lustigen Feier-Abend (engl: „Leisure-Time“) verbringen willst, schnapp dir ein bis fünf Freunde und geh mit ihnen zum Konzert von FRITTENBUDE.
Provo-Interview und toller FRITTEN -Track auf dem aktuellen WAHRSCHAUER Sampler Heft #57!