GUTS PIE EARSHOT treten am 11. Dezember 2009 im hoffentlich bald existenzgesicherten SO36 auf und haben zu ihrem „End of Season“ Special Gäste eingeladen. Neben einem Cello-Punk-Straßenmusikanten treten NASTIA & DIE ORLOVES auf, während GUTS PIE EARSHOT teilweise von Ex-Sängerin
Anneka begleitet werden. Ich kannte GUTS PIE EARSHOT bis jetzt „nur“ in der Besetzung mit Jean am Schlagzeug und Patrick am Cello. Die Songs mit Anneka haben ein ganz anderes Temperament. Ist es bei den neuen Liedern von GUTS PIE EARSHOT so, dass sich dazu pogen, gedanklich oder gefühlsmäßig abdriften (häufig in Kombination) lässt, geht es bei den Anneka-Tracks wild und etwas kopflastiger zu: es wird geshoutet und die Songs haben eine größere… nein: ANDERE Kraft. Die Instrumental-Stücke bringen dafür die Gefühle zum rattern, wanken, chillen und jubeln.
Ein Gast namens Kostas spricht ein Poem zur Musik von GUTS PIE EARSHOT. Jean erzählt, Kostas hat ein Stück von GPE gesungen und auf Myspace hochgeladen. GPE waren von seinen eigenen Sachen begeistert und fragten, ob er etwas davon mit ihnen auf dem Gig vorstellen will. Beim Soundcheck ergab es sich, dass es gut passte, wenn Anneka den Refrain singt.
Bei den Instrumental-Stücken (Geige und Drums) laufen mit geschlossenen Augen (mit „zu-en“ Augen, wie ein Freund von mir sagte) diverse Filme ab. Es gibt keine „Vorgabe“, außer den Titeln und kurzen Bemerkungen durch Jean.
In einem kleinen Interview fragte ich bei ihm nach, was es mit „If I“ auf sich hat. Jean erklärt: „Es ist gerade eine Atmosphäre der Kriminalisierung der gesamten Linken zu erkennen, die Rechten versuchen auf der Welle weiter zu reiten, beflügelt durch die FDPisierung durchzumarschieren und "reinen Tisch" zu machen. Die letzten Kieze sollen von der angeblichen "Dominanz der Linken" (das wäre doch mal schön) bereinigt werden, und dabei ist ihnen jedes Mittel recht. Abgebrannte Autos, Sprühereien, Hausbesetzung, sich gegen Nazis wehren... alles wird in einen Topf zu einer angeblichen "roten Gefahr" verrührt... da liegt der Versuch nahe, aus Opfern Täter zu machen, den ‚kleinen Mann’ an die kapitalistische Brust der Spekulanten zu nehmen... und Ängste zu schüren.
"If I" handelt von dem Hadern mit sich selbst aufzustehen oder nicht, Widerstand zu leisten oder nicht, der Angst und dem Frust und der Hoffnung und der Kraft/Energie die es einem geben kann, die inneren Widerstände und die Depression zu überwinden. Loszulaufen, sich zu trauen, Position zu beziehen... sich trotz aller Angst Mut machen...“
Hohe Messlatte
KNOCHENFABRIK spielen im Kato? Wie geil ist das denn? Mit ihren ganz wenigen Outputs (um genau zu sein gibt es zwei reguläre, ganz großartige Alben der Band: „Ameisenstaat“ und „Cooler Parkplatz“) haben sie die Messlatte für deutschsprachigen Punk unendlich hoch gelegt. Bis jetzt ist aus meiner Sicht niemand auch nur annähernd da rangekommen. Kurzweilig switchen die Texte von Claus zwischen Blödsinn, spontanen lustigen Reimen, Menschen-Beobachtung und Ernsthaftigkeit.
Im Kato (24. Oktober 2009) ist die Stimmung hervorragend, nicht zuletzt aufgrund des sehr guten Supports von RASTAKNAST. Kein Knofa-Wunsch bleibt offen - alle Hits kommen dran: „Obdachlos und trotzdem sexy“, „Ich hör dir nicht zu“, „Der nackte Golfer“, „Kleingeld“ - und selbstverständlich kommt am Schluss „Filmriss“. Aber nicht zweiunddreißig Mal (wie bei einem anderen Gig, von dem Claus im CHEFDENKER-Interview erzählte), sondern lediglich ein einziges Mal, was mich für einen kurzen Moment traurig stimmt. Sehr lustig ist die Idee, dass KNOCHENFABRIK sich Sylvester kurz vor zwölf auflösen und Neujahr kurz nach Mitternacht ein Reunion-Konzert spielen werden…Was früher das Metier von alternden Hollywood-Sternchen war (so genannte „Comebacks“ in immer kürzer werdenden Abständen) hat sich inzwischen seltsamerweise auch im Rock- und Krawallmusik-Bereich durchgesetzt, und KNOCHENFABRIK reagieren smart und lustig darauf.
Peinlicher als ein Sexkinobesuch
„Ist respektloser Umgang mit der eigenen Geschichte, das mehrmalige Zerstören des Bühnenbildes und das Vortragen von Bastard-Songs sowie willkürliches Aufhören in der Mitte von Liedern auch dann punkig, wenn die PET SHOP BOYS das tun?“
„Wie – warst du etwa in der schrecklichen Halle, über die du so oft schimpfst?“
„Ich hab mich reingeschlichen, so wie manche Leute in ein Sexkino gehen. So einen Ort würde ich im Fall des Falles nicht anders betreten als einen Bioladen oder eine Punk-Location, aber das mit der hässlichen Mehrzweckhalle war mir schon ein bisschen peinlich. Dennoch gewann die Aussicht Oberhand, zu Fuß zur fast-seit-fünfundzwanzig-Jahren-Lieblingsband zu gehen… Nun ja: die Halle ist so ungemütlich wie eine Shopping-Mall, und die Zweckmäßigkeit erschlägt einen auf Schritt und Tritt. Das Konzert allerdings war mehr als phantastisch: krass bunte Licht- und LED-Effekte, die neben vergnüglicher Popkultur auch Klugheit und ein bisschen Intellekt und Beobachtungen der Welt vermittelten. Ergänzt durch zusammenkrachende Wände, Tänzer, die modernen Ausdruckstanz mit Sachen umschmeißen und Menschen umherwerfen verbanden. Sänger Neil Tennant als einsamer Regent mit goldener Krone im spartanischen Derek-Jarman-Lookalike-Schwarz-Weiß-Film vom Boden bis unter die Hallendecke, kaputtgemachte Hits, politische Comments (mittlerweile offensichtlich und nicht nur zwischen den Zeilen), ein etwas ironisches COLDPLAY-Cover – und neben den Überwältigungsanteilen der Show gab es ruhige Momente, wie ein Liebeslied im Smoking bei Putzbeleuchtung, sowie die mit „Love etc.“ am schönsten anzuschauende und anzuhörende Kapitalismuskritik des Jahres. Unfassbar, ich krieg die Klappe nicht mehr zu.“
„Das ist die Hauptsache“.
Als Vorband traten übrigens BAD LIEUTENANT auf, das neue Projekt von NEW ORDER-Frontman Bernhard Sumner. Neben den neuen Liedern gab es ein paar NEW ORDER-Songs, wobei sympathischerweise eher heimliche Hits geboten wurden, ein Cover von CHEMICAL BROTHERS (ganz schön gewagt, fügte sich aber gut ein) und am Schluss sogar was von JOY DIVISON: „Love will tear us apart“. Ein weniger abgenudelter Song wäre noch toller gekommen.
Chicken ist eine Rampensau!
STRIKE ANYWHERE sind Headliner beim Konzert im Magnet am 20. Dezember 2009, aber hier geht es um die Supportband DEAD TO ME, die vor einer Weile ihr zweites – und mit Abstand bestes – Album rausgebracht haben: „African Elephants“ - mein Punk-Lieblingsalbum 2009.
Im Magnet ist es gut gefüllt bis sehr voll. Wir kriegen trotzdem noch einen Platz eher vorne, weil kurz mal ein Menschenloch auf der rechten Seite ist. Der erste Eindruck: sehr professionell. Das erste Lied stammt von der „Little Brother“ EP, und die Befürchtung, DEAD TO ME hätten was von ihrer Energie eingebüßt, weil sie zum Trio geschrumpft sind, ist schnell weg. Ein Freund sagt, die Show wirkt „wie vorm Spiegel eingeübt“. Das empfinde ich nicht so, allerdings ist anzumerken, dass Sänger Chicken eine Bilderbuch-Rampensau ist. Er weiß sich sehr gut zu inszenieren und kann spannend, schnell und interessant erzählen. Zu fast jedem Song hat er eine Geschichte parat: Bemerkungen zu Politik, US and A, Migration, Diskriminierung, wie schwachsinnig die Ideen von Grenzen, Nationen und sogenannten Rassen sind (nützen nur Leuten, die an Reichtum und Macht interessiert sind etc.) aber er erzählt auch kleine private Stories: wie toll die Bandmitglieder es finden, gerade um die Welt zu gondeln und überall die Punk-Szene interessanter Städte kennenzulernen. Er berichtet von der Tour im Süden der Staaten. Wir haben nicht ganz verstanden, ob er jetzt eingeknastet wurde, WEIL sie sich mit STRIKE ANYWHERE geküsst haben oder ob es der Fall gewesen wäre, HÄTTEN sie das getan.
Mir gefielen die Songs vom neuen Album am besten, allen voran „X“, „Liebe Liese“ und natürlich „A day without a war“. Nach energetischen 45 Minuten war der Auftritt leider vorbei.
Dieses Jahr wollen sie wieder nach Europa kommen…
Schräge Klänge verlassen die Erde
„Die Entstehung der Nacht“ lautet der schöne Name vom letzten DIE GOLDENEN ZITRONEN-Album, welches eine interessante Mischung aus Folk, Pop, Punk und Krautrock bietet. Punk ist nach wie vor die Haltung, der Ton bleibt politisch und zum Nachdenken anregend.
Das Konzert beginnt ganz ruhig (Schorsch Kamerun: „Wir sind die Goldies aus Hamburg“) und setzt sich fort in einem The Best of schrägen Klängen. Es gibt „nur“ Tracks der letzten (ich glaube vier) Alben – ganz alte Songs waren eh selten auf Goldies-Gigs, aber diesmal fehlen sogar „Meine kleine Welt“ und „030“. Das älteste Lied, an das ich mich erinnern kann vom Gig im pickepackevollen Festsaal Kreuzberg ist „80 Millionen Hooligans“.
Ein Streitgespräch zwischen Schorsch und Ted ist spannend und führt zu einem weiteren Streitgespräch zwischen meinem Freund und mir: ist das Geschehen auf der Bühne echt oder fingiert? Ich finde, Ted und Schorsch sind super Darsteller, während mein Freund sagt, der Streit wirkt echt. Wir wissen die Antwort nicht, was schön ist, weil die Spannung erhalten bleibt.
Gegen Schluss kommt das Lied vom neuen Album, das mir am besten gefällt: „Wir verlassen die Erde.“ So weit möchte ich nicht gehen, gerade verlasse ich aufgrund minus 17 Grad nicht mal das Haus, aufgrund 7.800 Zeichen jedoch diesen hoffentlich kurzweiligen Buchstaben-Salat.
TIPPS:
GUTS PIE EARSHOT mit Interview & Special Track auf WAHRSCHAUER Sampler. DIE GOLDENEN ZITRONEN-Shortcut in aktueller Ausgabe. DEAD TO ME Interview geplant für nächste Ausgabe #59.