File under: Schwer zu sagen
Ingrid Caven: "Ich schreibe meine Texte selbst."
Peter Kern: "Aber das macht doch nichts."
Dieser wunderbare Dialog aus einem 70er-Jahre-Fassbinder Film, der ironisch das damalige meist vor"herr"schende Bild der Frau in Deutschland beschreibt, fiel mir wieder ein, als ich die neue Platte "Integrier mich, Baby" von Bernadette la Hengst zum ersten Mal hörte. Emanzipatorisches Gedankengut ist in ihren Werken häufiger zu hören, was erst Mal etwas oldschool wirkt, aber es wird den Zuhörerinnen und Zuhörern nicht direkt auf die Nase gerieben, sondern
findet fast schon nebenbei - so wie als Selbstverständnis - statt, was modern und schön ist.Bernadette la Hengst hat so Einges in der Vita zu stehen: sie war bei der Band DIE BRAUT HAUT INS AUGE dabei und sang und komponierte, sie arbeitete mit den MOBYLETTES und mit HUAH! (bestimmt erinnern sich noch einige an deren Album mit dem schönen Namen "Scheiß Kapitalismus"). Öfter mal ist zu hören oder zu lesen, dass Bernadette zur so genannten (würge ich es ruhig mal heraus) "Hamburger Schule" gehört. Aber so richtig schlimm ist das nicht, zumal dort ziemlich grandiose Bands die Schulbank gedrückt haben - und auch nicht so richtig klar ist was das eigentlich sein soll: vielleicht gibt es diese gar nicht "in echt" - so wie Marsmenschen, Jesus oder Eskimos.
Doch kommen wir zum neuen Album von Bernadette la Hengst: "Integrier mich, Baby". Elektrosoul trifft auf fluffige Reggae-Klänge, Schlagermusik auf Latino-Rhythmen, getragen von Indie-Pop und Bernadettes markanter Stimme. Die Musikerin schafft es persönlich zu sein in ihren Texten, politisches schimmert immer durch und lässt sich auch vordergründig, aber niemals als DIE Botschaft oder als treibende Kraft in der Mitte wahrnehmen. Die Ohren wollten die ganze Zeit gespitzt sein, egal ob es um Grundeinkommen Liebe (im Duett mit Rocko Schamoni), weibliches Rollenverhalten, Fernweh & ein "Zuhause"-Gefühl, sexuelle Revolution oder das interne Gefühlskarussell geht.
Neben Rocko sind einige ander Gäste an Bord, zum Beispiel ein AERONAUT sowie Peta Devlin (Ex-DIE BRAUT HAUT INS AUGE) welche Bernadette la Hengst bei der Eigen-Produktion unter die Arme griffen. Knarf Rellöm und die Rolling Role Models (Chor) sind ebenfalls dabei.
Teilweise sind die Lieder bei diversen Projekten entstanden wie z. B. bei einem Hamburger Theater mit Migrationsjugendlichen sowie einem Schauspiel-Projekt in Freiburg mit Obdachlosen. Das Theater ist schon lange eine Leidenschaft von Bernadette la Hengst, und die nächste Produktion mit ihr ist auch schon in Arbeit. Nur ganz selten wird es zu schlagerhaft, weil einige Songs doch arg "nett" klingen und auch so produziert sind. Das wird durch die stets interessanten Texte dann aber wieder rausgerissen.
Das Plattencover ist absolut großartig und hier leuchtet mehr als dass sie schimmert: die feministische Ader von Bernadette la Hengst. Zudem sind die Farben so bunt wie die Musik auf dem Album.
...File under...? Schwer zu sagen. Funktioniert so nicht. Und das ist eine Stärke der Platte.
TIPP: Interview geplant für die nächste WAHRSCHAUER-Ausgabe #62!