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Die Donnerstraße herunter!


Berlin/14.12.2009 im Magnet: Das Ende war versöhnlich: gemeinsam mit seiner Backingband, dem fidelen finnischen Vorgruppenduo JAAKKO & JAY und dem gefühlt gesamten Publikum des Magnet schmetterte FRANK TURNER seinen vielleicht größten Hit ‚Photosynthesis’ der ganzen Welt entgegen: „I won’t sit down, I won’t shut up / and most of all I will not grow up!“ Da war er dann plötzlich wieder, dieser zeitlose, unwiderstehliche Punk-Gestus, der Herz und Gehirn gleichermaßen erfasst und einen aus dem Club zurück in die Welt wirft - mit erhobenem Haupt und geballter Faust. Doch genau diese Stimmung, dieses Gefühl von energischer Scheiß-Drauf-Romantik war es, was dem Konzert über weite Strecken sichtbar fehlte und zumindest beim Rezensenten für eine eigentümliche Art von, ja, Melancholie sorgte. Moment: Melancholie bei einem Rockkonzert?
 
Doch spulen wir zurück auf Start. Der Magnet war bereits rappelvoll, als die Finnen JAAKKO & JAY die Bühne enterten - und ja, ich meine wirklich: ‚enterten’. Denn JAAKKO & JAY sahen mit ihren wilden Haaren, Dreitagebart und irrem Wir-machen-keine-Gefangenen-Blick nicht nur nach Punk-Piraten aus, sie gebärdeten sich auch so. Mitreißend wie ein ganzer Seemannschor schepperten sie ihre schmissigen Zweiminüter wie Kanonenkugeln vom Deck. Begleitet nur von einer Akustikgitarre und einem Schlagzeug, die von den beiden Halunken jeweils mit einem Affenzahn, dabei aber durchaus virtuos bearbeitet wurden. Dazu kam doppeltes Gebrüll, wobei JAY es vorzog, die Texte am Mikrophon vorbei direkt in die Menge zu schreien. Der wilde Wahnsinn zeigte schnell Wirkung: schon ab dem zweiten Song konnte die Menge zum Mitgrölen animiert werden und ab der vierten Nummer gab es bereits zaghafte Tanzversuche seitens der angereisten Indie-Crowd. Weniger unterbrochen, denn eher durchzogen wurde die gesamte Performance der beiden Irrwische durch ständige Zwiegespräche zwischen den beiden, die sich über Gott, die Welt und den Kapitalismus ausließen und immer wieder das Berliner Publikum zum Tanzen aufforderten. Offensichtlich beweglicheres Publikum gewöhnt, hätte ich ihnen gerne aus ihrer Verstörung geholfen und ihnen zugerufen: ‚Ihr seid eine unbekannte Band, spielt im Magnet - und fünf Menschen tanzen! Mehr kann man im Leben nicht erreichen!’ Anscheinend hat es ihnen aber dann doch gefallen, denn sie strahlten die ganze Zeit über die verschwitzten Gesichter, gaben eine spontane Reggae-Einlage und ließen sich sogar zu einer Zugabe hinreißen: „This song sounds just like all the others!“ Ein in seiner Ehrlichkeit entwaffnender Auftritt, Punk-Piraten-Style. 



Man hätte sich denn auch fast ein wenig gewünscht, sie würden weiterspielen, als der Star des Abends, FRANK TURNER mit seiner Band auf die Bühne kam. Zwar wurde dieser frenetisch abgefeiert, doch nahmen er und seine Band mit ihrem sehr glatten Sound und einem bis auf den letzten Ton perfekt eingespielten Set dem Abend vom ersten Song an viel der piratigen Energie, welche JAKKO & JAY so großzügig in dem Raum verteilt hatten. Wo Punk war, macht sich nun gut abgehangener und etwas gefälliger Pub-Rock breit. Dies ist ja grundsätzlich nichts Schlimmes - doch genau an diesem Punkt setzte die Eingangs erwähnte Melancholie ein. Denn wo TURNER nur zwei Monate vorher im 'Ramones Museum' noch als Punk-Poet mit einem ungehobelten und intensiven Solo-Set reüssiert hatte, kam er nun im Gewand des gereiften, Mainstream-tauglichen Rockers daher: FRANK TURNER gab die BRUCE-SPRINGSTEEN-Werdung des Ex-Punks. Es war beinahe so, als hätten sich die wenigen Kilometer zwischen dem Ramones Museum und dem Magnet retrospektiv als die entscheidende Wegstrecke zwischen dem intensiven, verschwitzten Erleben des Punk und der zurückgelehnten, großgestigen Ernsthaftigkeit des Rock entpuppt. Anders ausgedrückt: die Straße, die FRANK TURNER an diesem Abend in den Magnet gebracht hat, muss den Namen 'Thunder Road' getragen haben.

 
 

Und damit wird auch schon die ganze Ambivalenz der SPRINGSTEEN-Werdung des F.T. offenbar. Denn TURNER fällt das Reisen auf der Donnerstraße erstaunlich leicht. Sein Set ist durchsetzt mit Hits, die es ihm durchaus erlauben, Sätze wie "I wanna see you clap your hands!" rauszuhauen, ohne dass es peinlich wirkt; seine Texte bewegen und sein Lächeln verrät doch ausreichend Ironie, sein Hemd ist hemdsärmelig, seine Haltung authentisch, er hat das Zeug zur großen, umarmenden und hoffnungsspendenden Geste - kurz: man konnte an diesem Abend einem Musiker dabei zusehen, wie er sich zu etwas Größerem häutet. Das schnöselige Berliner Publikum ließ sich denn auch dankbar mitnehmen. Wie sollte es auch nicht, bei derart großen Songs wie 'Long Live The Queen', TURNERS Song über eine sterbende Freundin, der mit einem bittersüßen Refrain aufwartet, wie es ihn selten gibt: "You live to dance another day / It's just now you'll have to dance for the two of us".

Und so entpuppt sich die Melancholie über die gefühlte SPRINGSTEEN-Werdung des Punks am Ende als zweischneidiges Urteil: wo die rohe, ungezügelte Wildheit des punkigen Solo-Vortrags einer musikalisch eher gesetzten Mitklatschromantik weicht, lebt eben auch das große, alte Liebesversprechen des Rock nach kollektiv ausgelebter Katharsis in Großformat, Technicolor und 3-D. Das Versprechen, dass dieses Scheißleben doch erträglich sein könnte, wenn man nur genug Menschen findet, die mit einem zusammen möglichst laute Musik hören und die Refrains möglichst laut herausschreien, als wären es Erlösungszauber. Und wer, wenn nicht der 'Boss' hat diesem Ritual seine gültige Form gegeben?
 
Und wie, als wollte er diesem letzten Gedanken Hommage zollen, besingt FRANK TURNER in seinem vorletzten Song 'The Road' seine eigene Version der Donnerstraße - und alle singen mit: "To the North, to the North / Never to be caught!" Da ist es wieder, das pöbelige, rauhe Liebesversprechen. Und immer dann, wenn sich diese alte Punk-Attitüde in das neue Pub-Rock-Format schleicht, mag man glauben, dass die SPRINGSTEEN-Werdung am Ende doch noch gut ausgeht - dass Rohheit und Fuck-You-Attitüde auch in einem gefälligeren musikalischen Korsett gedeihen können. Wir werden sehen: am Ende der Donnerstraße.