„Die Wahrheit liegt in der Wahlurne“
Berlin / 8.6.2009: Oder: die Wahrheit kann daran erkannt werden, was nicht in der Wahlurne liegt - 56,7 % gaben ihren Stimmzettel nicht ab. 2,2 % wählten ungültig. Von allen Wahlberechtigten wählten die
CDU/CSU: 15,6 %,
SPD: 8,5 %,
GRÜNE: 4,9 %,
FDP: 4,5 %,
LINKE: 3,1 %,
Andere: 4,4 %.
Was auch immer über demokratische Fortschritte durch den Vertrag von Lissabon erzählt wird - es bleibt in jedem Fall dabei: Das europäische Parlament wählt keine Regierung. Das stärkste Machtgremium der EU bleibt die Kommission. Deren Mitglieder werden auch zukünftig von den Regierungen ernannt. Doch halbe Demokratien gibt es nicht. Somit ist die EU eine Scheindemokratie. Sämtlichen historischen Erfahrungen zufolge benötigt eine funktionierende Demokratie außerdem eine gemeinsame Identität, die sich auf einer fundamentalen kulturellen Basis, wie zum Beispiel einer gemeinsamen Sprache, bildet. Die historisch niedrigste Wahlbeteiligung ist die Quittung für diese Defizite.
Kurz zur bundesweiten Interpretation: Nachdem die SPD unter Schröder die eigenen Wähler verraten hatte, kann sie ihre Glaubwürdigkeit nicht zurück gewinnen. Kommentar Franz Müntefering: „Wir werden uns nicht beeindrucken lassen.“ Vorwärts immer, rückwärts nimmer!
Und die LINKE? Sie ist nicht in der Lage, die tote Sozialdemokratie zu beerben. Die untere Hälfte der Gesellschaft glaubt, keine wählbaren Vertreter mehr zu haben und bleibt den Wahlen überproportional fern. Ihre Interessen werden in den Parlamenten nicht mehr vertreten. Die gehobene bürgerliche Gesellschaft geht dagegen überproportional zur Wahl und schichtet ihre Stimmen ein bisschen zur FDP um. Die konservativ-liberalen Parteien können sich unter diesen Umständen, obwohl sie eine gesellschaftliche Minderheit vertreten, die Mehrheit im Parlament sichern. Ob man dieses Zustand noch als funktionierende Demokratie bezeichnen will, bleibt jedem selbst überlassen.
So sieht das Gesamtwahlergebnis im Verhältnis zu der Umfrage unter den Gästen unserer WAHRSCHAUER-Website aus (Stand 8.6.2009, 22 Uhr):
EU-Wahl 2009 WAHRSCHAUER
gar nicht: 56,7% 11,1%
ungültig: 2,2% 24,1%
CDU/SPD/GRÜNE/FDP: 33,6% 22,2%
LINKE: 3,1% 20,4%
Splitterparteien: 4,4% 22,2%
Es bleibt festzuhalten: Die Leser unserer Website sind politisch aktiver als der Durchschnitt. Das zeigt der wesentlich niedrigere Anteil bei den Nichtwähler. Außerdem sind sie desillusionierter und vielleicht anarchistischer. Das zeigt der wesentlich höhere Wert der Falschwähler. Die LINKE schneidet im Vergleich zum offiziellen Wahlergebnis bei unseren Lesern recht stark ab, die anderen großen Parteien dagegen schwächer. Am schwierigsten zu interpretieren ist die starke Abweichung bei den Splitterparteien. Während das Kreuz für die TIERSCHUTZPARTEI, PIRATEN oder DKP ein Zeichen für ein ernhaftes Ansinnen sein würde, ließe die Stimmenabgabe für DIE VIOLETTEN eher einen überdurchschnittlichen Humor vermuten. Insbesondere ist offenbar die Piratenpartei in der alternativen Szene wie eine Bombe eingeschlagen. Bundesweit erreichte sie mit 0,9% einen erstaunlichen Achtungserfolg. Im Berliner Stadtteil Friedrichshain erreichte sie sogar knapp über 5%. In erster Linie setzt sich die Partei (der Name ist Programm) für eine Einschränkung der Urheber- und Patentrechte ein, weil dies "der angestrebten Wissens- oder Informationsgesellschaft entgegen steht". Wie bei einer solchen Reform die Qualität des produzierten Wissens gehalten oder sogar gesteigert werden kann, erscheint mir aber unklar zu sein.
Zum Schluss noch der neuste Witz aus der politischen Reality-Soap: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörn Thießen fordert eine 50 Euro Strafe für jeden Nichtwähler. Seine Begründung: "Wir Politiker müssen im Parlament abstimmen - das kann man auch von den Wählern bei einer Wahl verlangen."
Kleiner Tip von mir: Das funktioniert nur, wenn man auch die geheime Wahl abschafft, denn sonst bliebe noch die Möglichkeit des Falschwählens als Verweigerung. Damit die SPD mehr Stimmen erhält müsten außerdem noch fast alle anderen Parteien verboten werden.
Ich persönlich hätte eine andere Idee: Die Wähler bekommen die Möglichkeit Abgeordnete bei öffentlich gewordener zu großer Dummheit aus dem Parlament zu wählen. Ich vermute über die Wahlbeteiligung müsste man sich dabei keine Sorgen machen.
Wahljahr 2009: Stimme abgeben, behalten oder vögeln für links
Zum Abschneiden der Rechten bei der Europawahl und den Kommunalwahlen:
NPD: Siegeszug durch die Kommunen? (FAZ.net)
Die NPD gewinnt in Ländern: Rechte werden vor Ort stärker (TAZ)
Rechte Splitterparteien siegen bei EU-Wahl: Ein Haus voller Narren (TAZ)
Outsiders im Parlament (Jungle World)
(Horst Seehofer)
Berlin / 8.6.2009: Oder: die Wahrheit kann daran erkannt werden, was nicht in der Wahlurne liegt - 56,7 % gaben ihren Stimmzettel nicht ab. 2,2 % wählten ungültig. Von allen Wahlberechtigten wählten die
CDU/CSU: 15,6 %,
SPD: 8,5 %,
GRÜNE: 4,9 %,
FDP: 4,5 %,
LINKE: 3,1 %,
Andere: 4,4 %.
Was auch immer über demokratische Fortschritte durch den Vertrag von Lissabon erzählt wird - es bleibt in jedem Fall dabei: Das europäische Parlament wählt keine Regierung. Das stärkste Machtgremium der EU bleibt die Kommission. Deren Mitglieder werden auch zukünftig von den Regierungen ernannt. Doch halbe Demokratien gibt es nicht. Somit ist die EU eine Scheindemokratie. Sämtlichen historischen Erfahrungen zufolge benötigt eine funktionierende Demokratie außerdem eine gemeinsame Identität, die sich auf einer fundamentalen kulturellen Basis, wie zum Beispiel einer gemeinsamen Sprache, bildet. Die historisch niedrigste Wahlbeteiligung ist die Quittung für diese Defizite.
Kurz zur bundesweiten Interpretation: Nachdem die SPD unter Schröder die eigenen Wähler verraten hatte, kann sie ihre Glaubwürdigkeit nicht zurück gewinnen. Kommentar Franz Müntefering: „Wir werden uns nicht beeindrucken lassen.“ Vorwärts immer, rückwärts nimmer!
Und die LINKE? Sie ist nicht in der Lage, die tote Sozialdemokratie zu beerben. Die untere Hälfte der Gesellschaft glaubt, keine wählbaren Vertreter mehr zu haben und bleibt den Wahlen überproportional fern. Ihre Interessen werden in den Parlamenten nicht mehr vertreten. Die gehobene bürgerliche Gesellschaft geht dagegen überproportional zur Wahl und schichtet ihre Stimmen ein bisschen zur FDP um. Die konservativ-liberalen Parteien können sich unter diesen Umständen, obwohl sie eine gesellschaftliche Minderheit vertreten, die Mehrheit im Parlament sichern. Ob man dieses Zustand noch als funktionierende Demokratie bezeichnen will, bleibt jedem selbst überlassen.
So sieht das Gesamtwahlergebnis im Verhältnis zu der Umfrage unter den Gästen unserer WAHRSCHAUER-Website aus (Stand 8.6.2009, 22 Uhr):
EU-Wahl 2009 WAHRSCHAUER
gar nicht: 56,7% 11,1%
ungültig: 2,2% 24,1%
CDU/SPD/GRÜNE/FDP: 33,6% 22,2%
LINKE: 3,1% 20,4%
Splitterparteien: 4,4% 22,2%
Es bleibt festzuhalten: Die Leser unserer Website sind politisch aktiver als der Durchschnitt. Das zeigt der wesentlich niedrigere Anteil bei den Nichtwähler. Außerdem sind sie desillusionierter und vielleicht anarchistischer. Das zeigt der wesentlich höhere Wert der Falschwähler. Die LINKE schneidet im Vergleich zum offiziellen Wahlergebnis bei unseren Lesern recht stark ab, die anderen großen Parteien dagegen schwächer. Am schwierigsten zu interpretieren ist die starke Abweichung bei den Splitterparteien. Während das Kreuz für die TIERSCHUTZPARTEI, PIRATEN oder DKP ein Zeichen für ein ernhaftes Ansinnen sein würde, ließe die Stimmenabgabe für DIE VIOLETTEN eher einen überdurchschnittlichen Humor vermuten. Insbesondere ist offenbar die Piratenpartei in der alternativen Szene wie eine Bombe eingeschlagen. Bundesweit erreichte sie mit 0,9% einen erstaunlichen Achtungserfolg. Im Berliner Stadtteil Friedrichshain erreichte sie sogar knapp über 5%. In erster Linie setzt sich die Partei (der Name ist Programm) für eine Einschränkung der Urheber- und Patentrechte ein, weil dies "der angestrebten Wissens- oder Informationsgesellschaft entgegen steht". Wie bei einer solchen Reform die Qualität des produzierten Wissens gehalten oder sogar gesteigert werden kann, erscheint mir aber unklar zu sein.
Zum Schluss noch der neuste Witz aus der politischen Reality-Soap: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörn Thießen fordert eine 50 Euro Strafe für jeden Nichtwähler. Seine Begründung: "Wir Politiker müssen im Parlament abstimmen - das kann man auch von den Wählern bei einer Wahl verlangen."
Kleiner Tip von mir: Das funktioniert nur, wenn man auch die geheime Wahl abschafft, denn sonst bliebe noch die Möglichkeit des Falschwählens als Verweigerung. Damit die SPD mehr Stimmen erhält müsten außerdem noch fast alle anderen Parteien verboten werden.
Ich persönlich hätte eine andere Idee: Die Wähler bekommen die Möglichkeit Abgeordnete bei öffentlich gewordener zu großer Dummheit aus dem Parlament zu wählen. Ich vermute über die Wahlbeteiligung müsste man sich dabei keine Sorgen machen.
Wahljahr 2009: Stimme abgeben, behalten oder vögeln für links
Zum Abschneiden der Rechten bei der Europawahl und den Kommunalwahlen:
NPD: Siegeszug durch die Kommunen? (FAZ.net)
Die NPD gewinnt in Ländern: Rechte werden vor Ort stärker (TAZ)
Rechte Splitterparteien siegen bei EU-Wahl: Ein Haus voller Narren (TAZ)
Outsiders im Parlament (Jungle World)