„Wären wir KINGS OF LEON, hätten wir den Gig definitiv abgesagt“
31.05.2012 im Backstage (Halle) München. Auf in die zweite Runde: Meine Entdeckungstour im wohlhabenden München führte mich dieses Mal in einen weiteren beliebten Club der Stadt: Das Backstage am
Hirschgarten ist ein Ballungsraum mehrerer Locations, in denen regelmäßig die Kuh fliegt. Heute Nacht kehrte das gemischtgeschlechtliche Duo BLOOD RED SHOES im größten der Veranstaltungsräume mit dem erfrischenden Namen „Halle“ ein. Die Briten machten sich in Deutschland vor allem durch ihr Zweitwerk „Fire Like This“ einen Namen. Sowohl Drummer Steven Ansell, der für seine energetische Spielweise gefeiert wird, als auch die schüchtern wirkende Gitarristin Laura-Mary Carter bedienen die Vocals und verpassen den straighten Songs durch die Zweistimmigkeit den einzigartigen Kick. Der Gig in München stellte den Abschluss ihres Deutschlandbesuches für das neue Album „In Time To Voices“ dar.
Bereits zum zweiten Mal nahmen BLOOD RED SHOES den stilistisch hervorragend passenden Support WALLACE VANBORN mit auf Achse durch Europa. Die Belgier ließen in im März ihr zweites Studioalbum „Lions, Liars, Guns & God“ buchstäblich wie hungrige Raubkatzen von den Ketten. Jene unbändige Power dieses Release wird auch unseren Breitengraden keinen Halt machen und funktioniert aus der Dose wie auf der Bühne beeindruckend gut. Bereits mit dem Eröffnungsstück „Lions Manual“ polterte das bärtige Trio um Ian Clement drauf los und fing das Publikum augenblicklich ein. Zuerst musste ich wegen der leicht vertrackten Drums und wuchtigen Gitarren zu sehr an MASTODON denken – doch bereits beim Refrain, in dem Ian seine rauchige Stimme in wildes Kastratenkreischen wandelte, verflog dieser Gedanke. Die Band verpackt ihre starken Stoner-Rock-Einflüsse in abwechslungsreiche Arrangements, die sie unter dem heißen Scheinwerferlicht regelrecht zelebrierten. Ihr Schweiß und Speichel bildeten im gleißenden Weiß der Strobos für Sekundenbruchteile effektvolle Formationen, wenn sie ihr wolliges Haar gen Decke schleuderten. Den Titel „Cougars“ erklärte Ian kurz und bündig mit einem überlegenen Grinsen: „Der Song handelt vom Sex mit reifen Frauen“. Er verwies auf das dazugehörige Video, welches einige Überraschungen zu bieten habe. Der Titel fiel beim Gig etwas aus der Rolle, da er durch seinen fröhlichen Offbeat und die Chor-Shouts fast partytauglich war. Einen Vorteil hatte das jedoch: Nun hatten sie auch die letzten trägen Säcke aus der Reserve gelockt und den Rest des Auftritts ging auch bei atmosphärischen Nummern die Post ab. Da Bassisten grundsätzlich vernachlässigt werden und sich demzufolge auch so fühlen, muss an dieser Stelle ein explizites Lob an Dries erfolgen, der mit seinen saftigen Riffs ordentlich Bums auf die Bretter brachte. Nach dem letzten Stück bestand das Shirt von Drummer Sylvester mehr aus Schweiß denn aus Baumwolle. Seine Verausgabung hat sich gelohnt: Die durchweg überraschende, unterhaltsame Performance von WALLACE VANBORN fuhr allen Zuschauern ins Gebein, entsprechend üppigen Jubel ernteten sie verdientermaßen.
Nach erstaunlich kurzem Umbau schwebten BLOOD RED SHOES über den Köpfen der Anwesenden über den Catwalk hin zur Bühne und platzierten sich im liebevoll mit Retro-Kommodenlämpchen und rauschendem Flimmerkasten gestalteten Bühnenbild. Da fühlte man sich gleich zu Hause. Sie legten dann direkt mit „Don´t Ask“ los – die Paradenummer catchte alle sofort. Kurz darauf musste Steven gestehen, dass sie den Gig beinahe abgesagt hätten, da es Laura-Mary ziemlich mies ginge. Doch sie hätte sich dazu durchgerungen, die letzten drei Gigs der Tour dennoch durchzuziehen. Ihre Hingabe wurde während des gesamten Konzerts von den Fans durch Applaus und Dankesrufe geehrt und gewürdigt, was ihr sichtlich schmeichelte. Prompt versteckte sie ihr zartes Katzengesicht wieder hinter ihren schwarzen Strähnen. „Wären wir KINGS OF LEON, hätten wir den Gig definitiv abgesagt“, fügte Steven scherzhaft hinzu und lockerte die Stimmung wieder etwas auf. In den nächsten 90 Minuten packten BLOOD RED SHOES eine wuchtige Nummer nach der anderen aus, aber auch gediegene Lieder wie „Sulphites“ oder das Titelstück der neuen Scheibe zockten sie. Insgesamt war die Mischung aus den drei Releases sehr gut gewählt. Doch trotz dessen, dass auch „In Time To Voices“ einige bühnentaugliche Stücke wie „Cold“ oder „Lost Kids“ enthält, war deutlich zu spüren, dass die Tracks vom Vorgängeralbum beim Publikum besser ankamen. Vor allem bei „Light It Up“ war die Stimmgewalt der rasenden Fans gegenüber der Musik enorm, was Steven auch überwältigt anmerkte. Seine anschließende Behauptung, die Deutschen Fans seien stets die krassesten, kaufte ich ihm jedoch nicht ab – das Kratzen an der Nase verriet ihn.
Nach dem letzten Song verblieb die Masse in frenetischem Taumel und lockte wenig später den Schlagzeuger zurück auf die Bühne. Er bat um etwas mehr Zeit für Laura-Mary und wünschte sich in der Zwischenzeit frech schnackend ein paar Shots. „Vodka, Jägermeister – ich nehm´ alles“, sprach er und sein Wille geschah kaum eine Minute später. Mit einem Kurzen im Kreislauf zockten sie schließlich als erste Zugabe den atmosphärischen Titel „Colours Fade“, nur um anschließend den brachialen Brocken „Je Me Perds“ vom neuen Longplayer durchzuprügeln. In diesen eineinhalb Minuten rotzigen Punkrocks gaben alle ihr Letztes. Grandios. Vor den Hallen widmete sich Steven zum Abschluss des Abends sogar noch ein paar Groupies und ließ sich auf den ein oder anderen Small-Talk ein. Respekt für so viel Energie und Durchhaltevermögen am Ende einer strapaziösen Tour.