Woanders ist Kidnappen ein Volkssport!
Berlin / 30.4.2009: „Ich kann mir vorstellen, dass in zwei bis drei Monaten die Wut der Menschen deutlich wachsen könnte. (..) Wenn sich dann kein Hoffnungsschimmer auftut, dass sich die Lage verbessert, kann die Stimmung explosiv werden“, so Gesine Schwan kürzlich zum Münchner Merkur. Auch der Oberfunktionär der Gewerkschaften, DGB Chef Sommer, sprach von möglichen sozialen Unruhen.
Bereits Mitte März geisterte diese Angst durch die internen Diskussionen der Brüsseler EU-Beamtenaristokratie. Aber bitte nicht zu laut darüber reden, sonst könnte das gemeine Volk verunsichert werden. Oder noch schlimmer: auf dumme Gedanken kommen! Deshalb werden diese Äußerungen vom CSU-Generalsekretär Dobrindt als „unverantwortlich“ und „saudummes Dahergerede“ bezeichnet. Während in Frankreich einfach mal ’ne handfeste Aktion gemacht wird und sich das Kidnappen von Managern zum betrieblichen Volkssport mit hohen Sympathiewerten in der Bevölkerung entwickelt, ist es in Deutschland das Höchste der emotionalen Erregung, einmal über soziale Unruhe Kakophonie reden zu lassen. In Frankreich würde niemand auf die Idee kommen, einen sozialen Protest als undemokratisch zu bezeichnen. Unser präsidiale Bundeshotte jedoch äußert sich zusammenhangslos in dieser Richtung: "Ich bin zutiefst überzeugt davon: Die Deutschen sind nicht nur dann Demokraten, wenn's mehr zu verteilen gibt, sondern sie haben dieses Wertekonzept der Demokratie aufgenommen und werden dann auch mit dieser Krise entsprechend fertig werden." Nach der Wahrnehmung solcher Sätze muss man sich aus hygienischen Gründen erst mal die geistige Festplatte säubern.
Außerdem: was sind überhaupt soziale Unruhen? Protest- oder Widerstandshandlungen von Menschen aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Hinter solchen Aktionen kann auch mal der Wille der Mehrheit stecken, wie zum Beispiel beim Sturm auf die Bastille 1789, die als Geburtsstunde der französischen Revolution und damit der modernen bürgerlichen Demokratie in Europa angesehen wird. Sie begann als Hungeraufstand der französischen Bürger gegen die exorbitant gestiegenen Brotpreise. Aber damit sind wir wieder in Frankreich gelandet – einer anderen Kultur mit einer anderen Geschichte. In der Deutschen Mediendiskussionen dieser Tage ist es eine Selbstverständlichkeit, dass jede Handlung, die als Unzufriedenheit mit dem realexistierenden BRD-Blockparteiensystem interpretiert werden könnte, mit der Wiederauferstehung des alten braunen Bekannten in Verbindung gebracht wird.
Die einzige Person aus dem Establishment, die sich trotzdem außerparlamentarischen Widerstand herbeisehnt, ist Lafontaine: „Ich würde mir das auch mal wünschen, damit die hier mal merken, dass Zorn da ist, dass die Menschen um ihre Existenz fürchten.“ (Tagesspiegel, 25.4.2009) Und er befürwortet einen politischen Generalstreik. Aber hier ist für den Bürgerschreck lediglich der Wunsch Vater des Gedankens. Denn für eine solche Aktion fehlen bei uns die beiden wichtigsten Vorraussetzungen: die Forderung und der Adressat. Fast alle Arbeiter in Deutschland produzieren für den Export. Auch sie profitierten in der Vergangenheit von der einseitigen Ausrichtung der Politik auf die übertriebene deutsche Wettbewerbsfähigkeit und die damit verbundenen Außenhandelsungleichgewichte - vor allem gegenüber den USA. Die extremen Lohndifferenzen zwischen Exportsektor (Industrie) und heimischen Dienstleistungssektor (Einzelhandel, Gesundheit u.a.) sind ein Beleg dafür. Die bisherige Krisenbewältigungspolitik blieb diesem Kurs treu. Ob Abwrackprämie oder Kurzarbeitergeld, beides dient dazu, die exportorientierte Strategie unbeschadet über die Weltwirtschaftsrezession zu retten. Danach soll Deutschland wieder die Exportüberschüsse verbuchen und andere Länder zur Bezahlung selbiger Schulden machen. Also noch mal: Gegen wen und mit welcher Forderung sollte sich also der deutsche Arbeiter im Exportsektor mit einem Generalstreik wenden? Eben! Solange das Netz des Kurzarbeitergeldes hält und damit Massenentlassungen verhindert werden können, bleiben Arbeiter, Industrie und Regierung ruhig im selben Boot sitzen. Deshalb ist es momentan leider noch richtig, was der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Arbeitgeberverbände zu dem Thema zu Protokoll gibt: Die Debatte ist rein „rethorisch und passt nicht zu dem vernünftigen Verhalten der Gewerkschaften.“ Allerdings ist das nicht vernünftig, sondern einem egoistischen Reflex geschuldet. Das ist nicht vernünftig, weil dieses Modell nicht mehr zukunftsfähig ist.
Die Arbeitslosen und Beschäftigten im Niedriglohnsektor, die durch die exportorientierte deutsche Politik bisher benachteiligt, ausgegrenzt oder prekarisiert wurden, haben weder eine Lobby noch eine Partei. Sie haben bis jetzt auch noch nicht durch einen kollektiven Wutausbruch auf sich aufmerksam gemacht. Der Frust jedoch ist da.
Berlin / 30.4.2009: „Ich kann mir vorstellen, dass in zwei bis drei Monaten die Wut der Menschen deutlich wachsen könnte. (..) Wenn sich dann kein Hoffnungsschimmer auftut, dass sich die Lage verbessert, kann die Stimmung explosiv werden“, so Gesine Schwan kürzlich zum Münchner Merkur. Auch der Oberfunktionär der Gewerkschaften, DGB Chef Sommer, sprach von möglichen sozialen Unruhen.
Bereits Mitte März geisterte diese Angst durch die internen Diskussionen der Brüsseler EU-Beamtenaristokratie. Aber bitte nicht zu laut darüber reden, sonst könnte das gemeine Volk verunsichert werden. Oder noch schlimmer: auf dumme Gedanken kommen! Deshalb werden diese Äußerungen vom CSU-Generalsekretär Dobrindt als „unverantwortlich“ und „saudummes Dahergerede“ bezeichnet.
Außerdem: was sind überhaupt soziale Unruhen? Protest- oder Widerstandshandlungen von Menschen aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Hinter solchen Aktionen kann auch mal der Wille der Mehrheit stecken, wie zum Beispiel beim Sturm auf die Bastille 1789, die als Geburtsstunde der französischen Revolution und damit der modernen bürgerlichen Demokratie in Europa angesehen wird. Sie begann als Hungeraufstand der französischen Bürger gegen die exorbitant gestiegenen Brotpreise. Aber damit sind wir wieder in Frankreich gelandet – einer anderen Kultur mit einer anderen Geschichte. In der Deutschen Mediendiskussionen dieser Tage ist es eine Selbstverständlichkeit, dass jede Handlung, die als Unzufriedenheit mit dem realexistierenden BRD-Blockparteiensystem interpretiert werden könnte, mit der Wiederauferstehung des alten braunen Bekannten in Verbindung gebracht wird.
Die einzige Person aus dem Establishment, die sich trotzdem außerparlamentarischen Widerstand herbeisehnt, ist Lafontaine: „Ich würde mir das auch mal wünschen, damit die hier mal merken, dass Zorn da ist, dass die Menschen um ihre Existenz fürchten.“ (Tagesspiegel, 25.4.2009) Und er befürwortet einen politischen Generalstreik. Aber hier ist für den Bürgerschreck lediglich der Wunsch Vater des Gedankens. Denn für eine solche Aktion fehlen bei uns die beiden wichtigsten Vorraussetzungen: die Forderung und der Adressat. Fast alle Arbeiter in Deutschland produzieren für den Export. Auch sie profitierten in der Vergangenheit von der einseitigen Ausrichtung der Politik auf die übertriebene deutsche Wettbewerbsfähigkeit und die damit verbundenen Außenhandelsungleichgewichte - vor allem gegenüber den USA. Die extremen Lohndifferenzen zwischen Exportsektor (Industrie) und heimischen Dienstleistungssektor (Einzelhandel, Gesundheit u.a.) sind ein Beleg dafür. Die bisherige Krisenbewältigungspolitik blieb diesem Kurs treu. Ob Abwrackprämie oder Kurzarbeitergeld, beides dient dazu, die exportorientierte Strategie unbeschadet über die Weltwirtschaftsrezession zu retten. Danach soll Deutschland wieder die Exportüberschüsse verbuchen und andere Länder zur Bezahlung selbiger Schulden machen. Also noch mal: Gegen wen und mit welcher Forderung sollte sich also der deutsche Arbeiter im Exportsektor mit einem Generalstreik wenden? Eben! Solange das Netz des Kurzarbeitergeldes hält und damit Massenentlassungen verhindert werden können, bleiben Arbeiter, Industrie und Regierung ruhig im selben Boot sitzen. Deshalb ist es momentan leider noch richtig, was der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Arbeitgeberverbände zu dem Thema zu Protokoll gibt: Die Debatte ist rein „rethorisch und passt nicht zu dem vernünftigen Verhalten der Gewerkschaften.“ Allerdings ist das nicht vernünftig, sondern einem egoistischen Reflex geschuldet. Das ist nicht vernünftig, weil dieses Modell nicht mehr zukunftsfähig ist.
Die Arbeitslosen und Beschäftigten im Niedriglohnsektor, die durch die exportorientierte deutsche Politik bisher benachteiligt, ausgegrenzt oder prekarisiert wurden, haben weder eine Lobby noch eine Partei. Sie haben bis jetzt auch noch nicht durch einen kollektiven Wutausbruch auf sich aufmerksam gemacht. Der Frust jedoch ist da.